Samstag, 26. Mai 2007

Das stimmt!

Haben Sie sich schon mal einen Arbeitstag lang in einer zwei Quadratmeter kleinen Box (mit Lüftung) aufgehalten? Wenn nicht, dann haben Sie vermutlich im Beruf nicht intensiv mit Sprachen zu tun ... Wir Dolmetscher arbeiten in solchen Kabinen und ich schreibe dort oft Texte für dieses Blog — oder am (großen) Übersetzerschreibtisch. Hier können Sie Einblick nehmen in unseren Arbeitsalltag und seine Grundlagen.

Sprachkenntnisse vorausgesetzt, ist nichts beim Dolmetschen wichtiger als die Stimme.

Stimmen sind etwas sehr persönliches, sie kommen (besonders durch Kon­fe­renz­tech­nik befördert) direkt im Ohr des Empfängers an. Ob die Stimmen wirklich "ankommen" oder nicht, hängt von vielen Faktoren ab: ob sie Ruhe ausstrahlen oder Gehetztheit, ob sie klar sind, ausgeprägt, mehr oder minder akzentfrei, ihre richtige Tonhöhe gefunden haben.

In der Dolmetscherausbildung wird zum Teil auch Sprechunterricht gegeben, denn wir Dauerredner müssen nicht nur gut artikulieren, wir müssen mit unserem Ar­beits­ins­tr­ument auch pfleglich umgehen. Mit angestrengter Stimme viel zu sprechen, führt unmittelbar zu Heiserkeit.
Im Studium habe ich zum Beispiel ein halbes Jahr nur richtiges Atmen gelernt und dann noch länger gesprochen, betont, Laute verändert, Akzente verschoben. Und vor allem meine richtige Stimmlage erkannt. (Das waren aber nach einer "Grund­blei­che" vor allem selbstorganisierte Stunden im Tausch gegen Deutsch­un­ter­richt.)

Französische Stimmen liegen meist 'höher' als deutsche. Beim Dolmetschen wähle ich aber bewusst "meine" Tonhöhe. Und die liegt tiefer, das weiß ich seit der Ausbildung. Deutlich tiefer und mit leichtem Vibrato. Ich setze das auch bewusst in Zusammenhang mit tiefer Atmung ein: Mein Zwerchfell wird dadurch leicht 'massiert', und das hat eine beruhigende Wirkung auf das ve­ge­ta­ti­ve Ner­ven­sys­tem. Außerdem scheinen tiefe Stimmen glaubhafter zu wirken. So ist zum Beispiel überliefert, dass Margaret Thatchers Stimme mit ihrem Amtsantritt als Premier Minister tiefer wurde.

Dass meine Stimme tiefer angenehm klingt, bekomme ich regelmäßig bestätigt. Einmal, es war nach einem Kongress in einer Filmhochschule, kam einer der Koreferenten auf mich zu. Ich hatte gerade einen Kollegen gedolmetscht, den Rednertext noch in der Hand. Diesen erbat sich nun mein Gegenüber, ein älterer Mann, leicht untersetzt, der mit Kollegin Ehefrau angereist war. Er schaute sich kurz um, lief rot an und sagte: "Sie müssen mich entschuldigen, ich hab gar nicht auf den Inhalt hören können, ich habe nur Ihrer Stimme gelauscht!"

Authentische Stimmen sind einfach gut. Kein Wunder, dass wir sagen, wenn wir Übereinstimmung ausdrücken: Ja, das stimmt!
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