Montag, 15. August 2016

La mise en abyme

Welcome, bienvenue, gu­ten Tag! Was Dol­met­scher und Über­setzer machen, kön­nen Sie hier lesen. Meine Sprachen sind Französisch (als Ausgangs- und Ziel­spra­che) und Englisch (Ausgangssprache). Ich arbeite in Paris, Rennes, München, Berlin und überall dort, wo Sie mich brauchen.

La mise en abyme, in Frankreich lernt den Begriff jeder Mensch, der Li­te­ra­tur­wis­sen­schaft studiert, im 1. Semester, wenn es nicht bereits in der Abiturvorbereitung vorgekommen ist. Das Wörterbuch lehrt mich, dass das Wort abyme vom grie­chi­schen ἄβυσσος (abyssos) stammt, was so viel wie "ohne Boden" oder "unendlich" heißt. Die Sache mit der bodenlosen Erweiterung nach unten merken wir uns mal kurz.

Der Begriff käme aus der Heraldik, lerne ich weiter, aus der Wappenkunde, und be­zeich­ne ein Bild, das ein Bild enthalte, gerne auch sich selbst. Also der Hase mit dem Schild, auf dem ein Hase mit Schild abgebildet ist, das wiederum ...

An der Pariser Universität habe ich es so gelernt, dass André Gide Ende des 19. Jahrhunderts festgestellt hat: J'aime assez qu'en une œuvre d'art on retrouve ainsi transposé, à l'échelle des personnages, le sujet même de cette œuvre par com­pa­rai­son avec ce procédé du blason qui consiste, dans le premier, à mettre le second en abyme. ("Es gefällt mir sehr, wenn der Gegenstand eines Kunstwerks im Spek­trum seiner Charaktere ein weiteres Mal umgesetzt ist – ähnlich dem Verfahren, ein Wappen in seinem Feld wiederum abzubilden." André Gide, Journal 1893.

Auf einer französischen Webseite steht diese mise en abyme inmitten der Be­schrei­bung eines Kulturevents. Es geht um ein Musiktheaterstück für Kinder. Der Be­gleit­text soll die Erwachsenen überzeugen. Aber wer in Deutschland kennt schon das Zitat von Gide und was darauf gefolgt ist?
Französische Schulkinder wissen dafür im­mer­hin, dass man das Wort abîme für Kluft, Untiefe und Abgrund sonst mit einem I statt des Ypsilons schreibt (das auf Französisch das i grec, das griechische I ist).

Und dass das Wörtchen ein "Dächle" be­kom­men hat, wie die Schwaben sagen, wissen sie auf­grund eines Lernreims.

Le chapeau de la cime est tombé dans l’abîme et celui du boiteux est tombé dans la boîte ... auf Deutsch: Der Hut des Gip­fels (la cime, dortselbst kann ich mir be­rech­tig­ter­wei­se so ein "Dächle" vorstellen) ist in den Abgrund gefallen, ins abîme — und da sitzt er nun. Der Satz geht weiter: ... und der des Hinkenden, le boiteux, den wir uns jetzt mit Hut vorstellen dürfen, ist in die Schachtel gefallen, dans la boîte, hier ist wieder ein Accent circonflexe. Der Hinkende ist wohl gestolpert.
Dieser Satz ist mir in Potsdam beim Un­ter­rich­ten an Filmhochschule und Uni vor über zehn Jahren zum Glück im richtigen Au­gen­blick wieder eingefallen.

Ich habe viele Jahre im Studiengang "Europäische Medienwissenschaft" un­ter­rich­tet. Ich werde zu diesem Zeitpunkt etwa zehn Jahre das Wort boîte nicht mehr ge­schrie­ben haben. Aber auch diese Schnurren helfen mir nicht weiter bei der Über­set­zung. Ich suche nach der mise en abyme auf deutschen Webseiten. Die deutsche Kunstgeschichte hat den Begriff unverändert übernommen, es fällt dann immer gleich der Name des Malers Jan van Eyck oder irgendwelche Spiegeleffekte.

In der Epik muss, anders als in der Heraldik, die Binnenhandlung übrigens nicht mit der Rahmenhandlung identisch sein. Ich behelfe mich mit "ein Stück im Stück". Mich lässt es nicht los. Ich suche weiter, obwohl ich schon eine Lö­sung habe.

In Forum des Internetwörterbuchs LEO wird der Romanist Prof. Dr. Ottmar Ette (mit Sitz in Potsdam) mit dem Wort "Verschachtelung" zitiert. Mir fällt wieder ein, dass ich in den Nuller Jahren auch das Konzept der Matrjoschka-Puppen zur Er­klä­rung verwendet habe. Das brachte etwas Lokalkolorit in den noch nach DDR-Rei­ni­gungs­mit­tel Lysol |riechenden| stinkenden Hörsaal, der Abzug der Russen lag noch nicht so weit zurück.

Und als ich weiterlese, stoße ich auf die Erwähnung eines holländischen Ka­kao­her­stel­lers, in dessen Dose bei uns immer der Kochkakao verschwindet: Droste. Ab­ge­lei­tet davon werde auch der Begriff "Droste-Effekt" verwendet. Im Netz finde ich unter diesem Begriff vor allem Seiten auf Holländisch und Englisch. Und mit etwas Weitersuchen auch noch Seiten auf Deutsch, und zwar für Fotografen, De­sig­ner und Kommunikationsfachleute.

Nein, ich bleibe beim "Stück im Stück", das dürften alle verstehen. Den Link zur übersetzten Seite trage ich nach, sobald sie veröffentlicht ist.

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Fotos: C.E.

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