Sonntag, 11. März 2012

Hinterhaus

Heute werde ich in der Rubrik "Sonntagsfotos" ein wenig privat. Vor einer Woche habe ich in meinem Geburtsort Marburg gedolmetscht, und es blieb hinterher Zeit für eine kleine private Tour durch die Stadt.

Gelebt haben wir in den ersten Jahren an der Wettergasse in einem Hinterhaus mit Terrasse und Garten, sehr idyllisch, am einen Ende der Wasserscheide. Dieser merkwürdige Begriff kommt daher, weil dort auf der Höhe eines kleinen Hügels, den die Wettergasse erklimmt, das Wasser entweder zur einen oder zur anderen Seite abfließt. Seit Generationen, so wird es überliefert, malten die Studenten der Stadt einen Regenbogen auf die Straße. Und an einem Fuße dieses Regenbogens war also die Haustür, durch die man (durch einen Gang) zu uns gelangte. Heute hat ein kleines Forum, das genau auf der Wasserscheide liegt, den Regenbogen ein wenig verschoben. Schade, die Sache war so schön poetisch.

Poesie und Kunst spielten schon früh eine Rolle in meinem Leben, nicht nur durch die Ahnenbilder im großen Zimmer (von denen links noch etwas von den Rahmen zu erkennen ist). Die Fotos meiner ersten Tage sehen aus wie die perfekte Nouvelle-Vague-Kindheit. Das gefällt mir.
Vor elf Jahren habe ich in Marburg bereits Kameramann Raoul Coutard meine Stimme geliehen. Damals kamen wir bei einer Stadtbesichtigung auch an besagtem Haus in der Wettergasse vorbei, augenzwinkernd konnte ich wie Belmondo in "Außer Atem" sagen: "In diesem Haus habe ich meine Kindheit verbracht!" — Vraiment ? Oui, wirklich, Monsieur ! Also im Hinterhaus dieses Gebäudes jedenfalls.

Später an diesem Wochenende sind ein Freund und ich auch das Hinterhaus besuchen gegangen: Zu meinem großen Entsetzen stand es offen und war leer.

Dieses Mal war es ähnlich, erneut stand die Haustür zur Straße offen, und doch ganz anders: Das Hinterhaus ist wieder bewohnt und befindet sich noch mitten im Umbau! Der Gesamteindruck ist vieeel besser als zu Beginn der Nuller Jahre, auch wenn hier oft die falschen Materialien verwendet werden ...

Links neuerdings eine Fluchttreppe
Damals waren Dacharbeiten im Gange

Leider war es neblig an diesem Tag (wie am ganzen verlängerten Wochenende. Ist Marburg ein Nebelloch? Habe ich gar nicht so in Erinnerung!) Dass die Frontseite des Dachstuhls nur aus Dachsparren besteht, wusste ich auch nicht mehr.

Aber ein Kleinkind schaut auch nicht auf die Architektur. Ich dachte über die Isolierung nach, fragte mich, ob wir's oft kalt hatten ... und wunderte mich ein wenig über den "Tafelberg", der da rechts gemauert wurde. In meiner Kindheit blickte ich hier auf Mauer und Fels, aus dem der Bauplatz zum Teil herausgehauen worden war.


Unsere Eingangsreppe zum 1. Stock wurde aufgegeben, dafür die Ter­ras­se ver­grö­ßert, über die die Wohnung jetzt betreten wird. Und die heutigen Mieter haben wie einst meine Eltern einen Sichtschutz aus Bambus angebracht! Dafür riecht es völlig anders, gar nicht mehr nach feuchtem Moos und Heizöl wie damals. Und natürlich ist alles sooo klein "geworden" ...!

______________________________
Fotos: privat (Fotolegende oben von meinem
Großvater)

Keine Kommentare: