Dienstag, 15. März 2016

Luminarismus

Hallo, hello & bonjour. Was mich als Spracharbeiterin so umtreibt (und auch an­de­re Dol­met­scher und Über­set­zer für Französisch und andere Sprachen kennen), da­rü­ber schreibe ich hier regelmäßig. Nun, gerade schreibe ich regelmäßig NICHT. Ich werde mal kurz erklären, weshalb, falls das kurz möglich sein sollte.

Dunkle Tage. Aber irgendwann wird es auch wieder heller. Warum ich derzeit hier so wenig schreibe liegt daran, dass ich jedes Mal nach drei Zeilen bei der Welt­po­li­tik lande und gerade als Journalistin in einer politischen Redaktion besser auf­ge­ho­ben wäre als auf diesem sprachbetonten Blog.

Zugleich fällt mir bei der Art, wie gewisse böse Menschen andere Mitbürger, die aus welchen Gründen auch immer weniger erfahren sind in Sachen Weltlage und andere Völker, derartig böse ma­­ni­­pu­­lie­­ren, nur noch das Liebermannzitat über Hitlers Machtergreifung ein.

Allee in Overveen
Allee in Overveen
Seit dem Sommer kümmere ich mich in Berlin bei Bedarf um zwei Flücht­lings­fa­mi­lien aus Syrien, deren weibliche Familienoberhäupter aus un­ter­schied­li­chen biografischen Gründen Fran­zö­sisch sprechen. Sie sind Aka­de­mi­ker­in­nen und als Teil von Großfamilien her­vor­ra­gend vernetzt. Ein Teil der einen Familie kam Dezember nach. Die Frau­en kennen einander nicht. Unabhängig voneinander haben sie mir von ul­tra­mo­der­nen Schif­fen auf dem Mit­tel­meer erzählt, die als schwimmende Kli­ni­ken fun­gie­ren, wo für ir­gend­wel­che Super­rei­che mit­tel­los­en Flücht­lin­gen gegen Bares Organe ent­nomm­en wer­den.
Zum K*!

Von ihren Familienangehörigen und von anderer Seite weiß ich, dass das im Spät­herbst weniger geworden sein muss, in etwa seit die Russen, die dieser Tage ihre kämp­fen­den Truppen aus Syrien abziehen, Bashar al-Assad unterstützen. Wer im­mer da auch den Hahn am Abzug hatte, es kam unabhängigen Augenzeugen zufolge immer häufiger zu Flächenbombardements von der Art, dass alles Ent­zünd­li­che explodiert bzw. brennt und den Menschen in den Kellern kaum eine Chance auf Überleben bleibt (was immer da dem Sprengstoff beigemischt wurde).

Von ihnen weiß ich auch von den doppelten Raids, den "chirurgischen" Angriffen, die sehr häufig Krankenhäuser und andere öffentliche Gebäude zum Ziel haben, und bei denen zehn bis 30 Minuten auf den ersten Angriff ein zweiter folgt, weil nämlich dann alle Retter und Helfer die Verletzten unter offenem Himmel ver­sor­gen. Von ihnen weiß ich, dass ein Fünftel bis ein Drittel der Men­schen Sy­ri­ens über­haupt noch einer geregelten Arbeit nachgehen kann und dass das kei­ner ge­re­gel­ten Be­­zah­­lung gleichgesetzt werden darf.

Blumenterrassen
Die Blumenterrassen im Wannseegarten nach Südwesten
Von ihnen weiß ich, dass ma­xi­mal jedes zweite Kind in ihrer Hei­mat noch zur Schule geht, ver­mut­lich we­ni­ger, und dass et­wa noch jedes zwei­te Gebäude im Land nutz­bar ist. Die Zwillinge einer der Fa­mi­lien hätten in den Lagern in Nordafrika über vier Jahre keinen Unterricht ge­habt, wenn sich nicht die Eltern untereinander or­ga­ni­siert hätten. Bildung und Aus­bil­dung war für diese Familie einer der zentralen Gründe, weiterzuziehen.

Bezogen auf die Einwohnerzahlen Europas sind die Flüchtlinge, ihre Versorgung, Bildung und künftige Beschäftigung kein Problem. Das wahre Problem ist der Krieg in Syrien, von einer meiner Dolmetschkundinnen als Dritter Weltkrieg bezeichnet. Im Atomzeitalter finden Auseinandersetzungen räumlich begrenzt statt. Und in Syrien schlagen ca. ein Dutzend Gegner, Gruppierungen und Staaten, aufeinander. Ein Stell­ver­tre­ter­krieg, proxy war, guerre par procuration, wie er im Buche steht.

Und dann muss ich an deutsche Politiker denken, die heute Saudi-Arabien Waffen verkauft haben und an französische, die letzte Woche eine hochrangige saudische Person mit der Ehrenlegion ausgezeichnet haben. Was tragen diese Regierenden eigentlich dazu bei, den Krieg zu beenden? Statt­dessen un­dich­te Gren­zen zum Haupt­the­ma ih­rer Po­li­tik zu ma­chen ist un­ge­fähr so ziel­füh­rend, wie bei ei­nem Erd­be­ben den ka­put­ten Rie­gel einer Bal­kon­tür zu be­kla­gen.

Mir kommt wieder Max Liebermann in den Sinn. Und ich nehme kurz die kosmische Perspektive ein. Menschen in Not und in Todesgefahr nicht zu Hilfe zu kommen, das ist doch unterlassene Hilfeleistung, oder? In Syrien sind ganze Städte von der Versorgung abgeschlossen. In Berlin gab es einst eine "Luftbrücke".

Die Flüchtlinge sind unsere Flüchtlinge, die Flüchtlinge unserer Regierenden, Län­der und Bevölkerungen, das haben nur wenige Politiker verstanden, Norbert Blüm gehört dazu. Daher freue ich mich immer wieder über unsere Zi­vil­ge­sell­schaft, die die Ärmel hochkrempelt und die auch die Art des eigenen Konsums und des Wirt­schaf­tens in Europa längst infrage stellt.

Denn mit der Kli­ma­katastrophe werden weitere Klimaflüchtlinge und "Wirt­schafts­flücht­lin­ge" kommen, deren Le­bens­grund­la­gen dadurch zerstört werden. Völ­ker­wan­de­run­gen gehören zur Mensch­heit wie die Tatsache, dass wir auf zwei Pfoten laufen und nicht mehr auf vier. Ohne diese Wanderungen würden wir alle heute noch in Afrika hocken. Und Max Liebermann hätte nie die Sonnenflecken auf den Kies­we­gen malen können.


P.S. vom 16.3.: ... die Zivilgesellschaft, die die Ärmel hochkrempelt, während sich andere schamlos bereichern. Hier, was wir schon immer befürchtet haben: McKinsey und Flüchtlinge in Berlin.
P.S. vom 24.4.: Die Zivilgesellschaft, die nachliest: klick.
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Bilder: Max Liebermann, CCommons

1 Kommentar:

caro_berlin hat gesagt…

Den Verdacht, dass es sich um panzerbrechende Uranmunition gehandelt hat, hatten wir damals schon. Diesen Begriff "panzerbrechende Munition" hat vor Monaten der Spiegel bereits einmal im Zusammenhang mit russischen Waffen in Syrien gebracht. Nun also auch die Amerikaner.

Syrien: USA räumen Einsatz von Uranmunition ein


P.S.: Die Mutter der von mir betreuten syrischen Familie ist Ärztin. Sie haben dort ihre Söhne/Brüder verloren, ihr Mann ist schon länger tot. Die Familie hat nicht vor, dorthin zurückzukehren und integriert sich mit einer Geschwindigkeit, die mir sehr viel Respekt abnötigt.