Donnerstag, 25. Februar 2016

Atypisch

Französischdolmetscher und -übersetzer haben, verglichen mit anderen Be­rufs­tä­ti­gen, einen atypischen Arbeitsalltag. Bei uns kommt einiges zusammen: Manch­mal arbeiten wir zu krummen Schichtzeiten wie Ärzte, haben Reisezeiten wie Fern­fah­rer, müssen Ordnung und Klarheit reinbringen wie Reinigungskräfte und wissen ohnehin immer alles besser wie Lehrer. Meine Fachbereiche sind Wirtschaft und Politik, Soziales, Bau, Tourismus und Kultur.

Unsere Arbeitsbedingungen und die Honorare sind derzeit |im Fluss| unter Druck, auch mit den Arbeitsplätzen sind wir ständig in Bewegung. Proudly presents: Meine Küche und das digitale Großraumbüro. Und weil nach dem Filmfestival vor dem Filmfestival ist, wurde ich vorgestern für die nächsten Einsätze gebucht. Seit heu­te liegen hier schon die nächsten Sichtungslinks.

Dass meine Küche immer mehr zum Festivalspielort wird, mindestens im Rahmen der Vorbereitung, daran habe ich mich ja inzwischen gewöhnt. Wenn ich bei den Beamerbildern nicht jeden Lidschlag kurz einen Regenbogen sehen würde, was ich für Begleiterscheinung meiner Kurzsichtigkeit samt Hornhautverkrümmung halte, ich hätte mir längst so einen Bilderwerfer zum bequemeren Schauen geleistet.

Küche, Schlepprechner, Film
Festivalvorbereitung
Nun wurde die Berlinale-WG prompt auch verlängert. Es ist schon praktisch, Platz für Freunde und Kollegen in der eigenen Wohnung zu haben, ein Luxus, den sich etliche französische Freunde nicht leisten können.
Dann gibt es in dem einen der beiden virtuellen Groß­raum­bü­ros, den sozialen Medien, wieder eine große Preis­de­bat­te.

Und als inzwischen zur nicht mehr ganz jungen Garde gehörend, darf ich schon mal Expertentipps aus dem ach so langen Berufsleben geben. Hier mein letzter Tipp zur Preisgestaltung, denn immer mehr Kunden fordern enorme Preisnachlässe, die nicht zum Aufwand und den langen Studienzeiten passen, die wir Dolmetscher ha­ben. (Wer "lange Studienzeit" sagt, sagt auch "verkürztes Erwerbsleben" und "Le­bens­ein­kom­mens­rück­stand", woraus höhere Preise resultieren müssen.)

Daher mein Tipp an die Kolleginnen und Kollegen: Sprecht bitte bei Ho­no­rar­ver­hand­lun­gen lieber nicht von "halben" Tagen, sondern lieber von "kurzen" Tagen. Mit Reise und Vorbereitung ist der Aufwand ja gleich, und die Kunden kommen nicht ge­dank­lich auf den Short cut "ganzer Tag = ganzes Honorar, halber Tag = halbes Ho­no­rar". Das nennt sich Verkaufspsychologie und hat sich bewährt, gerne auch in der Ergänzung, dass ja schließlich auch die ganze Vorbereitung nötig ist und, mit dem Schalk in der Stimme und ggf. etwas anderem, das den Witz ankündigt, dass die An­rei­se nur bis zur Hälfte der Wegstrecke schließlich auch nicht zielführend sei.

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Foto: C.E. (Archiv)

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