Dienstag, 25. April 2017

Dreckig

Hallo, hier bloggt ei­ne Sprach­ar­bei­te­rin. Ich über­set­ze und dol­met­sche. Ar­beits­spra­chen: Fran­zö­sisch (aktiv und passiv) und Englisch (nur Aus­gangs­spra­che). Heute denke ich über zwei Wörter nach.

In der Bäckerei unten im Nachbarhaus, die ich manchmal in meinem Ar­beits­zim­mer leise höre, kann auch Kaffee getrunken und Kuchen gegessen werden. Hier steht in der Nähe des Tresens dieses Schild:

Schild mit der Aufschrift "Dreckiges Geschirr".
Gesehen in Neukölln
In der Backstube wird tra­di­tio­nell pro­du­ziert, nachts und mit Vorteig. Vor­mit­tags kann ich das Mahl­ge­räusch der Stein­­müh­­le erahnen (in der Laut­stär­ke, wie wenn die Nach­barn oben Ba­de­was­ser ein­las­sen). Der Laden wird von einem Dänen geführt. Hier ver­kau­fen und backen etliche Skan­di­na­vier, ein Eng­län­der, zwei Deutsche und zwei Nord­ame­ri­ka­ner.

Zwei Franzosen sind auch dabei, was eine gute Gelegenheit ist für ein: Merci beau­coup pour les crois­sants ! Kurz: der Laden sym­bo­li­siert den sich ra­pi­de ändernden Stadtteil. Hier wird immer öfter Englisch und DAF ge­spro­chen, Deutsch als Fremd­spra­che.

Das Schild, das zur Rückgabe gebrauchten Geschirrs anregen soll, steht erst seit kurzem da. Es stört mein Sprachempfinden. Erstens ist es zu direkt. Mut­ter­sprach­ler hätten wohl eher "Geschirrrückgabe" geschrieben, ein komisches Wort mit drei R. Zweitens will das Adjektiv nicht passen. Hätte mich "schmutziges Geschirr" ge­nau­so gestört?

Bei "dreckig" denke ich an dreckige Witze, das "dreckige Dutzend" (the dirty do­zen), die zwölf häufigsten Giftstoffe in Pflan­zen­"schutz"mitteln und In­dus­trie­che­mi­ka­lien, die eigentlich verboten sind, aber in importierten Produkten im­mer wie­der auf­zu­fin­den sind, die Menschheit leidet bis heute an derlei Im­mis­sio­nen. Au­ßer­dem fällt mir die "Dreckschleuder" ein, ein altes Auto mit hohen Emis­sio­nen [Edit: oder neue mit skandalösen Messschummeleien]. Und M. mit ihrer "dreckigen Lache". Wäsche und Geschirr sind nach meinem Sprach­ge­fühl eher schmutzig, die Schmutz­wä­sche liegt auf dem Haufen und wandert gleich in die Maschine, der klei­ne Schmutz­fink, der sie bis eben trug, in die Badewanne.

Ich mache den Häufigkeitstest bei Dr. Gargoyle, dem digitalen Wasserspeier. Und es ist keine Überraschung, dass die Kombination "dreckiges Geschirr" nur ungefähr 38.600 Fundstellen liefert, die Kombination "schmutziges Geschirr" dafür an die 86.700 Nachweise. Es überrascht mich trotzdem, dass es beim "dreckigen Geschirr" doch so viele sind.

The Bread Station in Neukölln
Dann überlege ich, ob mein Sprach­pie­tis­mus aus dem Französischen kom­mt. Dort ist es in gewissen Kreisen, die ich in mei­nem Studium durchaus intensiver ken­nen­ge­lernt habe, nicht üblich zu sagen: "Der Käse stinkt", le fromage pue. Vor­zu­zie­hen sei le fromage sent mauvais, "der Käse riecht schlecht", so einer meiner Lehrer aus dem Alltag im Westen der Stadt Paris.

Beim Bezahlen frage ich im Café nach. Und ja, das Schild hat keine Mut­ter­sprach­le­rin geschrieben. Und jemand wagt sich an einen kühnen Vergleich: Schmutz sei schnell abwaschbar, Dreck nicht. Dreck sei von grundsätzlicher Natur, als Beleg wurde eine "dreckige Phantasie" genannt.

Schmutz sei das Gegenteil von Sauberkeit, so jedenfalls Wikipedia; Dreck werde eher als ekelerregend, ökologisch fragwürdig oder abstoßend empfunden.

Im Schwabenland gibt es nochmal eine andere Definition, denn das klei­ne Wört­chen "Dreck" wird häufig als Synonym des Wörtchens "Erde" verwendet. Wer gärt­nert, hat dort die Hände im Dreck. Die "Drecksau" wühlt sich durch Staub und Er­de. Und wenn an einer schwäbischen Karre nach einem Regentag viel Dreck an den Kotflügeln hängt, sind diese schmutzig.

Kurz: Die Sprachverwendung hängt nicht nur vom ei­ge­nen Sauberkeitsempfinden ab oder vom Land, sondern von der Region.

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Foto: C.E.

4 Kommentare:

OHE hat gesagt…

Kaffee- und Kuchenreste sind weder Dreck noch Schmutz, sondern immer noch appetitlich. Die Bäckerei wird doch nicht ihre eigenen Produkte herabwürdigen! Das Schild sollte heißen "Benutztes Geschirr".

caro_berlin hat gesagt…

Hm, Du erinnerst Dich an das, was ich von der Bäckerei auf den Tisch gebracht habe? Bei Eurem Kaffeeklatsch war es so, wie es unten in der Bäckerei ist: Reste sind sehr, sehr selten.

Es geht tatsächlich nur um benutztes Geschirr. Der Vorschlag gefällt mir gut.

Anonym hat gesagt…

Für mich als DE Muttersprachlerin aus dem Rheinland klingt "dreckiges Geschirr" völlig normal. Damit assoziiere ich nicht mehr und nicht weniger, als dass es benutzt wurde. "Geschirrrückgabe" ist mir viel zu lang für so ein Schild und klingt zu "fachsprachlich".

caro_berlin hat gesagt…

Oh, Danke, "Anonym", für diese Antwort.
Werde ich darüber nachdenken.
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