Mittwoch, 9. September 2015

Hintergrund

Hallo! Hier bloggt eine Sprach­mit­tler­in für Po­li­tik, Wirt­schaft und Kultur. Ge­ra­de ha­be ich viel mit Flüchtlingen zu tun. Parallel dazu startet die Kon­gresssaison. Mir macht etwas Bauchschmerzen. Hier der Blick auf den Schreibtisch.

Altes Schwarz-weiß-Bild mit Mann am Schreibtisch vor einem Regal
Konzentriertes Arbeiten
Bürotag. Die eine Kollegin rech­net Kostenvoranschläge durch, irgendwo werden Be­le­ge auf­ge­tackert, die andere bildet junge Kollegen fort. Ich muss rasch verhindern, dass ich am Sonntag in die reine Eng­lisch-Fran­zö­sisch-Kabine komme, eine Kollegin ist ausgefallen, und mich durch Stapel komplexer Prä­sen­ta­tionen zu einem Wirt­schafts­the­ma wühlen.

Auch ein deutscher Dokumentarfilm wird in Ausschnitten auf dem Kongress ge­zeigt. Lief der schon mal bei Arte? Schnell eine Mail an den Regisseur schreiben.

Daneben beackere ich weiter das Wortfeld "Bodengesundheit" und mache Termine für Gespräche mit Landwirten. Für eine deutsche Filmproduktionsfirma darf ich zwischendurch bei der französischen Filmförderung deren Status als Ko­pro­du­zen­tin abklären.

Nebenbei erkläre ich noch den Kolleginnen und Kollegen im sozialen Netzwerk, dass wir demnächst eine Brief- und Mailaktion starten müssen. In den letzten Wo­chen war ich als Dolmetschprofi eh­ren­amt­lich an der Seite einer ebenso eh­ren­amt­li­chen professionellen Psychologin in der Krisenintervention aktiv und werde es bleiben. Aber unser Ehrenamt kann nicht von Dauer sein, denn wir müssen ja auch unsere Kosten decken und uns finanzieren. Und es kann auch nicht sein, dass die Menschen nicht mehr betreut werden, nur weil es an wohlmeinendem, engagiertem Personal fehlt.

Hier ist die Politik gefragt, sind wir alle gefragt, sind die Verbände gefragt. Die psychologische Erstversorgung und Krisenintervention darf durchaus in einer gro­ßen Notlage für einige Zeit auf dem Rücken der Berufsabsolventen ("meine" wun­der­ba­re Psychologin) und der Ehrenamtler ruhen. Aber das darf nicht zu einem Dauerzustand werden.

Dann kommt eine Anfrage über ein großes, renommiertes Krankenhaus rein, Kin­der­station. Da Dolmetscher so schwer zu bekommen seien, suche man Menschen, die eine oder mehrere Sprachen beherrschen würden und die ehrenamtlich ... Aus der Mail wird deutlich, dass es hier nicht um das Verteilen von Spielzeug und Händ­chen­hal­ten geht.

Ganz gleich ob Allgemeinmedizin, Pädiatrie oder Psychologie: Wenn's drauf an­kommt, sind Profis wichtig. Mir hat ein Arzt mal gestanden, dass es bereits Tote gab in deutschen Krankenhäusern, weil Arzt-Patientengespräche von Nichtprofis übertragen worden sind. Und die Ärztinnen und Pfleger werden für ihre Arbeitszeit und ihre Fachkompetenz schließlich auch entlohnt.

Die Sache mit dem Fachwissen ist der Knackpunkt. In der Kleiderkammer Wäsche nach Größe sortieren, Essen austeilen, Teddybärchen verschenken etc. kann jeder mal für einige Stunden oder Tage, das sind wichtige Aufgaben, die Zeit ist ein kost­ba­res Geschenk. Aber hier bestimmt jede und jeder Tag und Dauer selbst. Eine The­rapie mit Dolmetschern wird von hochqualifizierten Profis durch­ge­führt. Wir haben Termine, die einzuhalten sind, inzwischen sogar Supervision (selbst or­ga­ni­siert), ist 'ne komplett andere Nummer. Das kann und macht nicht jeder ... und schon gar nicht mal eben so als Ehrenamt in der Freizeit neben einer Fest­an­stel­lung.

Menschen brauchen mehr als nur einen Schlafplatz und einen Teller Suppe.

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Foto: Archiv

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