Donnerstag, 29. Dezember 2011

La trêve des confiseurs

Willkommen beim einzigen Blog Deutschlands, das in der Dolmetscherkabine entsteht. Hier denke ich (an manchen Tagen auch vom Übersetzerschreibtisch aus) über unseren Alltag als Sprachmittler nach. Dabei ist der Schwerpunkt mit meinen Arbeitssprachen identisch: Französisch und Deutsch. Heute gehe ich einem Begriff auf den Grund, der (indirekt) etwas mit den deutsch-französischen Beziehungen zu tun hat.

"Zwischen den Jahren" ist ein Ausdruck, der die Woche zwischen Weihnachten und Neujahr bezeichnet. Die Franzosen kennen einen anderen Ausdruck für diese ruhigen Tage: la trêve des confiseurs.

Dröseln wir's der Reihe nach auf. La trêve bedeutet "Gefechtspause". Für einen Augenblick schweigen also die Waffen, zwischen Deutschland und Frankreich fällt mir dazu immer diese Episode aus dem Ersten Weltkrieg ein, um die herum 2005 sogar ein Spielfilm gestrickt wurde, Joyeux Noël von Christian Carion, der in Deutschland unsinnigerweise unter dem Titel "Merry Christmas" ins Kino kam.

Dann ist da noch das Wort confiseurs. Es kommt von confir — in Zucker/Essig einlegen, es handelt sich also um ein Verfahren der Haltbarmachung. Confit de canard kennen viele, es steht auch so auf deutschen Speisekarten, weil sich "eingemachte Ente" nicht so gut liest. Bei den confiseurs ist aber die Zuckervariante gemeint, wie zum Beispiel süß eingelegte Früchte, um nur citrons confits zu nennen, oder anderes Naschwerk, das vermehrt in der kalten Jahreszeit verzehrt wird. Das deutsche Wort "Konfekt" stammt übrigens aus der gleichen Wortquelle, dem lateinischen confectum.

Nun ruhen zwischen den Jahren nicht die Waffen der Zuckerbäcker, sondern der allgemeine Rückzuck ins Privatleben wird als eine Art Pause des politischen Lebens verstanden, die zugusten diverser Verkäufer von Feinschmeckereien und  Händler anderer Dinge eintritt. Denn wie in Deutschland auch geht das französische Parlament Ende Dezember in eine Pause, und auch die allgemein aufgeworfenen Debatten sind, um den kurzen Frieden zum Jahresende nicht zu gefährden, eher zahm.

Der Begriff trêve des confiseurs entstand als ironische Reaktion auf eine Atempause, die den Einwohnern der französischen Hauptstadt Ende des 19. Jahrhunderts dekretiert wurde, so geht es jedenfalls aus den Erinnerungen des Duc de Broglie (*) hervor, einem Politiker dieser Zeit. Um den vom deutsch-französischen Krieg, von Commune und Belagerung geschwächten Einwohnern der französischen Hauptstadt (und anderer Städte) Luft für die Wie­der­auf­nahme der Wirtschaft zu lassen, legten die Politiker im Dezember ihre erbitterten Machtkämpfe um die Verfassung der Dritten Republik ad acta. De Broglie schrieb:
On convint de laisser écouler le mois de décembre [1874], pour ne pas troubler par nos débats la reprise d'affaires commerciales qui, à Paris et dans les grandes villes, précède toujours le jour de l'an. On rit un peu de cet armistice, les mauvais plaisants l'appelèrent la trêve des confiseurs.
Auf Deutsch: "Wir beschlossen, den Dezember [1874] ver­strei­chen zu lassen, um mit un­se­ren Debatten nicht die Wie­der­auf­nahme der Handels­ge­schäf­te zu stören, die in Paris und den anderen großen Städten immer dem Jahres­wechsel vorausgehen. Man lachte ein wenig über diesen Waffen­still­stand, Witzbolde nannten sie trêve des confiseurs."

Dieser Begriff dockt wahrscheinlich auf einem anderen Ausdruck auf, der mit einer vergleichbaren Unterbrechung zu tun hat: la trêve de Dieu, Gottes Waffenruhe also, die König Ludwig IX. von Frankreich 1245 verfügte. Kriegerische Handlungen sollten für den Zeitraum des Advents bis Weihnachten ausgesetzt werden.

Über französischen Advent habe ich ja bereits geschrieben. Und irgendwie ist der politische und gesellschaftliche Teil dieser Gefechtspausen dann auf die Zeit nach Weihnachten zusammengeschmolzen.


(*) Broglie, Albert, duc de (1821-1901)
[Dieser Name wird nicht wie "Mogli" aus dem "Dschungelbuch" ausgesprochen, sondern so, als würde sich der Name Breuil schreiben.]
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Foto: C.E.

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