Dienstag, 21. Juni 2011

Geschichte und Musik

Diese Woche widme ich mich in meinem öffentlich geführten Arbeitstagebuch als Übersetzerin und Dolmetscherin dem Thema "Referenzen". Weiter geht's mit Geschichte und Musik.

Mein Sprachberuf beeinflusst auch das Privatleben, denn um gut zu sein, muss ich meine Arbeitssprachen täglich pflegen. Also gehe ich abends oft ins Kino (oder in die gutsortierte Videothek) und sehe französischsprachige Filme. In Berlin gibt's sogar französisches und englisches Theater, außerdem zahlreiche französischsprachige Konferenzen, Stammtische, Freundeskreise, Alumni-Clubs und Abende am Molkenmarkt in den Räumen des deutsch-französischen Jugendwerks. Jeden Werktag (außer in der Sommerpause) gibt es in Berlin irgendwo mindestens ein französischsprachiges Ereignis, an manchen Tagen stehen sogar mehrere zur Auswahl, so dass ich manchmal erst zur Konferenz gehe und mir dann noch einen Absacker beim Stammtisch genehmige.

RFI-Hörerclub
Berlin ist auf dem besten Weg, eine französische Stadt zu werden. Grund dafür ist auch die unerfreuliche Tatsache, dass es in Paris immer schwieriger wird, einen normalen Alltag zu leben, was schlicht mit bezahlbarem Wohnraum losgeht. So erlebt die französischsprachige "Community" Berlins derzeit den stärksten Zuzug von Franzosen seit dem Widerruf des Toleranzedikts von Nantes durch Ludwig XIV. (1685), in dessen Folge sich in Berlin und Brandenburg viele Hugenotten ansiedelten.

Heute fliehen gerade viele junge Franzosen aus einer Gesellschaft, die ihnen oft versteinert vorkommt. Berlin sei so viel offener, durchlässiger und neugieriger auf das, was sie mitbringen, höre ich immer wieder. Oft ist der Zuzug nur auf Zeit. Gerade unter bildenden Künstlern gehörten ein bis drei Berliner Jahre inzwischen zu einer anerkannten Biografie, bestätigte mir ein Pariser Kunsthändler bei 48 Stunden Neukölln meine Vermutungen. Und für die Franzosen gilt, was auch für die Deutschen gilt: Berlin ist das Atelier, verkauft wird woanders.

Als Übersetzer und Dolmetscher bekommen wir das übrigens auch schlicht und ergreifend darüber mit, was im (virtuell werdenden) Büro angefragt wird: Übersetzung und Beurkundung von Ausweisen, Ehefähigkeitszeugnissen und Kaufverträgen von Wohnungen, die wir allerdings an eine Fachübersetzerin für Juristisches aus dem Netzwerk weiterleiten. Denn so manche(r) findet in Deutschland seine bessere Hälfte und richtet sich hier häuslich ein ...

Diese neuen Deutschfranzosen sind also aus ganz praktischen Gründen auf die Schienen des Deutschfranzösischen gelangt, sie haben die Kultur nicht "inhaliert", die noch meine Generation der Kriegsnachgeborenen geprägt hat: Die Kultur der Wiederannäherung nach "WW2", wie anglophone Menschen sagen, die Völkerverständigung mit dem einstigen "Erbfeind", die Frühzeit der deutsch-französischen Beziehungen, die unsere Lehrer mit begründet hatten.

Tandem Berlin
Das wurde mir letztens bei einem deutsch-französischen Stammtisch deutlich. Ich spreche mit Julien, der meine Generation ist, und zwei Endzwanzigern. Was einst für Pariser Salons galt, hat heute in Berlin nichts von seiner Aktualität verloren: Es ist chic, sich mit knappen, an Aphorismen erinnernden Worten vorzustellen, die Witz und esprit beweisen. Bislang hat bei mir der die Situation vereinfachende Satz ganz gut funktioniert: "Meine Familie ist seit Generationen ziemlich kosmopolitisch, und meine Eltern haben sich in Göttingen kennengelernt." Meine Vorfahren waren mehrsprachig und betrieben ihr Handelsunternehmen über mehrere Ländergrenzen hinweg; und "Göttingen", das Lied von Barbara, verweist auf eben diese Grundlagen der deutsch-französischen Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg.
Dieses Mal aber sitze ich Leuten gegenüber, denen ich erklären muss, was das Lied von 1968 für Frankreich bedeutet hat. Hier ist es:


Und noch einige der Netzwerke:
Connection emploi, die deutsch-französische Jobbörse bzw. auf XING
Tandem Berlin, deutsch-französischer Stammtisch
Hörerclub von RFI Berlin (meistens französischsprachige Events)

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Illustrationen: C.E. und Tandem Berlin

1 Kommentar:

Vega hat gesagt…

Hier hat Pascal Thibaut sehr gut drüber geschrieben. Gruß, B.