Dienstag, 17. Juli 2012

Schriftsprache

Willkommen beim einzigen Blog Deutschlands, das (seit 2007) in der Dolmetscherkabine geschrieben wird. Hier lasse ich — an manchen Tagen auch vom Übersetzerschreibtisch aus — unseren Alltag als Sprachmittler Revue passieren. Über die Jahre habe ich mich auf Politik, Wirtschaft, Film und Medien spezialisiert.

"Der bringt ja keinen einzigen Satz zu Ende!", entrüstet sich die Redakteurin. Wir sitzen im Hotel, transkribieren Interviewsequenzen, übersetzen parallel. Denn ergänzend zum TV-Beitrag braucht der Sender Infos für seine Webseite. Die Journalistin, die letzte Woche das Interview auf Französisch geführt hat, spricht einigermaßen Deutsch, aber für die zweisprachige schriftliche Fassung des Gesprächs reicht es nicht.

Sie transkribiert und ist auch entsetzt darüber, wie langsam das geht. In der letzten Stunde hat sie gerade mal acht Minuten 'verschriftet'. Ich arbeite parallel und übersetze gleich ins Deutsche. Daneben surfe ich im Netz. Nicht, dass ich mich hier von der Arbeit ablenken ließe, ich lese und höre mich in die Person des Interviewten ein.

Zum Glück findet sich viel Hintergrundmaterial im Netz an: ein BBC-Interview, Radioausschnitte, Zeitungsartikel. Dann vervollständige ich die Sätze nach bestem Wissen und Gewissen, "schneide" logisch aufeinanderfolgende Halbsätze aneinander, baue einen Text, der Hand und Fuß hat.

Das lebendige Moment des Interviews bleibt erhalten, ohne dass der Sprecher wie ein zerstreuter Professor wirkt. Manchmal lasse ich einen Satz mit drei Pünktchen enden, vor allem dann, wenn die Journalistin wirklich mit einer (Rück-)Frage reingegrätscht ist. Und auch das, was "zwischen den Worten" zu hören war, also das, was hier und da nur angeklungen ist, findet sich am Ende zwischen den Zeilen wieder.

So werde ich vor ihr fertig, was aber nur an der Erfahrung liegt, die ich über die Jahre gesammelt habe. Ich hole uns was zu essen ... anschließend wenden wir uns zu zweit der französischen Fassung zu. Der deutsche Text wird zum "Master", wir vollziehen alle Freiheiten nach, die ich mir beim 'Verschriften' nahm. Die Kollegin, die noch unerfahren in der Verschriftung von Interviews war, hatte zu sehr am "Original" geklebt.

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Foto: C.E.

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