Samstag, 27. Mai 2017

Gentrifidingsbums

Bienvenue auf den Seiten einer Sprachar­bei­te­rin. Wir Übersetzerinnen, Über­set­zer, Dolmetscherinnen und Dolmetscher arbeiten meistens zu Hause im eigenen Arbeitszimmer. Daran werden auch steigende Mieten erstmal nichts ändern. Nur manchmal möchte ich mein Schlafzimmer außerhalb der Wohnung haben.

Wohnen in einem sogenannten "hippen" Kiez: Als wir vor 20 Jahren hergezogen sind, haben wir noch Kopfschütteln geerntet — "... wie kann man nur ins soziale Sperrgebiet ziehen?" Heute gelten wir als hipper Wohnbezirk: Der unsanierte Dach­rohling kann da schon mal 3000 Euro den Quadratmeter kosten. Hier heute zu woh­nen be­deu­tet z.B. an einem Werktag, kaum zur Ruhe zu kommen.

YOUR MONEY DESTROYS BERLIN
Aus der Nachbarschaft
Im Nachbarhaus, das scheib­chen­wei­se verkauft worden ist, bil­ligs­ter sozialer Woh­nungs­bau­stan­dard, der nach der Hin­zu­fü­gung einiger Ei­mer Wand­far­be und gül­de­ner Wasserhähne statt im Einkauf (en bloc) 900 Euro den Qua­drat­me­ter nun um die 4000 Euro kosten soll, hat die Zahl der Fe­rien­woh­nun­gen in­fla­tio­när zu­ge­nom­men ... und ja, das ist mir nicht egal.

Im Haus, es wurde in den Neunziger Jahren gebaut, scheint etwa die Hälfte der Wohnungen verkauft zu sein, der Rest steht leer. Die Nachbarn von einst leben am Stadtrand, wo plötzlich (wie im Märkischen Viertel) neue Schulen gebaut werden mussten. Umzug, Neubau und den Leerstand von Schulen im Kiez zahlen wir alle mit unseren Steuern. Das große Geld machen damit andere.

Seither stoßen in unserer Straße Welten aufeinander. Hier die ruhebedürftige werk­tä­ti­ge Be­völ­ke­rung mit oder ohne Kindern, dort das Partyvolk mit oder ohne geregelten Tag-/Nachtrhythmus. Und das Nachbarhaus zur anderen Seite wird nach zehn Jah­ren erneut saniert, dieses Mal, so fürchte ich, ist die Edelsanierung dran, die Preis­spi­ra­le dreht hoch. Übersetzt heißt das: An der einen Seite zum Hof wird bis vier Uhr in der Früh Party gemacht, an der anderen Seite zum Hof rattert ab sie­ben Uhr der Schlagbohraufsatz, der Fliesen runterreißt, in der Mitte kraucht die Ein­woh­ner­schaft auf dem Zahnfleisch, denn solche Spitzen filtern selbst Ohropax nicht so ele­gant weg.

Zehlendorf günstiger als Neukölln
Titel vom 22.5.2017
Die Nach­bar­schaft ist bereits einmal durch­gen­tri­fi­ziert, die Ver­drängung der Gentrifizierer von vor zehn Jah­ren steht an. Und heute beginnt der Ra­ma­dan. Migrantische Namen sind auf dem Klin­gel­feld selten geworden. Aber aus den an­lie­gen­den­ Stra­ßen kommen oft noch Menschen mus­li­mi­schen Glaubens an den Kanal, wer will es ihnen ver­den­ken, und gerade die Jungen haben am Ufer ihren Spaß, der sich oft nicht von dem der Par­ty­ma­cher un­ter­schei­det, den Alkohol den­ken wir uns jetzt mal weg. Und Fas­ten­bre­chen fin­­det nach Son­nen­un­ter­gang statt. Nachts schallt es von bei­­den Sei­ten.

Ich übertreibe nur leicht. Samstag gilt übri­gens als Werktag. Bleibt der Sonntag zum Ausschlafen. Das muss reichen! Das Bruttosozialprodukt ruft.

Diese Woche kam zum Sonntag großzügigerweise noch der Himmelfahrtsdonnerstag hinzu. Naja, ich durfte arbeiten. Und kurz aufseufzen, als ich die Wandschmiererei in der Nach­bar­schaft sah, das stimmt leider so sehr ... Das Dilemma wäre übrigens mit klu­gen Gesetzen vermeidbar.

Für einen Dolmetschtermin im Kiez haben wir vor einigen Jahren das Wort "Gen­tri­fi­zie­rung" durch "Verdrängungssanierung" übersetzt, ein Übersetzerkollege fand das Wort nach einem Suchappell über ein "virtuelles Café" im Netz.

Meine Links der Woche sind Artikel über den Mietspiegel: "Warum Berliner Mietern teure Zeiten bevorstehen" und "Altbaumieten steigen am stärksten" (Tagesspiegel).

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Fotos: C.E., Beatrice Höller

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