Donnerstag, 20. Oktober 2016

Gehaltsspreizung, die

In ei­nen Blog aus der Ar­beits­welt sind Sie he­rein­ge­ra­ten: Bon­jour und herz­lich will­kom­men! Hier hinterlässt eine Dolmetscherin ihre Rand­be­mer­kun­gen aus einem sprachbetonten Arbeitsalltag. Heute: Wörterbuch des Alltags, mein Vokabellernen im Kontext.

Vor vielen Jahren, es war kurz nach dem Börsenkrach, habe ich mal einen Banker im Ruhestand gedolmetscht, der mir in der Mittagspause ganz klar gesagt hat, was er von der Ent­wick­lung des Finanzsystems und der Gehälter hält: gar nichts.

Alte Kasse
Zahlen, bitte!
Im Gegenteil. In den 50er, 60er Jahren wäre eine Firma kreditunwürdig gewesen, wenn die Gehaltsspreizung bei über Faktor 20 oder 30 gelegen hätte. Ich schrieb mir damals das Wort Ge­halts­sprei­zung auf, wie ich alles Neue notiere, er präzisierte: „Wenn die Managervergütung mehr als das 30fache der un­ters­ten Gehaltsgruppe in der gleichen Firma aus­macht.“

"Damals hätten wir gedacht, der Manager würde nur auf kurzfristige Effekte setzen und hätte vor, seine Stelle unter Mitnahme möglichst hoher Sondervergütungen schnell wieder zu verlassen."

Damit hat er ziemlich genau den heutigen Status Quo beschrieben. Wie es dazu gekommen sei, will ich wissen, dass das NO GO zum überall propagierten Modell geworden zu sein scheint?

"Ach, gutes Kind", meinte er in altväterlicher Manier, "es waren ja selten die hells­ten Kerzen auf dem Kuchen, die VWL und BWL studiert haben, mancher ist ein autistisches Zahlengenie, die meisten sind allerdings nur unterer Durchschnitt. In der Schule kamen sie bei den Mädchen nicht gut an ... " erzählte er, und ich habe einfach nur zugehört.

"Das sind Menschen, deren seelisch kriegsverstümmelte Eltern sie darauf getrimmt haben, dass Geld aufhäufen eine Tugend sei und dass alles optimiert werden müs­se ..." Ich schwieg. Ich wollte nicht nachfragen, weil mir nicht klar war, in wieweit diese Er­kennt­nis auch ein Lebensgeständnis war.

Nach einer kurzen Pause legte er nach: "Und dann ist noch viel Rache dabei ... die hellsten Köpfe und die schönsten und klügsten Frauen haben ja Philosophie, Li­te­ra­tur, Kunst und Sprachen studiert ... und wurden damit noch weniger er­reich­bar. Und genau die fehlen heute in der Wirtschaft!"

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Foto: C.E. (Archiv)

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