Sonntag, 9. Februar 2014

Berlinalegeflüster: Reisen durch Zeit und Raum

Bon­jour oder bon­soir auf meinen Web­log­sei­ten aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine. Der­zeit rockt das Film­festi­val die Hauptstadt, und wir Sprachmittler sind in den Kulissen dabei. Hier können Sie Einblicke in einen weniger bekannten Beruf erhalten.
 
Im Internet gibt es Webseiten, die Übersetzungen für 0,02 Dollarcent das Wort ver­ticken oder so, Liefertermin für große Volumina: Morgen früh um neun. Gerne wird hier auch in Rupien gezahlt, denn so solchen Sätzen können und wollen wir Eu­ro­pä­er nicht arbeiten.

Neuer Berlinale-Spielort: Meine Küche
So, wie Phileas Fogg bei sei­ner Reise Auf 80 Tagen um die Welt durch die Zeitzonen hindurch einen Kalendertag "gewann", stellen es sich wohl auch solche Kunden vor: Beim Reisen der Aufträge über den Globus wird alles spottbillig, im Gegenzug dazu dehnt sich die Zeit. Das können al­len­falls hungerkünstlernde Fa­ki­re, die auf dem Na­gel­kis­sen im Über­schall­flie­ger sitzen.

Leider fühlt sich das Berliner Filmfestival exakt genauso an, zum Glück zu deutlich besseren Honorarsätzen. Die Berlinale schläft nie. So zumindest der Eindruck, den sie vermittelt. Wir Sprachmittler werden daher zu allen möglichen und un­mög­li­chen Zeiten einbestellt. Donnerstag: Dolmetschen bis in die Nacht, der Schlaf kam am Freitag gegen 3.00 Uhr. Nach vier Stunden Schlaf wieder raus, in die Pres­se­vor­füh­rung eilen, dann Pressegespräche dolmetschen, der Einsatz endet zum Glück früh.

Teil zwei des Arbeitstages findet nach einem Spätmittagsschlaf statt. Ich warte Stun­den darauf, dass das Video der Pressekonferenz zu meinem Samstagsfilm hochgeladen wird, die am Nachmittag stattgefunden hat. Die beste Vorbereitung auf Einsätze ist, neben dem Film auch viel zu lesen und zu hören, was in dem Kon­text verlautbart wurde — und wie. Ich lese und höre mich auf Jalil Lespert ein, den Regisseur des Films über Yves Saint-Laurent.

Zwischendurch coache ich eine filmaffine Kollegin, die noch nicht so viele 1000 Stunden wie ich mit Film zugebracht hat und die parallel zu mir Ter­mi­ne übernimmt.
Zu einer sehr vertretbaren Uhr­zeit lande ich in der Koje; der Schlaf ist gnädig und stellt sich so­fort ein, auch wenn ich völ­lig neben meinem Rhythmus bin.

Eingeklemmt zwischen Neubauten: Haus Huth
Samstag sitze ich viertel vor neun wieder in der U-Bahn und überfliege nochmal das Ma­te­rial. Der Tag ist für In­ter­views reserviert, die An­span­nung schlaucht sehr (und macht schön müde). Abends finde ich einen Zu­gang zu den Berlinale-Film­streams in der Mail, denn dieses Jahr gibt es min­des­tens zwei neue Orte, an de­nen Festivalfilme laufen.

Neben dem Zoo-Palast, der im Anschluss an seine Restaurierung als Spielort (wie­der) zu den Berlinalekinos hinzugekommen ist, hat die Berlinale dieses Jahr noch eine neue Spielstätte gewinnen können, tataaa, proudly presents: meine Küche! Der Abend gehört diesem Film, ich darf sehen, einlesen, einhören, dann so früh ins Bett wie möglich. Die Mitbewohner meiner Berlinale-WG berichten mir immer beim Früh­stück, was auf dem Festival eigentlich los ist.

Die Macher von "Jack und das Kuckucksuhrherz"
Sonntag sitze ich viertel vor zehn wieder in der U-Bahn, was folgt ist bekannt, nur eben anderer Ort, andere Stars, andere Interviews. Wir sitzen einem Berlinale-Kon­fe­renz­raum, das ist deutlich nüchterner als die sonst so plüschigen Hotel­suiten. Dafür haben wir einen schönen Blick aufs Haus Huth, das ein­zige alte Gebäude an der Alten Potsdamer Straße.

Zum Spätnachmittagsnickerchen lege ich mich in einem sonst leeren Berlinalebüro unter einen Tisch. Am frühen Abend sehe ich meinen nächsten Film dann wieder im Kino. Als ich kurz vor Beginn ankomme und in das ausgebuchte Kino rein­ge­las­sen werde, motzt jemand aus dem Warteschlange für den Nacheinlass, der leider ausfallen wird. Die Abendspielleitung klärt auf: "Sie ist eine Mit­ar­bei­te­rin und muss den Film aus dienstlichen Gründen sehen." Im Saal stehe ich den Film über neben dem Schalterkasten und kann im Bedarf die Lautstärke korrigieren (was ich in den Jahren als Kinoleiterin gelernt habe). So hat auch die Feuerwehr nichts gegen "aus­verkauft + 1", falls sie denn vorbeischauen sollte.

Nach dem Film treffe ich Pro­du­zen­ten aus Paris zu Apéro und Restaurant. Später eile ich für ein Stündchen auf eine Par­ty. Es ist mein erste Berlinale­par­ty dieses Jahr. Dann schnell wieder in die Heia.

Denn anders als der Nagelfakir in der Überschallmaschine brau­che ich meinen Schlaf — in echten Stunden gemessen.

______________________________
Fotos: C.E.

Keine Kommentare: