Montag, 6. Januar 2014

Deutsch-nach-Deutsch mit Tücken

Am Dreikönigstag endet hierzulande die Weihnachtszeit. In Spanien aber be­kom­men Kinder am 6. Januar ihre Weihnachtsgeschenke, und ich prä­sen­tie­re heute stolz mein letztes Geschenk der Winterzeit, das leider etwas war­ten musste. Im weltbesten Netz­werk pro­fes­sion­eller Texterinnen, dem Texttreff, gibt es in den Winterwochen die schöne Tradition des Blogwichtelns: Je­weils zwei Bloggerinnen wechseln, einander zugelost, die Fachgebiete, in denen sie sonst im Kun­den­auf­trag ihren Lebensunterhalt verdienen, und verfassen Texte der anderen Art. Weil Europa groß ist, reisen wir nach Ru­mä­nien, merci bien, chère Elke!

Zum zweiten Mal habe ich mei­nen eher privaten Netz-No­tiz­block „Hei­mat­kon­struk­ti­o­nen“ in den großen Loshut werfen lassen. Und wie's der Zufall so wollte — dies­mal wurde ich ins Dolmetscherinnen- und Über­setzerinnenlager hin­ein­ka­ta­pul­tiert! Bonjour, Caroline!

Der steinige Weg zum richtigen Wort — Romahütte in Rumänien
Der steinige Weg zum richtigen Wort
Was nun? Als Fachjournalistin für technische Themen habe ich in meinem normalen Be­rufs­all­tag rein gar nichts mit Übersetzungen zu tun. Meine Schreibtätigkeit besteht vor allem daraus, dass ich Texte ent-„ung“e und de-„tion“ie­re. Ich wecke Ver­ben aus dem Wachkoma, treibe Stich­wort­listen die Magersucht aus und verordne schwer­ge­wich­ti­gen Wort­monstern eine Diät.

Es ist eine Art Ton-in-Ton-Stickerei, ich verarbeite deutsch­spra­chige Rohtexte zu deutschsprachigen Liefertexten, Deutsch-nach-Deutsch. Aber kann man das nicht auch anders sehen? Übersetze ich etwa nicht Tag für Tag Ingenieurdeutsch ins Hand­werkerdeutsche? Mache aus der „Applikation eines Metallstiftes in eine Ho­ri­zon­tal­flä­che, die mittels eines neuartigen Schlagtools soundoptimiert erfolgt“ ein einfaches: „Mit diesem Hammer können Sie den Nagel jetzt leiser in die Wand schlagen“?

Dafür muss ich mehrere Fachterminologien, Sprachebenen, Branchensoziolekte be­herr­schen, aufeinander beziehen, ineinander übertragen können. Und die Quell- und die Zielkultur sind ähnlich unterschiedlich wie bei der Übertragung eines Textes aus, zum Beispiel, dem Rumänischen ins Deutsche. Ein solcher Vergleich liegt für mich nahe, denn ich bin mit diesen beiden Sprachen aufgewachsen. Wenn mein Rumänisch heute auch recht eingerostet ist, habe ich es doch als Zweit- und Landessprache gelernt und nie als Fremdsprache empfunden. Und ich weiß nicht erst seit meinem Gaststudium bei den angehenden Sprachmittlerinnen der Ru­mä­nistik an der Universität Leipzig, dass mehr zum Übersetzen und Dolmetschen ge­hört als die Kenntnis beider Sprachen.

Wir hatten in den Seminaren sowohl Doppelsprachlerinnen als auch Leute, die eine der beiden Sprachen als Fremdsprache erlernt hatten. So erlebten wir oft, dass ge­rade wir Doppelsprachlichen uns schwer taten, einen Sachverhalt aus der einen Sprache in die andere zu befördern, nicht obwohl, sondern gerade weil wir ihn in der einen Sprache so gut (zu gut?) verstanden. Und weil wir wussten, dass es eine Entsprechung nicht nur in der jeweils anderen Sprache, sondern auch in der je­weils anderen Kultur, dem jeweils anderen Regelsystem, so nicht gab. Die Fremd­sprach­ler­in­nen waren da unbefangener: Sie wählten einfach das Zweitbeste (viel­leicht auch das Drittbeste), und sie konnten überzeugend erklären, warum sie das taten. Wurden wir als Doppelsprachlerinnen dagegen nach dem Warum ge­fragt, mussten wir oft passen. Es „klang“ halt besser. Wir lagen meist richtig mit unseren Ideen, aber vermitteln konnten wir sie selten.

Auch Deutsch-nach-Deutsch-Muster, fällt mir dabei ein, sind übrigens nicht immer problemlos vermittelbar. Gerade Leute, die ihr Deutsch außerhalb der deutsch­sprachigen Kerngebiete gelernt haben, beherrschen gelegentlich mehr Synonyme als Menschen, die in einer dieser Regionen aufgewachsen sind und den Regiolekt ihrer Umgebung für die einzig richtige Sprachvarietät halten. Das kann zu Miss­ver­ständ­nissen führen, wenn nämlich der Mensch, der für eine Sache drei (deutsch­sprachige!) Begriffe kennt, aber nicht weiß, welche Vokabel in welcher Region gebräuchlich ist, das „falsche“ (= regional ungebräuchliche) Wort wählt, um die Sache zu bezeichnen. Ein Beispiel ist die Bezeichnung für Johannisbeeren, die in Österreich Ribisel, in Baden-Württemberg aber Träuble heißen: Wer auf der Schwä­bischen Alb Johannisbeeren will und auf Nachfrage erklärt, dass er oder sie „Ri­bi­sel“ meint, wird als Dummkopf wahrgenommen, denn „richtig“ wäre nur „Träuble“ gewesen …

Wenn ich bedenke, wie viele derartiger Feinheiten Dolmetscherinnen und Über­setzerinnen beherrschen müssen, wenn sie ihren Beruf ausüben wollen, kann ich nur sagen: „Chapeau!“ Was ich mit „Hut ab“ übersetzen würde. Liege ich sehr daneben? Dann schiebe ich ein „Sorry“ nach und meine: „Tut mir leid“. Und um keine weiteren Fehler zu machen, verabschiede ich mich mit einem freundlichen „Sărbători fericite“ in meine Plätzchenbäckerei. Das heißt wörtlich „glückliche Feiertage“ und gilt auf Rumänisch unter anderem als Weihnachtsgruß. Obwohl „Weihnachten“ eigentlich „Crăciun“ hieße. Und „fröhlich“ „vesel“ wäre. Ja, man kann auch „Crăciun vesel“ sagen, aber in der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, tut man es nicht. Übersetzen bedeutet eben kaum jemals einfach nur Vo­ka­beln­tau­schen.

Elke H. Zobel
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