Dienstag, 15. Januar 2008

Langzeitdokumentarfilm

Dokumentarfilmer müssen geduldige Menschen sein. Viele haben sogar sehr viel Geduld, und mancher dreht wie Claude Lanzmann in einem ganzen langen Leben im Grunde nur einen Film - nicht immer denselben, sondern über ein- und dasselbe Thema.

Oder aber einen Langzeitdokumentarfilm, kurz: 'die Langzeitdoku'. Gestern fiel uns erst beim Übersetzen für eine Berliner Dokfilmgesellschaft auf, dass es das Wort Langzeitdoku auf Französisch im Grunde nicht gibt. Haben die Franzosen weniger Geduld? Weniger Zeit? Oder woran mangelt es? Da Zeit ja Geld ist, kann es auch daran liegen ...

Nochmal zum Mitdenken: Eine Langzeitdoku nennt man einen Film, der auf einen längeren Drehzeitraum zurückblickt. Die längste und bekannteste Langzeitdoku ist sicher die Reihe "Die Kinder von Golzow" von Winfried und Barbara Junge, die auf Französisch im Netz als "un long feuilleton de l'histoire du documentaire allemand" vorkommt, also eine lange, dokumentarische Serie, gedreht zwischen 1961 und den Nuller Jahren des neuen Jahrtausends ... (also in Zeiten, wo Produktionsfirmen volkseigen und materielle Sicherheit großenteils geklärte Sache waren). Aus der Golzow-Reihe gibt es in der Tat viele Einzelportraits, die alle sehr sehenswert sind, weil die Kamera ab Sommer 1961, also den Tagen um den Mauerbau, jahrzehntelang wichtige Etappen aus dem Dorfleben im Oderbruch aufgezeichnet hat. Das Wort "feuilleton" verheißt regelmäßige Folgen (un volet) oder auch Episoden, es könnte demnach auch "une série documentaire" heißen. (Hier wird der Modus der Ausstrahlung ein wenig hervorgehoben: täglich?, wöchentlich?)

Die Folgen von Golzow bilden einen Mega-Film, der als die längste Langzeitdoku der internationalen Filmgeschichte gilt. Und nur in diesem Kontext finden wir den Begriff "observation à long terme", dem wir in einem Filmkonzept das Wörtchen "documentaire" beigestellt haben, also "observation documentaire à long terme".

Das Wort "documentaire" gibt das Genre an, der Begriff lässt weniger an Recherchen denken, die gehören in das Feld des Journalismus, besonders des "investigativen Journalismus", als an Chronistenpflicht, an Montage, die kontrastiv geschnittene Meinungen miteinander in Widerstreit treten lässt.

Wir suchen weiter nach Übersetzungsvarianten. Riton schlägt " un film documentaire portant sur la période de ... à ... ? " vor. Dafür müssten wir aber genau wissen, von wann bis wann, das ist schon wieder ZU genau. Und die Dauer ist beim Langzeitdings wichtig, nicht die Daten (es sei denn, jemand begänne am 11.9.2001 und hörte am 11.0.2002 auf).

" Un documentaire long métrage " ist es jedenfalls nicht, so nennen wir einen "abendfüllenden Dokumentarfilm" in Analogie zum abendfüllenden Spielfilm (film de long métrage oder l.m.)

Die " observation documentaire se rapportant à une longue période " klingt dann schon wieder zu gestelzt, zu übersetzt. Am Ende finden wir in der Schweiz einen Hinweis: "Der Film FAUSTRECHT ist eine dokumentarische Langzeitbeobachtung über zwei gewalttätige Jugendliche. / The film FAUSTRECHT (Rule of the Fists) is a long-term documentary of two violent teenagers. / Le film FAUSTRECHT (La loi des poings) est une observation à long terme de deux adolescents violents. "

Wenn auch die Schweizer Langzeitdokumentarfilme können, scheint es also vielleicht doch nicht an den Eigentumsverhältnissen der Produktionsmittel und den Kosten der Lebenshaltung zu liegen ... und bei genauerem Nachdenken fallen uns doch einige langfristig beobachtete französische Dokumentarfilme ein.

Warum nur schlägt sich das nur nicht in den Fachtermini nieder?

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