Montag, 4. Juli 2016

Im Hörsaal

Was Dolmetscher und Übersetzer machen, die mit Französisch zu tun haben, wie wir arbeiten, darüber berichte ich an dieser Stelle im zehnten Jahr. Hier noch, wie die letzte Woche zu Ende ging.

Blick auf den Arbeitstisch
Grau und Bordeauxrot dominieren ...
Es gibt Einsätze, da bin ich Übersetzerin und Dol­met­sche­rin zugleich. Für eine 60- bis 75-minütige Veranstaltung übersetze ich erst einen wis­sen­schaft­lichen Beitrag, an­schlie­ßend dolmetsche ich die Diskussion zum Vortrag eine halbe Stunde lang si­mul­tan. Derlei lässt sich sogar als Solo-Einsatz gut bestreiten (während wir sonst immer al­le 30, 40 Minuten eine Ab­lö­sung brauchen).

Ein Lesetext flatterte mir da auf den Tisch, kein Sprechtext. Was ich für eine Kon­fe­renz über eine Kulturzeitschrift bearbeiten darf, wird sicher mal ein wun­der­ba­rer Beitrag für nämliche Kulturzeitschrift. Am ersten Tag lese ich. Wie immer bin ich erstmal kurz schockiert: Wie, das soll ich übertragen? Ist das schwer!

Dann lese ich mich ein, sitze in der Bibliothek, lese Hintergründe, Begleitexte aus der Zeit. Am Tag darauf lese ich den Text wieder: Schon besser. Und ich mache mir Notizen, finde schon Lösungen.

Dann blockiere ich ausreichend Stunden, zwei Vormittage à sechs Stunden, und lege los. Am Ende steht noch ein halber Tag Korrekturlesen und Probesprechen auf dem Programm.

Der Text ist hochkomplex und bietet bis zu fünf Schachtelungen je Satz an. Zum Hö­ren ist das nicht ideal. Ich entschachtele hier und dort und baue neue Sätze. Ich füge den sehr sehr dichten Sätzen, bei deren Erstellung mit Verben gegeizt worden war, erstmal ein Dutzend Satzzeichen und Wörter hinzu. Dadurch verändere ich den Charakter des Textes macht, mehr Handlung, weniger Mäandern. Die Grund­struk­tur aber bleibt. Und beim Zuhören ist der Eindruck derselbe, denn Lese- und Hörtexte folgen anderen Gesetzen.

Das am Ende in der anderen Sprache kein anderer Texteindruck ensteht, ist we­sent­lich. Schachtelsätze, bei denen das Leseauge zurückspringen kann, das Höh­rer­ohr aber nicht, werden im Vortrag wie mit einer Lupe vergrößert. Die Über­set­zung weist noch andere Schwierigkeiten auf.

Blick zum Rednerpult
... noch ohne gelben Punkt
Ein-, zweimal hänge ich in­halt­lich fest. Ich springe dort­hin, wo ich wieder mit­kom­me. Am Ende klären sich solche Stellen immer auf.

Problematische Partien oder Wörter enthalten jeweils ein Sternchen; später kann ich sehr einfach von Stelle zu Stelle springen, die noch erhöhte Aufmerksamkeit braucht.

Dann geht es in die Universität. Vor Ort richte ich mich ein. Ich warne den Redner vor, dass meine Textversion etwas länger braucht zum Sprechen. Wir legen los. Er wartet einige Male auf mich, wir schauen einander wie die Musiker bei den je­wei­li­gen Einsätzen kurz an, nicken und sprechen weiter. Zwischendurch improvisiert er Überleitungen, die ich simultan dolmetsche.

Einmal fasst er einen Absatz kurz zusammen und springt dann. Ich komme aus dem Takt. Er spricht weiter — noch immer kein Manuskript. Ich dolmetsche weiter, mer­ke aber: Redundanz, Redundanz! Die zweite Schleife mache ich nicht mit, lese lieber nochmal kurz den Anfang des nächsten Absatzes (in beiden Sprachen), um gleich sicher sein zu können. Atme tief durch, murmele mir flüsternd zu: "Alles gut!" Einige lachen freundlich. (Ich glaube, er hatte auch den Absatz aus den Au­gen verloren, der eigentlich dran war.)

Für die Diskussion verlasse ich meine Position neben dem Podium, um alle Be­tei­lig­ten besser zu hören und zu sehen.

Am Ende sind alle happy, ich zuallererst, und die Ohren glühen mir wegen der schö­nen Komplimente. Später essen wir zusammen, dann tanzen wir! Was für ein wun­der­ba­res Saisonende! Merci beaucoup !

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Fotos: C.E.

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