Mittwoch, 15. Mai 2013

Tonlagen (und Wertschätzung)

Bonjour ! Schön, dass Sie mein Blog an­ge­steu­ert (oder die Sei­ten abon­niert) ha­ben! Hier schrei­be ich über den wechsel­vol­len All­tag von uns Sprach­mittlern. Als Über­­setzerin und Dol­met­scherin für die fran­zö­si­sche Sprache arbeite ich zum Beispiel in Berlin ... für die Bereiche Medien, Wirtschaft, Politik und Soziales.

Minister Georges Mandaoué blättert am anderen Ende des Tisches in einem Dokument, die Dolmetscherin spricht ins Mikrophon und hat viel Arbeitsmaterial um sich herum ausgebreitet
Minister Georges Mandaoué, Dolmetscherin
Als ich im Büro darauf warte, mit dem Wa­gen abgeholt zu werden, erhalte ich eine SMS: "Wir haben unseren Minister ver­loren!" Die Herren kommen zwar von weit her, sind aber seit dem Vorabend in einem Hotel Unter den Linden un­ter­ge­bracht, daher mache ich mir keine Sor­gen. Und liege richtig. Wenig später kommt eine zweite Nachricht aufs Handy, Entwarnung, ça y est, die Herren fahren los.

Das Moment mit dem verloren­ge­gang­en­en Minister war wie ein kleiner Vorbote für anderthalb Dolmetschertage, der sich voll und ganz erfüllt hat: Die Tage waren höchst ungewöhnlich, was zum Großteil am Team lag.

Der Arbeitsminister Neukaledoniens hielt sich mit kleiner Entourage in Berlin auf um zu erfahren, wie junge und benachteiligte Menschen hierzulande in den Ar­beits­markt integriert werden. Wir eilten von Termin zu Termin, sahen Werk­stät­ten, Schu­lungs­räu­me, eine Beratungseinrichtung mit integriertem Kindergarten und das Job­cen­ter von Treptow-Köpenick.

Als Dolmetscherin habe ich zu diesem Bereich schon wiederholt gearbeitet, das letzte Mal vor einem Jahr, der erste große Einsatz war 2007, der allererste kleine Einsatz vor den Hartz-Reformen. Wenn ich meine Lexiken zum Thema ansehe, kann ich die Veränderungen klar nachzeichnen. Das "Arbeitsamt" ist tot, wir haben mit einer "Agentur für Arbeit" und dem "Jobcenter" zu tun.

Jene, die dort aufschlagen, um Hilfe zu erhalten, werden "Kunden" genannt, was mich dauer­haft irritiert. Als Kundin bin ich König (Königin!), ich habe die Wahl zwischen ver­schiedenen Anbietern; hier stimmt wohl beides nicht. Nach einigem Nach­den­ken habe ich die Lösung für den Begriff, der vom englischen client kommt, eine Über­tra­gung wohl ohne Berücksichtigung der Tatsache, dass die deutsche Sprache für das englische Wort sowohl den "Kunden", als auch den "Klienten" kennt. Ich per­sön­lich hätte "Klient" für angemessener empfunden, aber das hat in den Augen derer, die die Wörter festgelegt haben, sicher zu sehr nach der Welt der Anwälte und Psychologen geklungen und zu kompliziert für die zum Teil eher wenig gebildeten Menschen, die zur Zielgruppe der Einrichtungen gehören.

Mit Sprachniveaus habe ich es auch bei den Fachgesprächen zu tun. Einmal klärt die Delegation rasch unter sich etwas ab, halbe Sätze fliegen hin und her, am Ende kommt so etwas wie eine kleine Frage auf, die aber nicht gestellt wird. Alle sehen mich an. Ich hatte abgewartet, das Hin und Her nicht simultan verdolmetscht, weil es mit dem Bezug auf Interna losging und dann voller Begriffe war, die ich in der Situation einfach nicht wiedergeben konnte (eigentlich nicht mal abends in der Kneipe, wenn ich denn mit den Betreffenden abends in die Kneipe ginge).

Gruppenbild, fünf Herren, eine Dame
Gruppenbild mit Minister vor einem Berliner Jobcenter
Die Blicke ruhen weiter auf mir. Ich nicke und sage den Dolmetsch"kunden" im Af­fen­tem­po: "OK, ich wähle aber diplomatischere Be­grif­fe!" ... und lege los. Unsere Gast­geber haben davon nichts mit­be­kom­men. Später er­zäh­len mir die Herren aus Nou­méa, dass es typisch für Neukaledonier sei, mit der­ben Wörtern um sich zu wer­fen; man hoffe, ich sei nicht schockiert.

Zum Glück kann ich den Gästen erklären, dass die Berliner Umgangsformen mit­unter auch etwas handfester sind. Und ich grinse still, als der Staatssekretär zwi­schen­durch zu seinem Chef sagt: "Du, Minister, jetzt komm' doch mal auf den Punkt!" Das ist nur möglich, weil von Minister Georges Mandaoué eine sehr an­ge­neh­me, natürliche Autorität ausgeht und die Herren eine hohe kommunikative Kultur mitbringen, in der zielführende Kritik zum guten Ton gehört.
Merci beaucoup, Messieurs, et bon retour !

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Fotos: privat

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