Freitag, 25. September 2009

Wahlkampfreden

Schön, dass Sie hier gelandet sind, beim 1. deutschen Weblog aus der Kabine einer Dolmetscherin. Mitunter dolmetsche, übersetze und texte ich aber nicht auf den klaustrophobisch engen zwei Quadratmetern einer solchen Kabine, denn gerade der Schwerpunkt Medien bringt mich immer wieder an besondere Orte. 

So wenig Platz war selten — vor dem Brandenburger Tor drängen sich die Menschen. Der Wahlkampf geht in die Zielgerade, und bevor wir morgen weiterfahren zur Kanzlerin, stehen wir auf der Pressetribüne auf dem Pariser Platz und hören dem Vizekanzler zu. Auch hier ist es eng: Wenig Podeste wurden rasch zusammengeschoben, darauf zwei Reihen Kameras, dahinter die Journalisten. Neben uns macht die Dame von Phoenix ihren Aufsager, einen halben Ellenbogen weiter steht Spanien, dann Kanada, also wir, direkt hinter dem ZDF. Ich bin für die Zeit des Wahlkampfes in meinen alten Beruf zurückgekehrt und dolmetsche auch dabei.

Während ich rede, merke ich, dass der spanische Redakteur immer näherkommt. Schön, jetzt hören zwei mit. Wenig später tritt noch ein ausländischer Journalist hinzu, der offenbar kein Deutsch versteht ... Die unerwarteten Dolmetschkunden stören mich nicht, ganz anders die Spaßfraktion im Publikum, die alle paar Minuten ihre Jubelsalven gröhlt, daneben winkt sie mit Pappplakaten à la "MEHR ARMUT, MEHR STASI, MEHR DEMO, MEHR KRATIE". Beim ersten Mal finde ich es zumindest originell, beim zehnten Mal stört es massiv, ab dann muss ich versuchen, mich nicht aufzuregen. Die Gruppe, ein knappes Dutzend Leute, überbrüllt immer wieder kurz die Rede — und ich kann nicht richtig hören, was gesagt wird, muss die Gedankensprünge Steinmeiers mitmachen, was ohne Dolmetschtechnik (hier wäre das vor allem: Knopf im Ohr für die Rede) schon recht anstrengend ist, erahne aber seine Wortspiele, bei denen er stellenweise alte politische Schlachtrufe als Strickmuster für halbwegs ironische Kommentare von heute verwendet.

Diese Anstrengung steigert den 'Durchlaufeffekt' im Kopf, so dass ich wenige Minuten später nicht mehr weiß, wie er diese Wortspielerei betrieb, nur, dass vermutlich aufholen, ohne zu überholen (richtig rum?) der alte DDR-Slogan dazu war. Hoffentlich entwickelt sich am Schneidetisch morgen nicht der Wunsch, dass wir genau dieses Zitat nehmen, denn ich kenne nichts, das als Folie für die Kanadier funktionieren könnte.

Immer wieder mal drückt sich zwischendurch ein weggehender Kollege durch die Menge. Wir müssen aufpassen, weder einem Kameramann ins Gehege zu kommen, noch mit dem Fuß in die Spalte zwischen den Tribünenbausteinen zu geraten oder den Kollegen am Geländer über dasselbe zu schubsen.

In eine Pause hinein kommentiert Maxence, der kanadische Redakteur, meine Verdolmetschung. Was mir nicht bewusst war: Ich scheine auch meine "Sprünge" zu machen, analog zu den Gedankensprügen, und zwar immer wenn ich komplizierte Worte gefunden habe oder eine nachdrückliche Bewegung mache, um ein Satzende nonverbal zu unterstreichen.

Es geht natürlich nicht an, wenn in Spanien oder Kanada wegen der Dolmetscherin das Kamerabild bebt ...

Im zweiten Teil der Rede konzentriere ich mich also darauf, meine expressive Körpersprache flachzuhalten, die Brüller zu überhören, das Gedränge zu akzeptieren und natürlich die Müdigkeitsanfälle zu überwinden. Nach gefühlten vierzig Minuten ist die Sache zu Ende. Und ich mische mich mit dem Kameramann unters Volk und gebe wieder die Pressefrau: micro-trott' oder vox pop. Morgen geht's zur nächsten Veranstaltung, und die Nacht auf Montag wird kurz: durch die Zeitverschiebung arbeiten wir bis spät in die Nacht, um auch Kanada wissen zu lassen, von wem in den kommenden vier Jahren Deutschland regiert wird.

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Foto: Das sah mir dann doch zu sehr wie mit der Quadriga
gekrönt aus ;-) ... also verwerfen oder weiter an der
Schraube drehen. Letzteres tat ich mit be funky.

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