Montag, 24. Oktober 2016

Chocolatine, la

Bon­jour, gu­ten Tag! Was uns Sprach­ar­bei­ter so um­treibt, ist seit mehr als neun Jah­ren Ge­gen­stand die­ses Blogs. Ich bin Dolmetscherin und Übersetzerin, al­ler­dings nur in Ausnahmefällen von amtlichen Dokumenten!, und ar­bei­te mit den Sprachen Französisch und Englisch. Heute schauen wir nach Paris.
 
Wir wissen nicht, was Herr C. heute Morgen gefrühstückt hat. Wir wissen nur, dass in Frankreich der Brotpreis wiederholt der Funken war, der die Lunte entfacht hat. Daher war er auch bis vor einigen Jahrzehnten staatlich festgelegt.

Pain au chocolat, 0,90 Euro
Preis von 2011 (Blois)
Jean-François Copé sitzt am Mon­tag­­mor­gen im schicken Anzug im Studio des Ra­dio­pro­gramms Europe 1 und wird nach dem Preis eines Pain au chocolat gefragt, das sind diese Dinger, die auf Deutsch oft fälsch­li­cher­wei­se "Scho­ko­crois­sant" genannt werden, obwohl sie nichts von einem Croissant (Halbmond) haben (siehe: Die Geschichte des Croissants).

Copé zählt derzeit zu den Bewerbern um die Position des fran­zö­si­schen Prä­si­dent­schafts­kan­di­da­ten.

Die erfrischend ehrliche Antwort des Konservativen war: Je ne sais pas, ich weiß es nicht. Und dann macht er einen riesigen Fehler, als der Mann aus gutem Hause, 50 something, mit der langsam hochwachsenden Stirn weiterspricht: Aux alentours de 10 ou 15 centimes,  ca. zehn bis 15 Centimes.

Vermutlich sollte ihm mal jemand zuflüstern, dass wir heute den Euro in der Ta­sche haben, der sich in kleinteiliger Form Cent nennt. OK, geschenkt, Nostalgiker und alte Menschen ab 39, also so Leute wie ich und mein großer Bruder, bleiben gerne bei Centimes und sagen dann eben Centimes d'Euro, was auch als Euro-Hun­derts­tel gelesen werden kann. (In meinen Rechnungen schreibe ich das so.)

Der Abgeordnete Copé, der auch Bürgermeister von Meaux (Seine-et-Marne) ist, ich habe dort vor längerer Zeit mal für Arte in den Vorstadtsiedlungen als Second-Unit-Regisseurin gedreht, meinte auf den Hinweis, dass derlei einen Euro bis 1,20 oder 1,30 kostet: Je ne vais pas en acheter souvent, c’est un peu calorique. Ich kaufe derlei nicht oft, ist ziemlich kalorienhaltig.

Frankreich hat jetzt einen neuen Sport. Preisfragen werden getwittert, die aus­se­hen wie Schulaufgaben. Frage an Herrn C.: "Wie hoch ist der Mindestlohn in Frank­reich?" 1000 Euro, "richtige Antwort!" "Was kostet die U-Bahn-Fahrt in Paris?" 1,80 Euro (durchschnittlich), dazu das Lob: "Sehr gut herausgefunden".

Andere fragen: "Was kostet zehn oder 15 Cent?" Das wird dann fotografiert und geht als Nachhilfe an Politiker, die Franzosen können so großzügig sein. Ein Bon­bon, ja. Ein Päckchen Lakritz, nein. Eine Schrau­be ja, eine Zigarette nein, dafür ein Päckchen Streichhölzer, um diese anzuzünden. Eine 10-Cent-Briefmarke, die Postkarte liegt allerdings bei einem Euro aufwärts, und um die Karte in den Post­kas­ten zu tun, fehlen auch noch einige Centimes. Andere fotografieren ihr Früh­stück und schreiben den Preis daneben.

Copé war drei Jahre lang beigeordneter Minister für den Haushalt (ministre dé­lé­gué au budget).

J'avoue être très soucieux de ma ligne ... Donc pour dire vrai j'ai arrêté les "chocolatines" depuis longtemps !
Ich gebe zu, stark auf meine Figur zu achten. Um ehrlich
zu sein, esse ich seit langem keine "Chocolatines" mehr.
Außerdem ist er bekannt für dubiose Par­tei­en­fi­nan­zie­rungs­sa­chen, wegen denen er mal zu­rück­ge­tre­ten ist. Nein, Marie-Antoinette hat nicht gesagt: "Wenn das Volk kein Brot hat, so soll es Pain au chocolat zu zehn Centimes essen."

Und Copé hat auch nicht gesagt: "Wenn die Menschen sich kein Obst leisten können, sollen sie halt Kuchen essen."

Im Südwesten Frankreichs heißen die Dinger übrigens Chocolatine. Klingt gleich viel kleiner. Und der Mann wird recht haben. In irgendeinem Hypermarché findet sich sicher ein Beutel mit vielen, kleinen industriell gefertigten Chocolatinechen an, voller Geschmacksverstärker, Palmöl und garantiert nicht mit cho­les­te­rin­trie­fen­der Butter gefertigt, die einzeln 15 Cent kosten. Aber gelten die in einem Land, das so viel Wert aufs Essen legt?

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Foto: C.E. / Twitter

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