Donnerstag, 10. Februar 2011

Bühnendolmetschen

Wir sind auch dieses Jahr wieder auf der Berlinale und erzählen das Festival aus Dolmetschersicht. Film ab! 

Gestern hatte ich's von der Graumäusigkeit von Dolmetschern, vor allem Dol­met­scher­in­nen, die ein Theaterstück aufgegriffen hat. Dazu muss ich gleich etwas klarstellen. Denn wir sind nicht alle so! Es gibt durchaus Bühnendolmetscher, die auch in ihrer Art des Sprechens mit Moderatoren und Schauspielern mithalten können, denn sie haben ihre Dolmetscherkompetenz mit einer Sprechausbildung abgerundet.

Im Normalfall aber gilt: Dolmetscher haben hinter den Sprechenden zu ver­schwin­den, sie sind nur eine gemietete Stimme, das lebende, in die andere Sprache ver­wan­del­te Wort, demnach als Personen nicht existent. Das sieht bei vielen Kol­le­gin­nen am Ende so aus, dass sie sich auch im Dunkel der Kabinen wohler fühlen als in der Helligkeit des Rampenlichts, ja dass sie sogar grundsätzlich ungern in den Bereich des Sichtbaren geraten.

Am Abend vor der Berlinaleeröffnung stoßen wir mit grünem Tee aufs Filmfestival und die ersten Buchungen an    und erzählen uns Berlinaleschnacks. Eine meiner Lieblingsanekdote ist die von der Dolmetscherin, die mit der Vorhangfalte flirtet. Beim Erzählen stellen wir die Szene nach, dann kommen noch Marker auf die Din­ge, um die Rollen klar zu machen.

Eine berühmte Schauspielerin (Schnurlostelefon/gelb) steht vor dem Mikrofon (Salzstreuer/grün) und bedankt sich auf einer Festivalbühne für einen Preis. Das Licht der Rampe ist hell (Füller/silber). Hinter allem der rote Vorhang (Tee­beutel/rosa).

"establishing shot"




Einen halben Schritt hinter ihr steht die Dolmetscherin (Handy/orange). Die Schau­spielerin spricht, sie genießt das Rampenlicht. Die Dame hinter ihr ist nicht nur kleiner, sie wirkt auch kleiner, weil sie von der Rampe weiter entfernt steht.

Sehen wir genauer hin. Zunächst fällt auf, dass bei unserer Demonstration die Rampe und der Vorhang nicht parallel zueinander sind. Aber das ist nicht so wichtig.

Zurück ins Lichtspieltheater. Als der weib­liche Star fertig gesprochen hat (bzw. eine Pause einlegt), tritt die Dolmetscherin einen halben Schritt vor und übersetzt mit das Gesagte mitten in den Applaus hinein.

Leider betont sie kaum, lässt keine Pausen nach den Pointen; es sieht angestrengt aus, wie sie da ihren Stenoblock abarbeitet.

Ihre Worte gehen unter.
Sie hat sich nochmal kleiner gemacht, sich keinen Raum genommen.

Dann hebt der Star erneut an, und während sich die grande dame aus einem fran­zö­sisch­spra­chigen Land sehr ausführlich bedankt und Schnurren aus ihrem Leben erzählt, geht die Dolmetscherin (während sie sich Notizen macht) wieder einen Schritt nach hinten - und zur Sicherheit gleich noch einen, weil das Licht ja so hell ist.

Dieses Gehen beim Schreiben finde ich bemerkenswert. Hier geschieht alles aus dem tiefsten Inneren heraus, der Kopf arbeitet, wir sehen den reinen Impuls.
Der Star macht eine Pause    das Pu­bli­kum spendet begeistert Applaus!

Die Dolmetscherin geht wieder nach vorn, dolmetscht, spricht dabei in den Applaus hinein.

Dann geht sie wieder zurück.

Es sieht so aus, als würde würde sie sich am liebsten hinter dem breiten Kreuz des Stars verstecken, also bezieht sie, weiter schreibend, direkt hinter die Berühmtheit des Abends Aufstellung.

Das Ganze geht noch ein, zwei Mal so wei­ter.

Beim Zurücktreten kommt die Dol­met­scher­in dem Vorhang jedes Mal ein Stück näher (Teebeutel/rosa bzw. die anderen Schalen in Verlängerung der Linie).

Meine Schwester Friederike und ich sitzen in Reihe fünf oder so und beobachten beide irgendwann nur noch die Dolmetscherin, die sich ihrerseits wie hilfesuchend um­schaut.

Als die Veranstaltung zuende ist, bringt Friederike die Sache auf den Punkt: "Deine Kollegin hat ziemlich unglücklich aus­ge­sehen da oben. Als sich umgesehen hat und zurück in Richtung Vorhang schaute, wirkte das wie ein flehentlicher Blick auf die dunkle Falte ... als hoffte sie, diese Falte würde sich nun endlich ihrer erbarmen und sie verschlucken!"

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Fotos: C. Elias

2 Kommentare:

Hans-Joachim Hahn hat gesagt…

Es ist eine Schande, wie die Berufsdolmetscher programmiert werden, wenn so ein Ergebnis dabei herauskommt!
Seit Jahrzehnten praktiziere ich ein völlig anderes Konzept – mit großem Erfolg und jedesmal begeistertem Publikum, das endlich auch in seiner Sprache eine adäquate Präsentation mit Körpersprache erhält. Brian Tracy hat mich deswegen als seinen "Tanzpartner" bezeichnet. Sein Publikum in Deutschland will ihn immer im Doppelpack mit mir, und er kommt dadurch wesentlich besser ´rüber. Ich achte darauf, ein wenig hinter ihm zurück zu stehen und sofort die Bühne zu verlassen, wenn er fertig ist.
Dadurch wird körpersprachlich klar, wer der Start ist. Ich habe nie eine Dolmetscherschule besucht, sondern von Life-Auftritten gelernt.

caro_berlin hat gesagt…

Hallo Herr Hahn,

Ihr Konzept scheint meinem verwandt zu sein, ich durfte als feed back Sätze wie "d'un même souffle" hören, was ich frei als "mit einer Stimme" übersetzen würde.

Aber ich muss auch die Dolmetscher und die Dolmetscherausbilder in Schutz nehmen. Es wird nicht vermittelt, sich SO zu verhalten, sondern zu meiner Zeit würde Bühne und derlei GAR NICHT unterrichtet. Will sagen: Die Sache mit der Sprachmittelei bei Themen, die einem bis vor wenigen Tagen einem noch völlig fremd waren, ist so dermaßen komplex, dass die Zeit der Ausbildung damit gut ausgefüllt ist.

In den ersten Berufsjahren stellt sich dann mit der Routine bei einigen (nicht bei allen) Kollegen das nötige Nervenkostüm ein, das für dieses öffentliche Arbeiten, bei denen jeder echte oder sprachliche Stolperer von hunderten oder tausenden von Augenpaaren verfolgt wird, nötig ist.

Sie scheinen als nicht ausgebildeter Dolmetscher für Redner und Themen tätig zu werden, die Sie gut kennen. Sie dürfen sich glücklich schätzen, denn dadurch haben Sie von vorneherein eine andere Sicherheit.

Was mich allerdings sehr wundert ist die Tatsache, dass bei uns offenbar keine oder kaum Schulungen angeboten werden, denn wir Dolmetscher sind hier ja Aushängeschilder des Festivalbetriebs.

Mit freundlichen Grüßen,
Caroline Elias

... und falls Sie mal eine Kollegin für Französisch suchen, Sie wissen ja jetzt, wie Sie mich erreichen können.