Donnerstag, 24. Februar 2011

Niedere Mathematik

Will­kom­men auf den Sei­ten des 1. deut­schen Web­logs aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine. Ne­ben der münd­lichen Sprach­ar­beit bin ich auch schriftlich tätig, also als Über­setzerin. Hier be­richte ich aus meinem viel­fäl­ti­gen Berufs­alltag.

Beim Kalkulieren von Jobs brauche ich immer einen Computer, um Texte aus­zu­zäh­len und das Honorar zu errechnen, Zeit zum Lesen (für das Sprachniveau) und einmal Nachtschlaf, bitte.

Mein Kopf ist nicht zahlenaffin. Im Gegenteil, ich weise alle Symptome einer Dyskalkulie auf, die bei mir nur deshalb nicht attestiert wurde, weil zu meiner Zeit noch niemand davon gehört hatte (bzw. im süddeutschen Bundesland, in dem ich die Gymnasialzeit verbrachte, vermutlich bis heute noch nicht).

Kurz: Ich neige dazu, Zahlen zu verdrehen und zu spiegeln (Schreibschrift-E ist gleich handgeschriebene 3, ist doch logo, oder?) Zahlen bedeuten für mich nicht automatisch ihre Größen; ich muss genau hinsehen.

In meinem (aus wissenschaftlicher Perspektive betrachtet) doch recht jungen Le­ben hatte ich schon mit einigen Neurolinguisten und Hirnspezialisten zu tun, die nach dem Austausch der ersten Fakten gleich einige Mutmaßungen in Richtung Schnelligkeit und anderer Eigenschaften dieses meines Zentralorgans äußerten, die so falsch nicht waren. Kurz: Ich selbst hatte mich schon mit meinem Ein­zel­schick­sal als Mathe-Idiot abgefunden und meine sprachlichen Talente als gerechten Ausgleich interpretiert. In die Gefilde der Höheren Mathematik bin ich nie vorgedrungen.

(Ich mäandere mich heute aber langsam auf mein Thema zu, das liegt wohl an der Noch-Müdigkeit und der Tageszeitverschiebung, die zehrt. Berlinale-Folgen!)

Jetzt habe ich aber das berechtigte Gefühl, dass das Nicht-Rechnenkönnen auch bei manchen Vollbetriebswirten aufzufinden ist. (Schlag! Rein ins Eingemachte!)
Also, es geht mal wieder um das beliebte Thema "Kostenkalkulation" von Dreh­buch­über­setzungen. Mir liegt vor: ein mittelschweres, überlanges Buch (obere Grenze), 160.000 Anschläge (die Szenenbeschreibungen sind komplex, es handelt sich um ein aus französischer Sicht exotisches Land), drei Wochen Arbeit. Ich errechnete 3877,- Euro, und weil ich das Buch gern machen möchte, schlug ich einen Rabatt von 377,- Euro vor. (Gaaaaanz falsche Verhandlungstaktik! Rabatte erst einräumen, wenn es in die Verhandlung geht. Hier zeigte ich eine in der heutigen Zeit offenbar unverzeihliche Schwachstelle: Interesse und Freude an der eigenen Arbeit!)

Man antwortete: Normalerweise koste eine Drehbuchübersetzung doch 2500 Euro, ob es denn nicht auch für 3000 ginge? 1500 zahle man bei Abgabe und die rest­lich­en 1500 kämen dann vom Koproduktionspartner, den man doch gerade fände.

Der März ist schon so gut wie verplant,
der halbe April auch
Nochmal zum Mitlesen: An­statt knapp 4000 Euro werden mir hier 1500 an­ge­bo­ten, denn das Risiko, dass am Ende wirklich ein Kopropartner dasteht, der die Restzeche zahlt, kann ich weder kal­ku­lie­ren noch den Lauf der Dinge auch durch noch so exzellentes Übertragen in die andere Sprache beeinflussen: Ich weiß eben nicht, was sonst so bei Sendern und Förderern kursiert und als "das wird in drei Jahren dem Zeitgeist entsprechen" betrachtet wird.

Statt 1300 Euro die Woche (vor Preisnachlass) also 500 Euro die Woche ... soviel Mathe kann ich inzwischen doch!, bzw. die Suchzeile bei Google rechnet — und ich kann den Rechenweg anschließend noch nach Tippfehlern absuchen!

Und so rechne ich meine Arbeit: Beim Übersetzen lasse ich mich immer nach vier Stunden zu sehr auf die Ausgangssprache ein, daher arbeite ich langsam und täglich vier Stunden, mit vielen Überarbeitungsstufen. Deshalb habe ich die Fünf- bis Sechs-Tage-Woche (wobei ich sonntags gern mal nur zwei, drei Stunden tätig bin).

Auch bei Dreharbeiten wird in Deutschland die Sechs-Tage-Woche praktiziert. Deshalb vergleiche ich die französischen Tarifgagen mit dem, was wir hier gerade verhandeln. Ehe mir jetzt einer schlaumeiernd kommt: Höhö, da will eine für einen Halbtagsjob so viel, wie die Filmleute für den ganzen Tag kriegen!, ant­worte ich gleich: netto arbeiten viele am Set auch nur die halbe Zeit. Ein Großteil des Tages vergeht mit Warten. Bei Spracharbeiten, die sehr exakt sein müssen, ist es genauso! Was denken Sie, worüber ich die anderen Stunden nachdenke und was ich mir auch außerhalb der Zeiten, die sich wiederum mintunter über den ganzen Tag verteilen, immer nochmal vornehme, weil mein Hinterkopf außerhalb der Kernarbeitszeit die Lösung gefunden hat ...

Ich finde also den Innenrequisiteur (ensemblier) mit Tagesgage von 215,77 (wir sprechen bei der ungekürzten Kakulation von 3900 Euro für die Übersetzung über eine Tagestage von 216,67 Euro)

Die Tagesgage, die mir angeboten wird, beläuft sich auf 83,34 Euro. Da findet sich in der französischen Tarifgagenliste fast nichts, nur nach langem Suchen.

Am nächsten kommt ihr der Satz für den/die Calligraphe mit 85,83 Euro. Schlusslicht der Liste ist die Schreibkraft, die die Dialoge der Tonspur abtippt und dafür 80,78 Euro täglich erhält.

Da sehen wir mal wieder ganz prägnant, wo wir Übersetzer/innen in der Wahr­neh­mung oft genug (noch) rangieren: Wir sind bessere Tippsen mit Schön­schreib­quali­tä­ten! (Oh hätte ich doch nur ein Mathe-Talent!)


P.S.: In Deutschland vergleiche ich meine Gage immer mit der eines/einer 1. Re­gie­assistent/en/in. — Und was schreibe ich jetzt dem potentiellen Kunden? Einfach wie's ist: Mir liegt für den gleichen Zeitraum eine zweite Anfrage vor, ein voll­fi­nan­zier­tes Buch, das mir aber weniger gut gefällt ... was tun?
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Foto: Kalender der Bürgerstiftung Neukölln
Die Vespa fotografierte Alexandra Knuth

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