Mittwoch, 16. Juni 2010

Immer fröhlich und nie beleidigt sein

Gestern rappelt das Telefon gnadenlos in die Abgaben hinein, die mich beschäftigen. Wir lesen zu mehreren die Übersetzung eines Buches gegen, dazwischen muss die Juli-Planung laufen, dann Fragen: Hat die Agentur aus Lyon schon unterschrieben? Ist die Technik fürs Monatsende gebucht? Muss ich mich zur Medienpreisverleihung anmelden, wo ich doch als Teil des Teams mit ausgezeichnet werde? Dazwischen klingelt Yvonne an und fragt meine Preise ab - für Kultur- und Theatereinsätze.
Meine Preise sind - anders als mein Geburtsdatum - deutlichen Schwankungen unterworfen. Denn der  Berliner Kultursektor kennt die Krise nicht erst seit 2008. So berechne ich meine Honorare in diesem Bereich Pi mal Daumen in Abhängigkeit des des jeweiligen Projektbudgets, und zwar so, dass meine Honorarwünsche möglichst keine Einsätzen verhindern, aber auch so, dass ich anerkannt werde, davon leben kann und mich nicht am Unterbietungswettkampf beteilige, der in einigen Ecken des Kulturbereichs derzeit angesagt ist. (Mancher Kunde, der ging, um zu "sparen", kam schon zurück.)

Denn Qualität hat ihren Preis, egal, ob ich mir zur Honorierung meiner Arbeit nur eine Flasche Wein schenken lasse oder eine Rechnung schreibe: Meine Arbeit folgt immer den gleichen Standards, meinen eigenen, denn Arbeitszeit ist Lebenszeit und ich arbeite ungern unterhalb meiner Möglichkeiten. Kurz, für ein Nachwuchsprojekt, das über knappe Hochschulmittel hinaus gänzlich unfinanziert ist, bereite ich mich genauso intensiv vor wie für Einsätze im Bereich der Bundespolitik.

Auf diese Erklärungen hin meint Yvonne, meine Anruferin, die mich vom Schreibtisch weggerissen hat, dass sie jetzt verstanden habe, wie der Kulturbetrieb funktioniere:
Immer fröhlich und nie beleidigt sein. Das ist das einzige, was zählt! ... 
Ich muss zugeben, dass mir das oft nicht leicht fällt. Wenn mich jemand aus einer großen Institution anfragt und um einen "Freundschaftspreis" bittet, da wir in der Tat schon viele Jahre zusammenarbeiten, ich diesen gewähre - und ich beim nächsten Mal nicht mehr angefragt werde, dann fühle ich mich angefasst. Hat da etwa der Gedanke reingespielt, dass, wer sich so günstig verkauft, nichts wert sein kann?
So geiht dat nich, würde man im Norden auf dem platten Land jetzt sagen, nee, so geht's wirklich nicht. Und dann klingelt mir Isabelle aus Paris wieder im Ohr mit ihren Worten: Nie über Geld sprechen! In gewissen Kreisen spricht man darüber gar nicht, niemals ... (endet der Satz, wenn ihn aus der Luft auf den Boden hole, dann auf: "man hat es ..."?)

Ich zähle am liebsten zu diesen Kreisen. Sollen sich die Leute und die eigene Leistungsfähigkeit doch selbst einschätzen! Meistens klappt das gut, so wie einst beim legendären Pariser Restaurant « les temps des cerises ». Da legte jeder in die Schublade, was ihm/ihr der Abend wert war - und der Gastronom fand, so hörte man, spätabends mehr Geld darin vor, als wenn er seine Preise branchenüblich kalkuliert hätte.

Das, so fürchte ich allerdings, klappt nur in Zeiten relativen Wohlstands. Dann hau ich mal rasch weiter in die Tasten, um den meinen aufrechtzuerhalten. Und natürlich übersetze und dolmetsche ich für einige NGOs kostenlos, auch für Studentenfilmfestivals, und für ein Bildungsprojekt in Haiti schon seit vergangenem Jahr. Habe ich das hier nicht schon mal erzählt?

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Foto: Mein Rechner nach 4,5 Jahren Einsatz.
Im Spätsommer folgt die nächste Generation.

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