Dienstag, 3. September 2013

Ende der Sommerpause

Hallo beim Weblog aus der Dolmetscherkabine. Hier schreibe ich über meinen immer wieder sehr abwechslungsreichen Alltag. Ich dolmetsche aus der und in die französische Sprache (und aus dem Englischen).

Im Büro herrscht die Ruhe vor dem Sturm: Drei Kosten­vor­an­schlä­ge, zwei Optionen, die schon erwähnten zwei Dreh­bü­cher stehen schon auf dem Pro­gramm. Die Bü­ro­pla­nungs­pha­se hat ergeben, dass ich ein neues Stehpult brauche, mei­nes ist instabil, es ist das auf­ge­bockte kleine Schreib­tisch­chen aus Stu­den­tin­nen­zei­ten. Ich sehe mich also um.

Und plane dabei gleich Veränderungen auch am privaten Wohnbereich. Das alte Kleidermobil im Schlafzimmer nervt, ich habe einen Jugendstilkleiderschrank geerbt, der aber nicht passt, also habe ich das Um-drei-Ecken-Erbstück verkauft und suche nun nach einem Möbel, das sich zudem stilistisch mit der Spät­bie­der­mei­er­kom­mode meiner Ur-Urgroßmutter vertragen soll.

Dann steht die Vorbereitung auf die Übersetzerprüfung an. Hintergrund: Ich be­nö­ti­ge zum französischen akademischen Abschluss und zum diplôme der Pariser Han­dels­kam­mer noch einen deutschen Abschluss hinzu, wenn ich mich bei deutschen Gerichten beeidigen lassen möchte. Vive l'Europe ! Ja, es gibt Bereiche, in denen feiert das gute, alte, deutsche |Kasten-|, nein Kammer- und Zunftwesen fröhliche Urständ'.

Im Berufsalltag zählt vor allem die Erfahrung. So wie neulich. Da klingelte mich Kevin (*) aus den Federn. Er hat ein wun­der­bares Lachen, breite Schul­tern, son­nen­ge­gerb­te Haut und ist gekleidet, als käme er gerade vom Sport­platz. Kevin verdient seine Bröt­chen mit einem ebay-Shop. Viele seiner Kunden le­ben in Italien, Eng­land und Frankreich.

Bis vor einiger Zeit hat sich eine Studentin um die französischsprachigen Käufer gekümmert, nun stand er ohne Hilfe und mit einigen massiven Kom­mu­ni­ka­tions­pro­ble­men da, so kam er auf den Gedanken, sich eine Dolmetscherin zu suchen.
Wenig später erklärte er mir bei einem Kaffee sein "Bizness" und was letzten Mo­nat schiefgelaufen war. Ich notierte flink Vokabeln wie "Spurverbreiterung" (élar­gis­seur de voie), "Reifendiebstahlschutz" (anti-vol de roue) und "Radbolzen" (bou­lons) bzw. schlug nach, was fehlte. In zwei kurzen Telefonaten und einer Mail konnte ich die Sache klären.

Kevin staunt: "Aber hallo, das lief ja butterweich ... und mit so wenig Stich­­wor­ten!"

Tja, glernt isch glernt sagten Äffle und Pferdle in den 1980-er Jahren im schwä­bi­schen Regionalfernsehen, es sind die "Mainzelmännchen" Stuttgarts. Solche volks­tüm­li­chen Anwandlungen beschleichen mich, wenn ich mit der Welt von Au­to­mon­ta­ge, Schmieröl und Versandhandel in Kontakt gerate. Die Bauteile gehören zum pimp-my-car-Programm, das mein Kunde anbietet. Ich grinse über mich selbst: Dieser Job muss mir eigentlich mehrfach befremdlich erscheinen. Ich habe nicht einmal einen Führerschein (Westdeutsch) / eine Fahrerlaubnis (Ost­deutsch).

Ich nehme lieber das Rad. So wie in den letzten Tagen häufig, wenn ich nach Schö­ne­berg möchte. Französischparlieren mit einem besonderen kleinen Mann war angesagt, der für seine wenigen Lernjahre schon viel kann, dem aber eine gewisse Selbst­ver­ständ­lich­keit im Sprechen fehlt (von seiner Schule, dem Französischen Gymnasium, anders gewünscht).

Da ich von ihm die Rückmeldung erhalten hatte, dass die Lehrer kaum Lern­me­tho­den vermitteln, kümmerten wir uns auch darum: Vo­ka­bel­heft, Post-its, Lern­par­cours und unterstützende Gesten, Landkarten von se­man­ti­schen Feldern (champs linguistiques) entwickeln, wir haben einiges be­leuch­tet, das ich in den nächsten Wochen hier in loser Folge (z.T. erneut) vorstellen möchte. (Warum früher Zweit­spra­chen­er­werb super ist, haben kürzlich die Unis von Montréal und Oxford be­schrie­ben.)

lait frappé aux bananes — Bananenmilch
Dabei quatschten wir täglich über zwei Stunden, tranken Bananenmilch, buken "zer­strit­tene Eier" (œufs brouillés hei­ßen Rühreier auf Fran­zö­sisch), gingen viel raus. Abends fiel das Kind müde und zu­frie­den ins Bett.
Heute ist la rentrée scolaire für alle 12 Millionen Schüler Frank­reichs, damit auch für die deutschen Schüler des collège français de Ber­lin.

Ich wünsche ein schönes und erfolgreiches Schuljahr, auch den Freunden in Paris, Blois und Marseille! Den Studenten wünsche ich einen entspannten Se­mes­ter­auf­takt (hat ja noch etwas Zeit), den mitlesenden Freiberuflern einen guten Herbst!

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Fotos: C.E.
(*) Kevin heißt natürlich nicht so.

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