Dienstag, 11. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Surfen

Hallo! Hier lesen Sie Notizen aus dem Arbeitstagebuch einer Dolmetscherin. Gerade bin ich wieder im Umfeld der Berlinale unterwegs — und habe neuerdings noch Kapazitäten frei. Das Festival ändert sich rasant.

Komisches Gefühl, an einem Berlinalemorgen ohne meinen sonst für die zweite Berlinalehälfte so typischen "Generalbass" aufzuwachen und außer einer Ko­pro­duk­tions­ver­trags­über­setzung kein Programm zu haben.

Hintergrund: Ich bin im 14. Jahr als Dolmetscherin in den Berlinalekulissen tätig, da­von 12 Jahre lang auch auf der Ber­­li­na­­le­­büh­ne. Vor einem Jahr wurden die verbliebenen Filmgespräche abgeschafft, die noch in die deutsche Spra­che ver­dol­metscht wurden. Heute findet alles auf Englisch statt.

Seit diesem Jahr werden auch keine Filme mehr simultan eingesprochen, was ich auch jahrelang gemacht habe. Die Sprachen Französisch und Deutsch sind auf dem Festival zu Minderheitensprachen avanciert wie Hindi und Swahili.

Was steht also auf dem Programm? Ich surfe über das Festival. Meine Wege führen mich in konzentrischen Kreisen um den Filmmarkt herum, auf dem ich zwei Ge­sprä­che sprachlich begleiten darf, meine spontanen Auf-Zuruf-Termine, Dienst­leistungen für Produzenten, wobei ich hoffe, dass am Ende Übersetzungsaufträge von Dreh­büchern, Antragsdossiers o.ä. abfallen. In beiden Fallen geht es um Part­ner­suche in Deutschland. Geldgeber treffen sich mit Machern. Und die Kreativen ziehen es weiterhin vor, in ihrer Muttersprache zu sprechen, wenn es um die künst­lerischen Vorhaben geht und wenn es genau sein soll.

Also habe ich die Gelegenheit, mich von den Wellen um mich herum mittragen zu lassen. Ich werde in einen Filme gespült, von dem ich vorher aber auch rein gar nichts wusste. Das fühlt sich ein wenig so an wie eine Sneak Preview, der Film ist eine an­ge­neh­me Überraschung. Wie viele Filme es auf der Berlinale jedes Jahr gibt, weiß keiner so genau, da es zu den of­fi­ziel­len Reihen auf dem Markt sicher hun­der­te Vorführungen gibt und so mancher seinen Strei­fen in der Tasche, z.B. auf dem Klapprechner, mit sich führt. Die Zahl 600 schwirrt durch den Saal, da sind Markt (450) und die filmische Schmuggelware auf diversen Speichermedien noch gar nicht mitgezählt.

Selbst, wenn mich jetzt das Kinogängerfieber ereilen sollte, wäre es nicht möglich, alle Festivalhighlights zu sehen. Mehr als vier, fünf Filme am Tag habe ich auch nicht geschafft, als ich zum Beispiel 2005 und 2006 in Cannes oder in Belgien für die französischen Filmtage Tübingen Filme ausgewählt habe. Ja, ich habe auch eine Vergangenheit als Filmkuratorin hinter mir, nicht nur als Journalistin, und das hilft durchaus im Tagesgeschäft als Medien- und Filmdolmetscherin.

Nach dem Film bildete sich vor dem kleinen Vorführraum eine Traube um den eng­lisch­sprachigen Regisseur. Und da waren sie wieder, die altgedienten ost­eu­ro­pä­i­schen Journalisten, deren Englisch mehr als bruchstückhaft ist. Dafür können sie seitenweise Goethe und Heine rezitieren ... und ich dolmetschte ad hoc aus dem und sogar ins Englische. Was überraschend gut ging.

Gerne wäre ich dann mit zwei Belgiern noch zur Kinder- und Jugendfilmsektion ge­gangen, Generation Kplus und Generation 14plus. Die haben sich im Haus der Kul­tu­ren der Welt eingerichtet. Die "Schwangere Auster" ist der einzige Berlinale­ort, an dem (bei den Kinderfilmen) die deutsche Sprache und das Einsprechen of­fiziell fortbestehen. Dort ist sogar eine Kinderjury aktiv! Ich hoffe auf das Nach­spiel man­cher Filme in der nächsten Woche, in der für die Mitarbeiter etliche Streifen in geschlossenen Vorstellungen noch einmal gezeigt werden.

Ich surfe weiter. Mit einer spontan getroffenen Dolmetschkollegin besuche ich die Kantine des Musicaltheaters am Marlene-Dietrich-Platz, das die Berlinale im Feb­ru­ar immer zum Festivalpalast umfunktioniert. Dann trinken wir einen Tee im Hyatt gegenüber. Hier ist viel los, im 1. Stock laufen die Pressekonferenzen, sind die Journalistenschreibzimmer und der Ticketcounter, um uns herum sitzen Film­schaf­fen­de und -politiker aus der ganzen Welt, ruhen sich aus oder verhandeln eifrig.

Zwischendurch verleihe ich wie gesagt meine Stimme. Der Abend gehört wieder dem Kino! Und zwar live und im Festivalpalast. Der Dolmetscherkollege macht seine Sache gut, also weitaus besser, als das, was noch vor einigen Jahren auf der Bühne zu sehen war. Aber trotzdem juckt es mich, am liebsten würde ich coachen. Ich halte mich zurück und eile auf dem Nachhauseweg noch kurz auf einem Em­pfang vorbei. Aber nur kurz, wegen der Stimme. Zum Einschlafen höre ich dann auch Musik mit echtem Generalbass, schön chromatische Sachen von JSB.

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Foto: Jan Hendrik Blanke

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