Donnerstag, 7. April 2011

Dolmetschen im Kiez

Wir schreiten voran wie vier Cowboys auf dem Gang über den Dorfplatz, wir zwei Dolmetscherinnen, eingerahmt von zwei Polizisten in Zivil, die im Kiez aber wohlbekannt sind. Ort: Berlin-Neukölln, Situation: Tagung und Begegnung mit Leuten aus der Sozialen Arbeit zwischen Neukölln und Clichy-sous-Bois. Hinter uns gehen die Gäste aus Frankreich und ihre deutschen Kollegen.
Schon 2008 begleiteten wir diese spannende Begegnung, die seither alle zwei Jahre in Berlin, zwischendurch in Frankreich, genauer, einem Pariser Vorort stattfindet. Und während der Polizist erklärt, dolmetschen Kerstin und ich im Wechsel. Zwischendurch legen wir auch Strecken ohne Erläuterungen zurück.

Dann erzählt der Leiter des Nachbarschaftsheimes aus dem Kiez etwas über eben diese Gegend, ich schnappe ihn mir, lasse ihn wiederholen und vertone. (Meine Vergangenheit als Radiojournalistin kommt mir da zugute.)
Einen solchen Spaziergang durch einen Stadtteil, in dem oder in dessen Nähe ich lebe, begleite ich mindestens ein Mal im Jahr.
Für die Zuhörer ist es ein Angebot, etwas über den Ort zu erfahren; sie folgen uns mit den Empfängern und den Kopfhörern auf den Lauschern. Wer sich "à propos und was ich schon lange mal sagen wollte" mit dem Nachbarn verplaudert, dreht einfach den Ton ab. Mit dabei sind Lehrer, Erzieher, Ehrenamtliche, Juristen, Abgeordnete und Verwaltungsleute aus den Kommunen.
Und etliche haben Fragen, die sie auch uns Dolmetschern stellen ... Unsere Vertonung der Gespräche wird zu einer Mischung aus einer Radiosendung und "Amélie von Montmartre", die einem Blinden den Kiez erklärt, nur ruhiger.
Auf unserem Gang zur besten samstäglichen Nachmittagszeit begegnen uns kaum Erwachsene, aber viele Kids.
Von denen hatten wir einige am Vortag schon in verschiedenen Einrichtungen gesehen; sie sind munter, neugierig, offen. Es macht Spaß zu sehen, wie alles, was gesagt wird, begierig aufgenommen wird. Kurz zuvor waren wir einer anderen Gruppe begegnet: Eine französische Staatssekretärin wollte sich das Projekt ansehen und wurde von Journalisten interviewt.
Kerstin, die grad dran ist, schieben diese das Mikro unter die Nase und kommen meiner Dolmetschkollegin dabei auch selbst von Frage zu Frage näher. Sie findet das anstrengend, denn keiner hatte sie darauf vorbereitet. Die Nichteinhaltung des eigenen Luftraums, das Brechen ungeschriebener Distanzregeln in einem abgegrenzten Interaktionsraum, empfinden Menschen auch so schon als bedrohlich; beim Dolmetschen, wo die Konzentration stark von der Sprache absorbiert wird, erleben wir körperliche Dinge, Grimassen oder Gelächter wie durch ein Vergrößerungsglas. Dann ist Beate an der Reihe, die dritte Dolmetscherin, die vorher schon die Staatssekretärin begleitet hatte ...

Die Tage vergehen wie im Fluge: Begegnungen in sozialen Einrichtungen, im Tagungs- und im Rathaus, bei Arbeitsgruppen, gemeinsamen Mahlzeiten, Plenarsitzungen, einer Theateraufführung, es wird nicht langweilig. Auch viele neue Begriffe halten uns auf Trab.

das dfjw förderte diese Begegnung
Am letzten Tag sagte einer der Polizisten, mit dem wir durch den Rollbergkiez gegangen waren, dass er ja gar nicht wisse, wie er die nächsten Tage ohne die freundlichen Stimmen auskommen solle, die immer alles synchronisierten. Merci, Monsieur und Danke auch an alle anderen! Diesmal bekamen wir sogar anerkennende Worte von den Veranstaltern, die zwangsläufig auch mal reinhörten in unsere Verdolmetschungen.


Dazu ein Hörfunktipp.
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Fotos (zum Vergrößern anklicken): C. Elias

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