Donnerstag, 13. Januar 2011

Jean schreiben lernen

Bonjour, guten Tag! Hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin aus dem Fran­zö­si­schen. Wenn ich nicht bei Konferenzen und Dreharbeiten dolmetsche, arbeite ich im home office.

Dieser Tage diktiere ich zum zweiten Mal eine Drehbuchübersetzung. Ich habe vor sechs Jahren meinen ersten Kontakt mit der Diktiersoftware "Dragon" von Nuance gemacht, damals noch auf PC. Jetzt gibt es das Programm auch für die andere Fraktion, es heißt "MacSpeech Dictate". Die Software muss ab dem ersten Tag ihre Feuerprobe bestehen, denn ein Berlinaledrehbuch ist mir kurz nach Sylvester auf den Tisch geflattert.

Bitte recht deutlich!
Zunächst aber dürfen "der kleine Drache" und ich uns kennenlernen. Dazu muss ich vorgegebene Texte vorlesen. Meine Aussprache des ersten Texts wird flugs integriert, beim zweiten Mal speichert das System eine halbe Stunde lang, bis ich den Vorgang abbreche, da ich einen Fehler vermute.

Gestern, nach den ersten dreißig Seiten, habe ich den zweiten "Kennenlerntext" diktiert, nachdem ich bei Martin Sauer, einem anderen Blogger, die Information fand, dass langanhaltendes Abspeichern durchaus normal sei. (Das teilweise etwas kraus ins Deutsche übersetzte Benutzerhandbuch warnt hier nicht genug vor.)

Deshalb habe ich jetzt Zeit, meine ersten Erfahrungen zu beschreiben. Ich über­setze ein Drehbuch aus Frankreich — und merke gleich, dass es das Dik­tier­pro­gramm mit dem Idiom unseres Nachbarlandes nicht so hat (dabei ist "dragon" doch auch ein französisches Wort!) ...

Der Held des neuen Buches ist ein i-Dötzken ("Das war Westfälisch" für 'Schul­an­fänger'). Er heißt Jean, und auch wenn ich alles andere an ein deutsches Umfeld anpasse und aus dem CP (cours préparatoire) die "erste Klasse" mache, Ei­gen­na­men wie Jean bleiben stehen. Ich ersetze "Jean" also nicht durch "Hans", selbst wenn der Vorname Hans samt Bindestrich und zweitem Vornamen einstmals ähnlich weit in Deutschland verbreitet war, wie es "Jean" in Frankreich in manchen so­zia­len Schichten heute noch ist.

Und wie ich da schön diktiere, erlebe ich mein blaues Wunder. Jean wird von der Technik un
­ter­schied­lich interpretiert, nämlich als "Schau", "Show", "schon", "schau­en". Erst zweif­le ich kurz an meinen Aus­spra­che­küns­ten. Stört sich das Gerät am Rest der Wintergrippe?

Bitte recht freundlich!
Gut, es ist etwas her, dass ich meine Sprech­aus­bildung ab­solviert habe. Dann entdecke ich einen "Knopf", über den ich mir die Auf­nah­me anhören kann. 
Ja, damit wäre Mme Grisaille durch­aus ein­ver­stan­den ge­wesen (so hieß damals ein stets miss­ge­laun­ter, grau­ge­wan­de­ter Drache unter uns Leidenden im Sprach­la­bor der Sorbonne).

Ich suche und finde die Liste der bekannten Worte. "Jean" ist darunter. Außerdem Namen wie Jean-Marie, Jean-Paul und Jean-Claude. Sie zu diktieren klappt prob
­lem­los. Außerdem kennt der kleine Drache angeblich "Frau Glück" (Jean-Luc), "schon wie" (Jean-Luis) und sogar "Schaumbad" (Jean-Baptiste) (sic!) ...
 

Offenbar müssen der kleine Drache und ich dringend weiterüben. Als ich mir aus dem Übungs­do­ku­ment, das ich inzwischen zusammen'diktiert' habe, einem lin­gu­is­tischen Kuriositätenkabinett, mir die hübschesten Beispiele rausfische, treffe ich auf einen alten Bekannten: Jean-Marie Straub! Wow, denke ich, wenn das keine Diktiersoftware für Menschen sein soll, die viel für Kino und Medien arbeiten! 

Ich versuche, das Wunder zu wiederholen. Bekanntlich sind Wunder, die sich wie­der­ho­len lassen, keine; es klappt nicht. Da ich den Regisseur in Frankreich ken­nen­ge­lernt habe, spreche ich seinen namen in Gänze französisch aus: "Jean-Marie Strobe" tippt das Maschinchen wie von Zauberhand. Ich versuche es nochmal, anders. Bingo! Ich muss mich also konzentrieren und "Jean-Marie" fran­­sisch, "Straub" aber deutsch aussprechen.


Dann versuche ich, das dem System bekannten "Jean" zu trainieren. Da das Wort vom Hersteller vorgegeben und seine Aussprache definiert wurde, klappt es nicht gleich mit meiner in Paris geschulten Art der Aussprache. Ich trickse, indem ich beim Namen zunächst immer auf Eng­län
­der­in mache. Und wenn von "Jeans Pferd" die Rede ist, sage ich etwas, das wie 'amerikanische Nietenhose" [Pause] Pferd klingt.

Das System wirbt übrigens mit "einer erstaunlichen Erkennungsgenauigkeit von bis zu 99 % schon beim ersten Einsatz". Das gilt bestimmt für alle juristischen und medizinischen Fachtermini. In meinem Fall klappt das nicht, denn neben den heim­tückischen Eigennamen tauchen immer wieder Wörter auf, die sonst eher nicht geschrieben werden. Drehbücher leben von gesprochener Spra
­che und Aus­drücke wie jetzt reicht's, guck mal, huhu, tschuldigung, ähh gibt's reichlich.

So, ich bin fertig jetzt mit der Beschreibung meines Abenteuers, habe Screenshots und ein Selbstportrait ausgewählt. Und was macht der kleine Drache? Er sichert noch immer meine Aussprachemerkmale.  Und um mich nicht weiter vom System aus­brem
­sen zu lassen durch Hin- und Herschalten zwischen drei Sprachen, taufe ich "Jean" kurzerhand in "Topf" um. Dieses Wort kommt im Drehbuch nicht vor, und Copy & Paste erledigt am Ende den Rest.


P.S.: Das Profil hat 18 Stunden gespeichert, dann habe ich es erneut abgebrochen, weil es nach vier Stunden alle anderen Funktionen blockiert hat.
Das finde ich Jean-Pierre ("schon sehr") lang, das ist mehr als die Nacht, die Martin Sauer erwähnt. Hallo, Nuance, wenn Ihr das hier lest: Hier gibt's Verbesserungsbedarf! Laut Protokoll war MacSpeech nicht abgestürzt; ein "Fortschrittsbälkchen" fehlt hier leider.
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Bilder: Dragon Dictate für Mac und
die Autorin (MacBook Pro-Kamera)

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