Mittwoch, 29. Januar 2014

Berufsethos

Bonjour und guten Tag! Hier bloggt eine Spracharbeiterin und Sie können Einblick nehmen in die Art und Weise, wie eine Dolmetscherin und Übersetzerin die Welt sieht. In einem ersten Berufsleben war ich Journalistin, das ist heute noch wichtig zu erwähnen.

Letzte Woche ein Halbsatz in der "Zeit", Montag ein Artikel in der "Saarbrücker Zei­tung", Dienstag das große Rauschen im Blätterwald: Angeblich solle der einstige VW-Personalvorstand Peter Hartz den französischen Präsidenten François Hollande darin beraten, wie bei der französischen Sozialpolitik "gespart" werden könne.

Das französische Dementi kam sehr schnell. Es erschien Dienstagfrüh um 5.39 Uhr in "Le Monde". Die Herren hatten sich eine Stunde lang während eines ge­heim­ge­hal­te­nen Treffens gesprochen, mehr nicht. Da blähte sich das deutsche Me­dien­rau­schen gerade in Richtung Tosen auf. Es ist den Tag über kaum abgeflaut.

Der frühere Personalchef von Gerhard Schröder wird Hollande nicht beraten, Le Monde, 28.01.2014, 05.39 Uhr
Mir bereitet das ungute Gefühle, es ist, als könnten die Journalisten nur noch ab­schrei­ben. Vermutlich können eben (fast) alle kein Französisch lesen oder ver­ste­hen. Und sie sind offenbar auch nicht dazu imstande, Sprachkundige zu be­auf­tra­gen mit der Frage, was denn nun in diesen oder jenen offiziellen Verlautbarungen steht. Nee, die Blöße gibt sich hierzulande kaum einer mehr. Dann lieber Sturm im Blätterwald.

Einige Ausnahmen finden sich in den deutschen Medien. "Die Zeit" ergänzt am frühen Nachmittag ihre Infos, die SZ auch (siehe unten). Heute, Mittwoch, stehen an weniger prominenten Stellen mancher Zeitungen Widerrufe, die Story wird aber auch stellenweise so kom­men­tiert, als handele es sich um eine Tatsache. An­der­en­orts keine Spur von Selbst­kri­tik oder gar Rücknahmen in einem Umfang, dass sich die Ergebnisse der Such­ma­schi­nen nennenswert ändern würden.

Regierung - Frankreich: Geheimes Treffen von Hartz und Hollande sorgt für Wirbel in Paris || Paris (dpa) - Ein bislang geheim gehaltenes Treffen (...)Hartz sei aber kein Berater Hollandes und solle dies auch nicht werden. Damit wurde Informationen der «Saarbrücker Zeitung» widersprochen (...) || erschienen am 28.01.2014 um 14:56 Uhr

Zwei Fragen: Wo ist der journalistische Grundsatz hin verschwunden, dass jede Nachricht von zwei voneinander unabhängigen Quellen bestätigt werden muss?

Suchergebnisse vom 28.01.2014, nachmittags: Keine Spur vom Dementi
Und wo sind die ganzen Mit­stu­den­tin­nen und -stu­den­ten hin, mit denen ich in den 1980-er, 90-er Jahren im deutsch-fran­zö­si­schen Bildungsapparat steckte zwischen zwei­spra­chi­gem Studienprogramm und Redaktionspraktikum? Haben die wie ich auch alle auf­ge­ge­ben, weil die Honorare in kei­nem Verhältnis zu den Le­bens­hal­tungs­kosten standen?

Und nach welchen Kriterien landeten die happy few am Ende in der Festanstellung?

Not amused. Schon wieder. Okay, ich eile eine Runde ans Licht mit einer li­te­ra­ri­schen Radiosendung von France Culture auf den Lauschern, dann geht's mit Ber­li­na­le-Buchungen weiter, im Anschluss Vertragsübersetzung.


P.S.: Laut Radio France Internationale (RFI), dem französischen Aus­lands­rund­funk­sen­der, sollen sich die Herren Hartz und Hollande am Dienstag in Paris wie­der­ge­se­hen haben.
______________________________
Illustrationen: Le Monde, startpage.com

Keine Kommentare: