Mittwoch, 2. Oktober 2013

murmurer

Hal­lo auf den Sei­ten ei­ner blog­gen­den Sprach­frau. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer um­treibt, kön­nen Sie hier le­sen. Täg­lich be­schäf­ti­ge ich mich mit den Grund­la­gen der Arbeit, der Kultur.

Die Worte murmurer und "murmeln" gehören zu den sogenannten ono­ma­to­po­e­ti­schen Begriffen, was sie bezeichnen und wie sie klingen, ist mit dem Ge­mein­ten identisch.

Mittagspause, der Kopf ist genervt, weil sich die Welt so langsam dreht und ich mei­ne Buchungssituation für einen gro­ßen Auftrag am Monatsende erst in der Nacht oder morgen erfahre, denn ich kommuniziere mit der andere He­mis­phä­re. Ich lenke mich mit Bildungsfernsehen ab.

Und sehe mit viel Genuss Le dessous des cartes ("Mit offenen Karten") auf Arte. Die Reihe zeichnet dieser Tage die Ent­wicklung der Stadt Paris von der Re­nais­san­ce zur Aufklärung nach. Ich liebe auch die­se Form der Reise in die Stadt, in der ich studiert und mein Berufsleben begonnen habe.

Auf Merians Stadtplan zur Zeit von Henri IV, siehe oben, sind noch die Häuser auf den Brücken zu sehen, die auch von Patrick Süßkind im Buch "Das Parfum" so ein­dring­lich be­schrie­ben worden sind. Beim Wiedersehen dieser Bilder bin ich über­rascht: Auf den Brücken standen damals nicht nur Gebäude, die so aussehen wie gewisse neue "Townhouses" im Berliner Regierungsviertel, sondern die Ener­gie­ge­win­nung mit dem Mühlrad war quasi gleich im Keller. Das ist hochaktuell!

Die Sendung regt zum Lesen an. In Sachen altes Paris muss ich Victor Hugo zur Hand nehmen, Notre Dame de Paris, dessen einer Teil sogar "Paris aus Luft­pers­pek­ti­ve" heißt (Paris à vol d'oiseau). Da gibt es diese wunderschöne Stelle über das erwachende Paris, die ich einst auswendig konnte: Et si vous voulez re­ce­voir de la vieille ville une impression que la moderne ne saurait plus vous don­ner, mon­tez, un matin de grande fête, au soleil levant de Pâques ou de la Pen­te­côte, montez sur quelque point élevé d'où vous dominiez la capitale en­tière, et assistez à l'éveil des carillons. Voyez à un signal parti du ciel, car c'est le soleil qui le donne, ces mille églises tressaillir à la fois. Ce sont d'abord des tintements épars, allant d'une église à l'autre, comme lorsque des musiciens s'avertissent qu'on va commencer; puis tout à coup voyez, car il semble qu'en certains instants l'oreille aussi a sa vue ..."

Den Text muss ich mal wieder üben. Auswendiglernen von |rhetorischen Struk­tu­ren| besonders schönen Texten war eine gute Vorbereitung auf den Dol­met­scher­be­ruf.

Gerne würde ich jetzt auch die rein deutschsprachigen Leser an meinem Schwel­gen teilhaben lassen, aber ich habe die Übersetzung nicht zur Hand und kenne auch nicht diese Vielzahl an deutschen Vokabeln, um Glöckchen und Glocken und ihre Klänge zu beschreiben, spontanes Übersetzen ist also Fehlanzeige.

Hugo, der hier an das alte Paris erinnert, das er nur in den Klängen wiederfand, gilt als erklärter Erzfeind des Barons Haussmann, der nach 1852 zur einheitlichen Gestaltung der Stadt (und zum "Masterplan") wesentlich beigetragen hat. In Berlin wohne ich in der Nähe der Hobrechtstraße. Unterschied: Den meisten Berlinern muss ich erklären, wer Hobrecht war, die Pariser kennen ihren Haussmann, auch, weil ein Boulevard (in dem Wort steckt das deutsche "Bollwerk") nach ihm heißt.

Ach ja, und dann wird noch von der Pariser Mauer berichtet, le mur des fermiers généraux, die Pariser Mauer der Generalpächter, ab 1785 erbaut und bis zur Fran­zö­si­schen Revolution in Betrieb gewesen. Es war eine Mauer, die aus wir­tschaft­li­chen Grün­den errichtet worden war, der Zollzahlungen wegen. Damals ärgerten sich die Pariser sehr über diese Eingrenzung, der Spruch le mur murant Paris rend Paris murmurant beschreibt genau das: Die Mauer, die Paris umgibt, lässt die Pariser ... murmeln, nein, "mosern" ist hier gemeint.

Vor der letzten deutschen Revolution, dem Mauerfall, habe ich Franzosen, denen ich Berlin zeigen durften, re­gel­mä­ßig beschrieben, wie wenig sich die Berliner dies- und jenseits des "raum­tei­len­den Bauwerks" (Peter Schneider) in den Jahren vor 1989 über selbiges aufgeregt haben.

Ich sagte dann schon mal: Le mur murant Berlin ne rend Berlin pas murmurant.

P.S.: Das Warten war erfolgreich, Rumgemurmel eigentlich nicht nötig, denn 15.00 Uhr kam die Bestätigungsmail für den (vermeintlichen) Wackelauftrag an. (Auswertung dieser Erfahrung folgt Anfang nächster Woche.)


Linktipp: Weiter geht es heute Abend mit meiner geliebten université de tous les savoirs, heute auf Canal U, dem Web-TV französischer Unis.
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Illustrationen: Arte

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