Dienstag, 20. Oktober 2015

Onkel-Ali-Laden

Bonjour! Sie haben ein digitales Logbuch aus der Welt der Sprachen angesteuert. Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag als Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache ... und über Sprache und Interkulturelles.

Abends viertel vor elf befinde ich mich auf der Zielgeraden Richtung Wohnung. Ich habe einen an­stren­gen­den Dolmetscheinsatz hinter mir. Der Kopf fühlt sich wattig an ("wattös" sagte einst Mitbewohnerin Pempi aus München). Ich lausche in mich hin­ein, welcher Aspekt meiner vitalen Existenz gerade dominiert. Ist es Müdigkeit? Neu­gierde gepaart mit sprachlichen Reflexen? (Dann höre ich in der Regel eine span­­nen­­de Sendung in der Zielsprache auf dem MP3-Player an.) Oder ist es ein leich­ter Bewegungsanalphabetismus, der mich nach anstrengenden Tagen manch­­mal überfällt?

Späti 7/24 im Gegenlicht mit nasser Straße und Lichtstreifen
Müdigkeitsveränderte Wahrnehmung
Ganz klar: Es ist Hunger! Ich stolpere in den "Späti" hinein. In Berlin gibt es ähnlich wie in Paris viele auch in der Nacht ge­öf­fne­te Läden. Die meisten werden von Zu­wan­der­ern geführt, wie auch der bei uns an der Ecke. Ich bin für die Existenz des La­dens sehr dankbar, auch wenn der Begriff Tante-Emma-Laden nicht ganz zutrifft. (Die Spätkaufläden haben zudem Probleme mit dem Gesetzgeber. Mich nervt der Gedanke an eine mögliche Einschränkung ihrer Öffnungszeiten.)

Zuhause warten Fenchel, Lauch, Kurkuma, etwas Petersilie und Quinoa auf mich. Sahne fehlt. Ich suche die Ware und gehe an den Tresen.

Der junge Verkäufer: "Die ist sogar fettreduziert!" Ich schaue auf den Deckel, will keine irgendwie in­dus­tri­ell modifizierten Sachen haben, bin Anhängerin der Slow Food-Bewegung. "Mindestens 30 % Fett" steht auf dem Pöttchen. Ich lese laut vor. Der Verkäufer: "Ja, "mindestens 30 %," sonst ist es mehr, 'mindestens' bedeutet 'reduziert'."

Ich denke kurz: Veralbern kann ick mir alleene, dann sage ich mir, dass nicht alle das Glück hatten, Deutsch bereits als Baby zu lernen. Behutsam trage ich vor, wie ich das verstehe, eingeleitet mit einem "Könnte es sein ..." — mindestens ist die Min­dest­men­ge, es mag sogar mehr sein — und ergänze augenzwinkernd: "Wehe Sie fan­gen demnächst an, kalorienreduzierten Sch* zu verkaufen!" Der junge Mann vom On­kel-Ali-Laden darauf ebenso augenzwinkernd mit Blick auf meine Silhouette: "Madame, sowas haben Sie doch gar nicht nötig!"

Das wollte ich hören. Und er hat sein Gesicht als aus Südeuropa stammender Ma­cho bewahren können.

Der Rest ist schnell zusammengefasst, weil nicht so wichtig: Kochen und Essen bis Mit­ter­nacht, ab drei Uhr Nachtruhe, acht Stunden Schlaf nach einem vollen Ein­satz. Dolmetschrelevant ist dies: Ab Ende des Einsatzes brauche ich (brauchen ver­mut­lich sehr viele) etwa vier Stunden, bis der hohe Adrenalinpegel Schlaf über­haupt zulässt. Und nach Dolmetschtagen darf es gerne eine Stunde mehr Schlaf sein. Übrigens: Der Schlaf ist weiterhin mein Freund, auch wenn ich nach et­li­chen Tagen der Flüchtlingshilfe erstmal nicht gut einschlafen konnte.

P.S.: Das Rezept findet sich hier: Chefkoch.de.

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Foto: C.E.

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