Mittwoch, 30. Oktober 2013

Für Künstler dolmetschen

Will­kom­men auf der Sei­te ei­ner Fran­zö­sisch­dol­met­scher­in und -über­setzerin aus Berlin. Hier kön­nen Sie in unseren Alltag Einblicke nehmen. Mein Arbeitsjournal ist aber auch der Ort, an dem ich vor oder nach Einsätzen über die Menschen nachdenke, für die wir tätig werden. Rückblende.

bunte Tasse mit Farbklecksen auf Holztisch
Blaue Farbprobe am Tellerrand
Mit zwei Malern und Ak­tions­künst­lern sitze ich in einem Café. Sie erzählen von ihrer geplanten Live-Performance an einem öffentlichen Ort und dem Wunsch, diese als Teil der Performance von ei­ner Sprecherin kom­men­tie­ren zu lassen, ähnlich wie ein Sportevent. Nur dass ich eben auf Fran­zö­si­sch spre­chen und moderieren solle, und zwar bitteschön im schicken Outfit.

Ich frage nach Inhalten und Textvorlagen — und erhalte eine Mind Map. Diese Er­in­ne­rungs(land)karten nutze ich selbst, wenn ich lerne (hier ein Beispiel aus einem anderen Bereich). Ich mag diese Form, Themen zu strukturieren, wünsche mir von den Künstlern aber Hinweise, welche theoretischen Hintergründe und Namen ich besser kennen sollte. Ich schlage den Bogen zurück zu den Sport­mo­de­ra­to­ren: Vor einem Fußballspiel schreiben sich diese ja auch die Namen hinter den Nummern und die sportlichen Erfolge auf, sofern sie die nicht alle auswendig lernen.

Die Herren Künstler werfen mir einige Namen zu, von denen ich nicht wenige ken­ne. Wir verabreden eine Probe ihrer Darbietung samt Verdolmetschung. Das aus­ge­lob­te Honorar ist so hoch nicht, aber der Spaßfaktor zählt bei derlei Unterfangen auch. Warum ins Fran­zö­si­sche?, will ich noch wissen. Die Antwort ist nicht recht überzeugend: Man höre in letzter Zeit so viel Französisch auf Berliner Straßen. Das stimmt, aber reicht das als Grund? Ich lasse mir mein Zögern nicht anmerken.

So gehen wir nach einer Stunde auseinander, in der wir uns doch in Kunstdingen festgequatscht haben. Ich habe vor allem viele Fragen stellen können. Zum Termin war ich übrigens extra aus einem anderen Stadtteil angereist und habe leider nie wieder etwas von den Herren gehört. Professionell finde ich das nicht.

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Foto: C.E.

Dienstag, 29. Oktober 2013

Lacher

Bonjour ! Seit vie­len Jah­ren ar­bei­te ich als Dol­met­scherin und Über­setzerin. Es ist mein zwei­ter Be­ruf (zunächst war ich Journalistin). Hier kön­nen Sie meinen sprach­be­ton­ten Alltag mit­ver­fol­gen.

Derzeit sind wir regelmäßig in Brandenburg, wir begleiten eine Delegation aus Neu­ka­le­do­nien, für mich ist es schon der zweite Einsatz. Nach ei­ni­gen Ta­gen kennen sich alle so gut, dass wir Dolmetscher auch mal ein Scherzchen machen dür­fen. Nach einem Vormittag in Brandenburgs Lan­des­haupt­stadt sind wir am Nachmittag wieder in Berlin.

Brandenburg, hatte man uns als erstes im dortigen Ministerium erzählt, sei locker besiedelt, Ber­lin deutlich dichter. Ähnliche Raumerfahrungen machten wir in bei den Be­sprech­un­gen in Behörden. Am späteren Nachmittag wurde mir nach län­gerem Arbeiten et­was mau im Schädel. Wir befanden uns in einem etwas klei­neren Ver­samm­lungs­raum in Adlershof, mit dem Wort "kleiner" habe ich knapp un­ter­trie­ben, wir waren 30 in einem Seminarraum mit niedriger Decke. Ich saß mitten im Raum, wir hatten die Flüsterkoffer dabei, und träumte mich eine Sekunde lang in den großen Kon­fe­renz­saal des Potsdamer Ministeriums vom Vormittag zurück. Jetzt lag der Sauerstoffgrad sicher nahe an der Grenze der Nachweisbarkeit.

Das Hirn rödelte und suchte nach Vokabeln. Dabei jonglierten wir seit Ta­gen völlig entspannt mit den tollsten Fachtermini, da geraten die Grundlagen schon mal aus dem Blick­feld. Erst war es das Wort "Handwerker", das mir ums Ver­recken nicht ein­fal­len wollte, ich schnitzte den Satz zuende, bastelte etwas von "Werkstätten außerhalb der Industrie", die Kollegin sah es, und sprach mir das Wort lautlos vor. Wir lesen in solchen Fällen von den Lippen ab.

Ein anderes Mal war sie nicht in der Nähe. "Wertschätzender Umgang" war die Vo­ka­bel, die ich immer mit "von Respekt geprägtem Umgang" übersetzt hatte. Jetzt sprach der Redner aber folgende Reihung: "Respekt, wertschätzender Umgang und echtes Interesse für das Gegenüber ..."

In Potsdam
Jetzt laufen meine grauen Zellen wirklich heiß. Ja, da ist noch was, mit einem "E" geht's los, zwei Silben, ich höre wei­ter zu und in mich hinein, un­ter­bre­che mich in meinem Dol­met­scher­in­nen­re­de­fluss. Und su­che. Und warte. Aber kein ret­ten­des Wort will am Ho­ri­zont er­scheinen! Mein Um­feld war­tet auch. Ich denke, gleich hab' ich's, bin kurz davor.

Und ich spüre, wie es sich nähert, dabei höre ich weiter zu, speichere das Ge­sag­te. "Das ist jetzt Nominalstil, was der Redner da produziert", denke ich still für mich, und: "Wo bleibt nur das Verb?" In der Tat fehlt da noch was.

Jetzt schauen mich alle an, hinten fängt jemand an, sich zu räuspern, andere ha­ben fragende Blicke, ob mir etwas fehle. Und schwups, da kommt's: estime bzw. in der Redewendung empreint d'estime, und die ganzen anderen Satzbestandteile blitzen vor meinem geistigen Auge kurz auf. Ich hole tief Luft und fange an, ge­dul­dig alles abzuarbeiten, was sich aufgestaut hat. Eine Menge.

Der Redner schaut mich überrascht an. Und ich ergänze: "Da war es mal wieder, das Problem mit dem Verb im Deutschen, das immer am Ende hockt!" Alle lachen. Dann macht jemand das Fenster auf. Endlich Sauerstoff!

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Fotos: C.E.

Montag, 28. Oktober 2013

Achtung, neue Masche

Will­­kom­­men, bien­­ve­­nue & hel­lo beim ersten deut­­schen Web­­log aus dem In­­ne­­ren der Dol­­met­­scher­­ka­­bine. Hier denke ich über unsere Arbeit nach und was diese internationalen Verflechtungen so mit sich bringen können.

Heute morgen war komische Post im Kasten, Absender: eine Kollegin aus Frank­reich.

J'ai besoin de ton aide / Urgence !!     Bonjour  Comment vas tu ? J'espère que je ne te dérange pas ? J'ai sérieusement besoin de ton aide. Je suis en déplacement depuis hier pour des raisons personnelles et là, je suis face a des difficultés tels que je ne saurais que faire sans ton aide. C'est vraiment délicat con­tacte moi par E-mail en toute discrétion. Dans l'attente urgente de te lire.  Claire
... bin aus privaten Gründen unterwegs und stehe vor
Problemen, die ich ohne Deine Hilfe nicht lösen kann ...
Was mir auffiel: Das ist auf den ersten Blick weitgehend richtig geschrieben und nicht die übliche automatische Über­setzung mit den haar­sträu­ben­den Fehl­for­mu­lie­run­gen, die Internetbetrüger sonst immer ver­wen­den.

Für eine Message von Claire sind die Zeilen aber etliche Wendungen zu geschwurbelt. Sie ist deutlich direkter im Umgang, und sie hat sonst auch keine Schwierigkeiten, Probleme auszusprechen.

Am Ende des Textes gehen mir außerdem bei c'est vraiment délicat, contacte-moi en toute discrétion ("die Sache ist wirklich heikel, melde Dich diskret bei mir") alle Warnleuchten an, wobei das discrétion auf Französisch we­ni­ger holpert als auf Deutsch.

Aber die Geheimhaltungstufe klingt nicht gut. Logischerweise hätte da noch ste­hen müssen: "Mein Handy ist auch weg, Du kannst mich nur per Mail erreichen". Nein, das ist kein Vorschlag für die Missetäter, nur eine Aufforderung zu noch größerer Aufmerksamkeit beim Lesen von Mails.

Ich antwortete also: Message vrai où système piraté ? Envoi-moi comme code un mot clé : comment et où est-ce que nous nous sommes rencontrées ? ("Echte Nach­richt oder geenterter Briefkasten? Sende mir ein Stichwort: Wie und wo haben wir uns kennengelernt?") ... und informierte Claire via facebook. Mein Verdacht hat sich als richtig herausgestellt. Kurz: Internetpiraterie ist ab sofort nicht mehr au­to­ma­tisch an grottenschlechten Übersetzungen zu erkennen, das ist neu.

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Illustration: Die Gangster

Sonntag, 27. Oktober 2013

Liebe auf Rädern

Bild eins: Sie lässt sich ein wenig von ihm mitziehen, ihre Hand an seinem Jackenzipfel. Bild zwei: Ihre Hand auf seiner Schulter, seine Hand auf ihrem Rücken. Bild drei: Ihre Hand auf seiner Schulter. Bild vier: andersherum. Bild fünf und sechs: Hand in Hand. Sie fahren durch Berlin, die Bäume sind herbstlich.Bonjour, hello und salut ... auf den Seiten dieses Blogs. Hier |plaudert| schreibt eine Dolmetscherin und Über­setzerin |aus dem Nähkästchen| über den Be­rufs­all­tag. Zeit für die Sonn­tags­bil­der!

Gerade hatten wir das Verkehrschaos am Kottbusser Platz hinter uns gebracht, ich war eilig auf dem Weg in die Charité zu einem Dolmetscheinsatz, da holte der junge Mann, der vor mir fuhr, auf und radelte plötzlich auf gleicher Höhe mit einer jungen Frau. Plötzlich radelten die beiden vor mir Hand in Hand.

Ich holte meine Kamera aus der Tasche, leider waren wir aber zu schnell wieder an einer Kreuzung.

Wir fuhren in die gleiche Richtung. Erst am Gendarmenmarkt trennten sich un­se­re Wege.


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Fotos: C.E.

Donnerstag, 24. Oktober 2013

Licht!

Hallo! Sie le­sen in ei­nem Ar­beits­ta­ge­buch. Ich bin Fran­zö­sisch­dol­met­scher­in und spreche für Politiker, Künstler, Wirtschaftsbosse und diverse Vertreter der Zi­vil­ge­sell­schaft, aber auch für Privatkunden.

Moderne Leuchten für jeden Geschmack — Neuanlagen / Reparaturen / Elektro GeräteWie viele Schotten sind nötig, um eine Glühbirne rein­­zu­­schrau­­ben?

30. Die müssen zunächst durch alle Geschäfte eilen, um die billigste Birne zu finden.

Wie viele Ostfriesen sind nötig, um eine Glühbirne rein­zu­schrau­ben?

2000. Einer hält die Birne fest, 1999 drehen das Haus.


Wie viele Dolmetscher sind nötig, um eine Glühbirne reinzuschrauben?

Hm, das hängt ganz vom Kontext ab!


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Illustration: Kinowerbung aus der
1. Hälfte des 20. Jahrhunderts

Mittwoch, 23. Oktober 2013

F-Word

Bien­ve­nue beim Web­log aus der Dol­met­scher­ka­bi­ne für die fran­zö­si­sche Sprache! Oft schrei­be ich mei­ne Ein­trä­ge aber auch am Über­setzer­schreib­tisch. Mei­ne Fach­ge­bie­te: Po­li­tik, Wirt­schaft, Soziales und Kino. In den nächsten Wochen bringe ich immer mittwochs eine erläuterte Filmvokabel.

Licht und Folien vor verhängtem FensterDas Team dreht in einer Bar, es macht nicht die Nacht zum Tage, sondern den Tag zur Nacht. Alles wird abgehängt, bei der rauschenden Party blin­zelt von außen eine Stra­ßen­la­ter­ne herein. Nächstes Bild: Zerzaust früh­stücken die Helden, Ka­me­ra­fahrt von in­nen nach außen. Für solche Einstellun­gen wer­den Licht­fo­lien verwendet.

Ganz offiziell heißen sie "Farbfilterfolien", auf Französisch la gélatine, offiziell: les filtres correcteurs. Diese Vokabel lernte ich vor vielen Jahren eher durch Zufall.

Am Vorabend einiger Berliner Drehtage mit einem Dokumentarfilmteam aus Paris ging ein Notruf auf meinem Anrufbeantworter ein. Diese Vokabel gibt schon den entscheidenden Hinweis: Es war die Zeit vor der Popularisierung der Mo­bil­te­le­fonie, damit auch die Zeit vor Popularisierung des weltweiten Netzes, in dem sich heute derlei rasch recherchieren lässt.

Folie wird auf Rahmen aufgezogenDie aufgezeichnete Stimme informierte mich nervös, dass das Team les gélatines im Kof­ferraum des Taxis vergessen habe. Vor dem nächsten Mor­gen, dem Dreh­be­ginn, durf­te ich das or­ga­ni­sie­ren. Kleines Problem: Ich wusste noch nicht, was eine gélatine war, aber es hat auch im ana­lo­gen Zeitalter ge­klappt. Hier steht was darüber.

Gleich noch eine Anekdote: Dem Vernehmen nach soll das Privathaus Erich Ho­neckers in der "Waldsiedlung Wandlitz" über einen Schrank mit Pornofilmen verfügt haben, natürlich alles Importware. Der Schnack kursierte nach der Wende in Bür­ger­rechts­krei­sen. Und inmitten dieser "Werke" stand völlig einsam ein ein­zi­ger Art-house-Film, der Streifen la nuit américaine ("Die amerikanische Nacht") von Fran­çois Truf­faut. Honecker hatte das mit dem "amerikanisch" wohl für eine se­xu­elle Spielart ge­hal­ten, dabei wird hier nur mit Lichtfolien Nacht simuliert. Ob ihm beim Sehen etwas aufgefallen ist? Ob das Video mit­ten­drin ge­stoppt worden war? (Karasek hat Mitte der 1990-er Jahre im "Spiegel" die Episode auf­ge­grif­fen und spricht von knapp 5000 Softpornos.)


Vor der Sommerpause habe ich hier den Weißabgleich vorgestellt.
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Fotos: C.E.

Dienstag, 22. Oktober 2013

Schnellangriffsschlauch

Was Dol­­­met­­­scher und Über­­­setzer ma­­chen, ist der brei­­ten Öf­­fent­­lich­­keit oft nicht ge­­nau be­­kannt. Hier schrei­­be ich da­­rü­­ber. In me­i­ner Sprach­­ar­­beit ha­be ich mich auf die Be­­rei­­che Me­­dien, Po­li­tik, Kul­tur und Ge­sell­schaft spe­ziali­siert.

Wir Dolmetscher und Übersetzer sind Glückskinder, aber verraten Sie das bitte nicht groß weiter. Allein, wer dieses Gefühl teilen möchte, sollte als offener, an vielen Dingen des Lebens interessierter Mensch durch die Welt gehen — und Sinn für Kontraste haben.

Wie ich zu einer solchen Behauptung komme? Ganz einfach, ich nehme mal kurz meinen Berufsalltag als Beispiel. An einem Tag kann es vorkommen, dass ich mit französischen Streetworkern aus einem Pariser Vorort in Neukölln unterwegs bin, die sich über die Arbeitsweise ihrer deutschen Berufskollegen informieren möchten. Und am Tag drauf wiederum ist es möglich, dass ich mit französischen Haushaltsausschussmitgliedern bei deren Kollegen im Bundestag weile ... und wir dann auch noch im Bundeskanzleramt auf Staatssekretäre treffen.

Naja, derzeit geschieht das nicht, gerade ruht die deutsche Politik bzw. ihre Pro­ta­go­nisten verhandeln sich im Hinblick auf eine Große Koalition aufeinander zu. In den Fachreferaten scheint die Arbeit zu ruhen. Wenn der Dampfer dermaleinst wieder ablegt, wird, das ist anzunehmen, auf die Tube gedrückt. Aber mehr als soundsoviel Knoten schafft er nicht, auch wir Sprachmenschen kennen natürliche Grenzen. Das droht stressig zu werden.

Also freue ich mich erstmal an der großen Bandbreite meiner Einsatzfelder. Derzeit sitze ich an einem Tag bei einem französischen Konzernchef in der Charité am Kran­ken­bett, denn dort versteht niemand trotz des schönen Kran­ken­haus­na­mens die noch schönere Sprache Molières. An einem anderen Tag bin ich beim Dreh eines Magazinbeitrags über ein Wirtschaftsthema dabei und erkunde Werkhallen. Oder aber ich dolmetsche einen Asylbewerber bei seinem Gespräch mit dem Anwalt und einen Filmstar beim Hörfunkinterview.

Ja, wer neugierig ist, gerne liest und lernt, rasch in Kontakt mit den denkbar un­ter­schied­lichsten Menschen kommen kann und ein hohes Maß an Empathie und Sprach­ta­lent besitzt, der lebt als Dolmetscher das Leben eines Glückskindes. Der Rest ist lustvolles Puzzeln. Das Wort "Schnell­spann­plat­te" gehört in die Kameratechnik, die von Kollege A. |entdeckten| übersetzten "Schnellangriffsschläuche" hängen mit der "Steigleitung" zusammen.

Lieber A., was hast du aus diesen Schläu­chen im Spanischen eigentlich gemacht? Und gibt es noch einen schrägen Tech­nik­be­griff mit Schnell- als Vorsilbe?

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Foto: C.E. (Feuerwehr Wiener Straße. Das Wesen links war
einst das männliche role model des weltbesten Patensohns.)

Montag, 21. Oktober 2013

Kabinenschätzchen

Hallo! Hier schreibt eine Über­­setz­er­­in und Dol­­met­­scher­­in für die fran­­zö­­si­­sche Spra­che. Ger­ne schrei­be ich die Typo­logie der ge­neig­ten Kundschaft fort. Heute: Das männliche Boxenluder der Damen in der Dolmetscherkabine (oder so).

White collars mit Kopfhörern
Für manchen Kunden dol­met­schen wir schon lange, für die­sen seit acht Jahren. Die Firma transportiert sper­ri­ge Dinge auf di­ver­sen We­gen quer durch Europa und darüber hinaus. Ab und zu darf eine von uns mit zur Messe, zweimal im Jahr trifft sich der Betriebsrat. Nun, nach so vielen Jahren hat jede von uns ihr "Schätzchen" beim Event.

Und eh' ich's vergesse, die Firma hat auch mit großen Schiffen zu tun. Nicht, dass wir uns jetzt missverstehen, von wegen in jedem Hafen einen Bräu­ti­gam oder so. Denn nicht jede hat ihren Liebling, Maarten ist unser aller Liebling. Gerne verrate ich, warum.

Maarten, der natürlich anders heißt, ist, sagen wir mal, Werksleiter eines "Hubs" (Drehkreuzes) irgendwo im Nordosten Europas, er stammt aber aus Holland. Vorher war er mal in England, möglicherweise aber auch nur für ein Erasmus-Jahr. Er ist erst Ende 30 und hat sehr schnell Karriere ge­macht. Er hält sich nicht nur für einen begnadeten Werksleiter und Ingenieur, sondern auch für in Sprachdingen besonders talentiert.

Wenn Maarten loslegt, bleibt kein Auge trocken. Sein Deutsch klingt wie das von Rudi Carell, nur dass bei unserem Schätzchen auf jeden Fall in jedem einzelnen seiner Sätze das gewisse Moment "Überrrraschung!" drinsteckt. Maarten fängt also an, spricht von Mitarbeiterqualifizierung, ist plötzlich bei multimodalen Trans­por­ten, springt zu einer neuen, von ihm mitkonstruierten Entladerampe und ver­hed­dert sich bei irgendwelchen neuen Lizenzrechten in [unverständlich]. Wenn Maar­ten vorträgt, weiß man nie genau, welche Sprache er gerade spricht, Eng­lisch, Fran­­zö­sisch, oder ist es nicht vielleicht sogar Deutsch (wie eigentlich an­ge­kün­digt)? Er gibt Gespräche mit einem Kollegen aus Brighton auf Englisch wieder, zitiert eine fran­zö­si­sche Fachzeitschrift und springt zurück zum Thema Mit­ar­bei­ter­füh­rung und -qua­li­fi­zie­rung (wir wissen nicht, in welcher Sprache er diese Kenntisse erworben hat).

Und um die Chose noch schöner zu machen, spricht Multimodal-Maarten wie gesagt nicht nur mit starkem Akzent, sondern auch noch leise und undeutlich. Will er et­was auf dem Bild seiner PowerPointPräsentation erklären, wendet er sich nicht etwa an sein Publikum, nein, er erklärt der Leinwand in stillem Zwiegespräch, worum es geht.

Ach, Maarten. Wenn du wüsstest, dass dich zu verarzten bei uns immer schön im Kreis geht, wobei die Novizinnen eine, zwei Veranstaltungen Karenzzeit erhalten. Es ist echt zum Heulen. Denn natürlich haben wir dir wiederholt durch die Blume die Meinung gesagt.

Die anderen Teilnehmer trösten uns übrigens hinterher. Sie würden ihn auch nicht richtig verstehen, sagen sie, und wundern sich stets, dass wir doch immer noch etwas zu verdolmetschen finden. Ein echtes Kabinenschätzchen eben, unser lieber Maarten: Ohne ihn würde unsere Talente gar nicht auffallen.

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Foto: C.E.

Sonntag, 20. Oktober 2013

Agnès Jaoui

Will­kom­men auf den Sei­ten mei­nes Blogs. Ich ar­bei­te mit Spra­che und be­rich­te hier über uns Dol­met­scher und Über­setzer ... aus sub­jek­ti­ver Perspektive. Ich arbeite (bilateral, also in beide Richtungen) mit Französisch und in einigen Fachgebieten auch aus dem Englischen. Wenn ich nicht dolmetsche, sitze ich oft am Übersetzerschreibtisch.

Gestern feierte eine der Großen des europäischen Komödienkinos ihren 49. Ge­burts­tag, die viele dem Namen nach nicht kennen, was wohl an der für deut­sche Zungen/Augen ungewöhnlichen Häufung von Vokalen liegt: Ich spreche von Madame JAOUI, Vorname Agnès. Also: Tusch und Fanfaren und alles Gute zum Geburtstag nachträglich!

In Frankreich wird sie immer in einem Atemzug mit ihrem langjährigen Le­bens­ge­fähr­ten Jean-Pierre Bacri genannt, und "Jaoui-Bacri" als Urheberpaar ist für viele Zuschauer eine sichere Aktie; der Besuch des neuen Films kann blind in Angriff genommen werden, gerne mit den Busenfreunden, mit denen das seit Jahren oder Jahr­zehn­ten Tradition ist, ungefähr so, wie sie den neuesten Woody Allen feiern gehen. Freunde in Paris halten das jedenfalls so (und ich mit ihnen, wenn ich dort bin).

Agnès Jaoui (rechts), Dolmetscherin Caroline Elias (links), Foto: Carola Schaffrath (Filmpresse Meuser)
Agnès Jaoui (rechts) und ihre Dolmetscherin bei Radio Eins
Alle drei Jahre darf ich Agnès Jaoui dolmetschen, das war zweimal in Berlin, einmal in Paris der Fall. Jedes Mal bin ich überrascht, wenn sie ohne Maske vor mir steht.
Sie er­in­nert mich an die cor­res­pon­dan­­te aus Schü­ler­ta­gen meiner Mitschülerin Petra, die wir (zu­sam­men mit den anderen Brief­freun­den) zu­hau­se be­sucht haben und sie uns.

In Deutschland erkennen auf der Straße allenfalls Filmkritiker Agnès Jaoui. Dass sie wie eine Mitschülerin, Nachbarin oder eine Frau wirkt, neben der ich am Schultor auf den Patensohnemann warte, ist sicher Teil ihres Erfolgs. Sie wirkt typisch für un­se­re Zeit ... und arbeitet in ihrer Filmarbeit klug Themen heraus, die uns an­ge­hen.

Vor allem aber ist sie, die Beginn der achtziger Jahre als Schauspielerin mit der Filmarbeit begonnen hat, eine begnadete Plotterin und Dialogautorin, immer zu­sam­men mit Bacri. Seit 2000 sind beide in vier gemeinsam ver­an­twor­te­ten Filmen zu sehen, auch das eine Parallele zu W. Allen, der ja (fast) immer auch in seinen Werken auftritt.

Themen wie Fremdheit, Ausgrenzung und natürlich Paarfindung werden auf in­tel­li­gen­te Weise interpretiert, aufs Schönste schräg verschraubt und mit ebenso klugen wie witzigen Dialogen versehen. Das Wort "Komödie", das ja in Deutsch­land durch den Main­stream-Ko­mö­dienstadl im Kino (muxmäuschenstille Ohrenhasen und so) Schaden genommen hat, bekommt hier einen neuen Klang.

In ihrem neuen Film "Unter dem Regenbogen", der letzte Woche in Deutschland angelaufen ist, wird die Suche nach dem Mär­chen­prin­zen spielerisch variiert. Dabei hätte sie sich nicht gescheut, auch die nar­ra­ti­ven Codes von Märchen-, Trash- und Liebesfilmen zu verwenden, ja mit ihnen zu spielen, erzählte sie im Interview von Knut Elsterman (Radio Eins).

Ein Gesprächsmoment hat mich besonders überrascht. Mit Bacri, mit dem sie zwi­schen 1987 und 2012 zusammen war, verbinde sie ein festes Arbeitsritual. Jeder arbeite für sich selbst, ausschließlich zwischen drei Uhr nachmittags und sieben Uhr abends hätten sie einander das Recht eingeräumt, über Film­pro­jek­te zu spre­chen. Außerdem arbeiten die beiden noch analog mit Füller und Heft; das Com­pu­ter­zeit­al­ter ist beim berühmten Filmpaar Jaoui-Bacri noch nicht aus­ge­bro­chen.


P.S.: Die beiden gehen zwar privat getrennte Wege, arbeiten aber weiter zu­sam­men. Super! Weitere rituelle Kinobesuche im Freundeskreis sind gesichert!
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Foto: Carola Schaffrath (Merci beaucoup !)

Donnerstag, 17. Oktober 2013

Zwei Apfels

Bien­ve­nue auf der Blog­seite ei­ner Dol­met­scher­in und Über­setzer­in. Fran­zö­sisch ist meine zwei­te Arbeitssprache, Englisch meine "passive" Sprache. Hier erhalten Sie Einblicke in die Berufswelt von Sprachmenschen. Heute: Alltagsärger.

Beim Geldbeutelausräumen und Belegesortieren fiel mir neulich dieses Prachtstück von Kassenbon in die Hände:

Heimische Apfels, Pflaumen Rot, Tomaten RundDass sich der Plural von Apfel so schreibt, war mir neu, da­bei hatte ich nur ein harm­lo­ses, vorgepacktes Apfelnetz gekauft. Und dass hier das Rot in das Rund muss, scheint ja wohl klar!
Im Ernst, die kleinen, roten Pflaumen und die un­ecki­gen Tomaten, die esse ich lieber selbst, anstatt mit ihnen Fuß­ball zu spielen!

Bei einigen Beratungen mit anderen besserwisserlichen Sprachmenschen mutmaßte der eine, Apfels sei die unbeholfene Abkürzung für Apfelsine. Aber mir zeige bitte jemand den "heimischen" Orangenbaum. Ein anderer meinte, dass "Apfels" einfach "Apfelsorte" heißen könne.

Warum wurde die Kasse so schlampig programmiert? Und überhaupt, inzidentelles Lernen findet ja auch beim Einkaufen statt, so dass Kinder und Zugereiste auch bei falscher Großschreibung fehlerhaftes Deutsch lernen. Wenn's mal nur die wären! Jeder 6. erwachsene Mensch hier in "Deu" (siehe Bon) verfügt, der neusten Bil­dungs­stu­die der OECD zufolge, über die Le­se­fä­hig­keit von Zehnjährigen. Schlimm genug. Aber warum dürfen ge­ra­de die ent­schei­den, was am Ende auf den Kas­sen­bons steht?

Nennt mich kleinlich, aber Lernen ist nun mal eine lange Strecke, die aus Mil­liar­den kleiner Schritte und viel Achtsamkeit für die Mitmenschen besteht! Wenn der weltbeste Patensohn seinen Turnbeutel sucht, sage ich doch auch: "Der liegt auf dem Klafünf!", nicht ohne anschließend zu fragen, warum ich "Klafünf" gesagt habe. Wer wirklich lernwütig ist, und das sind Menschen eigentlich von Natur aus, lässt keine Chance aus.


P.S.: Anders, als einer der Kollegen annahm, stammte der Einkaufsbeleg nicht vom Viet­na­me­sen an der Ecke, sondern von einer in Berlin ansässigen Biomarktkette.
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Foto: C.E.

Mittwoch, 16. Oktober 2013

Mediendolmetschen, 2. Teil

Will­kom­men, bien­ve­nue & hel­lo beim ersten deut­schen Web­log aus dem In­ne­ren der Dol­met­scher­ka­bine. Hier lasse ich unsere Arbeit Revue passieren. Ist diese für die Öffentlichkeit bestimmt, denke ich auch über Inhalt und Form nach.

Hier die Fortsetzung meiner Drehgeschichte von gestern. Freitagnachmittag wa­ren wir drehen, anschließend eilten die Protagonistin und ich erschöpft und hung­rig ins nächste Restaurant. Montagvormittag ging es fürs Team weiter, wäh­rend sich unsere Heldin auf dem Rückflug nach Afrika befand. Der Ka­me­ra­mann hat­te inzwischen alle Bilder eingespielt, der Journalist seinen Bericht geschrieben, nur die französischen O-Töne (Originaltöne) fehlten noch.

In-Punkt, Out-Punkt
Meine ersten Schnitterfahrungen durfte ich in den 1990-er Jahren in Frankreich sammeln. Damals hatte uns die Software immer nach "Point IN" und "Point OUT" gefragt. Ich lerne also gleich In-Punkt und Out-Punkt, bestes DEnglish.

Da der Journalist die Reihenfolge seiner Argumente schon festgelegt hat, braucht er jetzt die passenden Stellen. Je nach Auswahl verändert sich wiederholt der auf das Interviewzitat hinführende Kommentar. Beim Sichten verdolmetsche ich die takes simultan. Außerdem tippe ich meine Übersetzungen parallel dazu in den Laptop.

Blick auf den Arbeitstisch
kreative Arbeitsstimmung,
drei Menschen,  vier Computer
Jedes Mal, wenn uns die Passagen der In­ter­view­ten zu lang erscheinen, schreibe ich in Klammern auch im­mer die französischen Ori­gi­nal­zi­ta­te mit auf, um späteres Schnei­den zu erleichtern, denn ich bin nur am Vor­mit­tag mit von der Partie.

Mi­cha­el, der Journalist, spricht inzwischen leise sei­nen Text und prüft, ob der Rhythmus stimmt.

Der Kameramann-in-Per­so­nal­union-mit-Cutter "trimmt" derweil die Töne. Dann ruft der Sender an, unser Beitrag soll gleich am Abend laufen, er darf etwas mehr als zwei Minuten lang dauern. Aber zwei Minuten sind nicht viel. Entsprechend kurz und prägnant müssen die einzelnen Zitate sein.

Ausgerechnet bei ihrem letzten Satz hatte die Interviewte mitten im Sprechfluss die Idee geändert und die Aussage ganz leicht verstolpert. Das hatte ich beim Dreh nicht gehört. Gesprächspartner so lange zu triezen, bis alles perfekt an- und aus­ge­spro­chen ist, ist nicht der Stil aller Redaktionen. Es gibt allerdings Medienleute, die so arbeiten. Bei ungeübten Sprechern empfiehlt sich derlei jenseits aller me­dien­ethi­schen Bedenken meistens schon deshalb nicht, weil diese immer schneller werden, ins Leiern kommen ... oder die Sätze erst richtig verstümmeln. (Kleine Erinnerung in dem Zusammenhang: Lottogewinner Erwin Lindemann von Loriot.)

Bevor ich mich von den Kollegen verabschiede, erbitte ich eine Kopie unseres Interviews, einiger zugehöriger Auf­nah­men sowie des fertigen Beitrags, denn ich werde irgendwann auch hierzu unterrichten. Nächstes Sommersemester kehre ich als freie Lehr­be­auf­trag­te erstmal in Sachen Französisches Kino an die Universität zurück. (Ich freue mich darüber. In den Nuller Jahren war ich sieben oder acht Jahre lang "in der Leh­re".)

Hier geht's zum Filmbeitrag von Michael Reiter für die dänischen Haupt­abend­nach­rich­ten: Klick! Er soll für ca. sechs Monate online stehen.

Schnittsituation und Ransprung
Das Bild kennen Sie schon? Wir auch! Filmarbeit besteht zum Großteil aus Wiederholungen!

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Fotos: C.E.
Wie Sie spenden können, steht hier.

Dienstag, 15. Oktober 2013

Mediendolmetschen

Will­­kom­­men beim Blog aus der Dol­­met­­scher­­ka­­bi­ne. Ich arbeite in den Be­­rei­­chen Wirt­­schaft und Po­li­tik, So­ziales und Kul­tur. Manch­e Jobs sind nicht einfach, weil die Themen belastend sind. Aber die Qualität der menschlichen Begegnungen gleicht das wieder aus. 

Ärztin, Kameramann, Reporter ... und KameraDonnerstagmorgen, ein Notruf: Man wolle mich für Freitag engagieren, ein sensibles Thema, Ge­ni­tal­ver­stüm­me­lung, und eine gerade den Kin­der­schu­hen entwachsene Protagonistin. Die Sache ist eindeutig: "Wir wollen Sie, denn Sie bringen ja mehr als Dolmetschen!" Wie schön, da hat jemand in meinem Blog gelesen!

"Danke für den Claim!", hätte ich beinahe gesagt, aber so schlagfertig bin ich nicht. Das Problem: Ich bin für den Tag schon vergeben. Der Anrufende insistiert. Schließlich wäge ich ab und sende die Kollegin zum Stamm­kun­den. Dann lese ich mich ein (und leide). Und ja, es kann sein, dass unsereiner Angst hat vor be­rufs­be­dingten Begegnungen.

Inab am Fester, der Kameramann hockt auf der FensterbankSchnell fange ich mich wieder. Das Mädchen, das ich vertonen soll, hat wirklich Schlimmes erlebt und sie ist so mutig! Die 19-jährige Inab ist eine der ersten Patientinnen des von Waris Dirie gegründeten Desert Flower-Center in der deut­schen Hauptstadt, wo dank Spenden auch mittellosen ge­ni­tal­ver­stümmelten Frauen geholfen werden kann.

Die zweite Schwierigkeit des Themas liegt in der künstlichen Inter­view­si­tu­a­tion. Ich habe viel Filmerfahrung, kann eine Vertrauensbasis herstellen, die Wucht des Gefilmtwerdens mildern.

Die Augen einer Frau im Monitor einer Kamera
Und genau das mache ich dann auch. Zwischen den In­ter­view­tei­len entstehen Schnittbilder. Ich gehe davon aus, dass sich die junge Frau für Film in­te­res­siert und erkläre die Ein­stellungen, die Wertigkeit von Bildern, das Setting, die Not­wendigkeiten eines Nach­rich­ten­beitrags. Im Interview rob­ben wir uns langsam ran an das Thema.

Die junge Frau spricht in klaren Sätzen und deutet den Abgrund an. Bei der Frage nach den körperlichen Folgen des mit dem Begriff "Beschneidung" verharmlosten Eingriffs hake ich vorsichtig nach. Selten schien es mir so wichtig, das gleiche Geschlecht wie ein Interviewpartner zu haben. Und ich bin froh, dass auch einer der behandelnden Ärzte, eine Frau, im Raum geblieben ist.

Patientin sitzt auf dem Bett und schreibt
Das Dolmetschen ist hier auch kulturelle Vermittlungsarbeit zwischen den Geschlechtern und den Kulturen, zwischen einem jungen Menschen mit traumatischen Erfahrungen und nicht mehr ganz so jungen, ohne le­bens­be­droh­li­che Erlebnisse auf­ge­wach­sen­en Westeuropäern. Die Of­fen­heit der jungen Afrikanerin trägt die Situation.

Manches, was die junge Frau nicht direkt ansprechen kann, findet auf einer an­de­ren Ebene Ausdruck, das ist gut verständlich. Umso überraschender ihre sehr all­ge­mei­ne Antwort bei der Frage nach der Zukunft. Jetzt konkretisiere ich die Frage: "Wo sie sich denn in zehn Jahren sehen würde?" Ihr Gesicht erstrahlt, es sprudelt aus ihr heraus.

Letzte Einstellung: Von Schmerzen befreit verlässt Inab, die zu einer Nach­un­ter­su­chung in Berlin war, das Krankenhaus. "Das Leben geht weiter", hören wir sie im Off sagen. (Fortsetzung folgt.)

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Fotos: C.E.
Wie Sie spenden können, steht hier.

Montag, 14. Oktober 2013

Steigleitung

Hal­lo, hier bloggt eine Über­­setzer­in und Dol­­met­­scher­in kur­ze Be­rich­te aus der Welt der Sprach­mitt­ler. Wir sind Lern­profis. Je­de Wo­che, ach, was sag' ich, alle zwei Ta­ge kann ein neu­es Thema auf der Ta­ges­ord­nung ste­hen, von Abfallmanagement bis Wirtschaft ist al­les da­bei (oder fast).

"Inzidentelles Lernen" ist eines meinen Lieblingswörter. Es könnte auch "un­ab­sicht­li­ches Lernen" oder "Zufallslernen" genannt werden, denn der Begriff beschreibt Ler­nen ohne jede Lernabsicht. Damit ist der Begriff ein Paradetext für meine Ka­te­go­rie "Am Wegesrand auf­ge­le­sen".

LöschwassereinspeisungGerne lerne ich im Vorbeilaufen. Jahrlang bin ich am Jardin du Luxembourg aus dem RER-Bahnhof aus­ge­stie­gen und kam auf dem Weg in die Hochschule an einer Klappe in der Wand vorbei, auf der ein Schild prangte: colonne sèche stand darauf, wörtlich über­setzt ergibt das "trockene Säule" ... und damit erstmal gar keinen Sinn.

Jahre später eilte ich auf dem Weg zur Berlinale an einem ähnlichen Schild vorbei, "Steigleitung trocken" stand darauf. Und heute war es wieder so ein Schild, das ich auf dem Hinweg das erste Mal sah: siehe links oben.

Als ich auf dem Rückweg an der gleichen Stelle vor­bei­kam, machte sich ein Mann daran etwas umständlich zu schaffen ... und wollte partout nicht mit aufs Bild. Nun weiß ich also, dass es zur "trockenen Steigleitung" noch ein Synonym gibt. Im Falle eines Brandes wird hier also Wasser aus dem nahegelegenen Hydranten ein­ge­speist.

Im vorliegenden Fall handelte es sich zum Glück nur um eine harmlose Funktionskontrolle. Doch wer weiß, wann ich dieses Wort am Ende doch mal brauchen wer­de. Ich berichte weiter.

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Fotos: C.E.

Samstag, 12. Oktober 2013

Prosodien

Hallo auf den Webseiten einer bloggenden Dolmetscherin. Hm, klingt komisch (wie 'dichtende Hausfrau'). Nochmal: Hallo auf den Seiten meines Arbeitstagebuchs. Klingt schon besser. Wir Dolmetscher beschäftigen uns auch mit Klängen ...

... daher hat mich folgendes Filmchen besonders begeistert. Mein "Link der Woche" führt zu einem Zungenkünstler der besonderen Art, hier:



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Film: unknown

Donnerstag, 10. Oktober 2013

Wehrhafte Flora

Bon­­­jour, hel­­­lo und sa­­lut ... auf den Sei­­­ten die­­­ses Blogs. Hier schreibt eine Dol­­­met­­­scher­­in und Über­­­setzer­in über ihren All­­­tag in Ber­­­lin. Unsereiner kann leider nicht mal eine Straße runtergehen, ohne dass er etwas zu beanstanden hat.
 
Denn der Kopf verdolmetscht, was er so im Vorbeigehen liest. Hier eine Fundsache am Straßenrand, genauer: Vor einer Kita.


Und gleich stellen sich Fragen: Blumen nicht treten, weil sie sonst zurücktreten würden, auch die Kleinen? Die Schrift sieht "ausgewachsen" aus, hm, wurde wirklich nicht bemerkt, dass hier ein "auf" fehlt? Und die Kinder? Hat da keine kleine Ober­schlaue (oder kein kleiner Oberschlauer) mal laut nach­ge­dacht? Naja, zu­rück­tre­tende Tulpen, Geranien und Sonnenblumen sind mir allemal lieber als die sonst im heutigen Berlin üblichen Tretminen, auch Hundekacke genannt.

Diese ganze Geschichte, die sich mir beim vorüberflanierenden Lesen des Schildes eröffnet, ist übrigens ebenso typisch für Dolmetschhirne wie die Vokabelkritik. Denn wir leben davon, dass wir uns in die Themen und Sprecher hin­ein­schrau­ben, weit hineindenken, weiterdenken, im Geiste abgrenzen, Nach­bar­ge­bie­te aufspüren usw., das dann jeweils gerne auch noch in der Arbeitssprache. Soviel zum inneren Monolog von Spracharbeitern. Kann ganz schön anstrengend sein ... vor allem aber, die Wörtermühle abends wieder auszustellen!

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Foto: C.E.

Mittwoch, 9. Oktober 2013

Merci beaucoup XI

Bien­ve­nue! Sie sind auf den Sei­ten eines di­gi­ta­len Ar­beits­ta­ge­buchs gelandet. Ich arbeite als Dolmetscherin und Übersetzerin, meistens mit den Sprachen Fran­zö­sisch und Deutsch, und zwar im Rahmen von Konferenzen, für Festivals, bei Hin­ter­grund­gesprächen, Geschäftsterminen und Dreharbeiten. Dabei werde ich re­gel­mä­ßig mit Vorurteilen konfrontiert.

Restaurantgespräche! Und eine Art von feed back, die mich zum Grinsen bringt. Hinterher jedenfalls. Wir sitzen nach getaner Arbeit zu einem Stadtplanungsthema in Berlin im Restaurant, der französische Kellner beobachtet amüsiert, wie ich die Speisekarte übertrage, bevor er eine französische Übersetzung rausrückt. Mich nervt das schon mal, ich lasse mir aber nichts anmerken.

Dass er wirklich Franzose ist, weiß ich spätestens bei der Aufnahme der Be­stel­lun­gen sicher. Zwischendurch tritt der deutsche Küchenchef kurz an unseren Tisch, an dem der französische Kunde und zwei Deutsche sitzen, ein Mann und eine Frau. (Typisch, als Dol­met­scherin zähle ich mich nicht mit. Wir sind also vier.) Ich mache meine Arbeit.

Der Kellner bekommt das im Vorbeigehen mit. Als er die Teller abräumt, zwin­kert er mir zu, denn die Worte fliegen weiter wie Pingpongbälle über den Tisch. Er schaut so drein, dass ich schon ahne, was am Ende parallel zur Rechnung als Kom­pli­ment serviert wird: "Sie könnten als Dolmetscherin arbeiten!" Tja, of­fen­bar ler­ne ich beim Begleitdolmetschen meine Kunden immer wieder so gut kennen, dass uns Außenstehende regelmäßig "verheiraten".

Mein Kunde lacht mit. Und er macht gleich Werbung für meine Dienstleistung, als er sagt, in mir würden sich französischer Charme und deutsche Gründlichkeit ver­bin­den. Besser, als wenn die Kombination "französische Präzision und deutsche Kre­a­ti­vi­tät" lauten würde, meint darauf der Kellner. Und ich muss das Ganze dann auch für die Deutschen dolmetschen!

Menno, was haben die nur immer mit dieser Idee, in Deutschland gebe es keine oder zu wenig Kreativität? Und ich kenne viele Franzosen, die sehr akkurat sind und arbeiten, c'est vrai !
 
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Foto: C.E.

Dienstag, 8. Oktober 2013

Fragen

Willkommen bei den Blogseiten einer Spracharbeiterin. Hier lesen Sie, was uns beruflich so umtreibt. Heute: Blick auf den Schreibtisch.

Vorhin begegnete mir auf dem benachbarten Markt am Ufer ein Mädchen im Sweat­shirt mit dem Aufdruck: "Nie wieder lernen!" Sie sah aus wie eine der frisch­ge­backenen Abi­tu­rientinnen, die bald zu studieren anfangen. Schon me­ga­be­sch...euert, wenn unsere Bildungsstätten den natürlichen Impuls des Menschen, Neues zu erfahren, derart ersticken.

Unsereiner lernt nie aus. Alle Naslang lerne ich neues Vokabular. Im Januar stand Rechtsextremismus auf dem Programm, im Februar Kino, Filmwirtschaft und Mo­bi­li­tät von Migranten, im März Marketing sowie ein medizinisches Thema, im April waren es Design, Tourismus und Nordafrika, ab Mai ging es verstärkt um Fra­gen der Steuergerechtigkeit, die binären Ausbildungsformen sowie die be­ruf­li­che In­te­gra­tion von benachteiligten Jugendlichen, im Juni stand wieder Nordafrika auf dem Programm, zudem Historisches aus Berlin, Homoehe, Finanzmarktkrise und Film­ge­schichte.

Nach der Sommerpause drehte sich alles um: Transition der Wirtschaft, nach­hal­ti­ger Landbau, Psy­cho­lo­gie, Afrika, Wahlen, Bildung, Volkswirtschaft, Bergbau.

Zwischendurch kommen Projekte wie Koproduktions- und Gesellschafterverträge, die Digitalisierung von Kinos und Personalmanagement aufs Tapet, oder aber es ging um die Ausfuhr von Notstromaggregaten aus dem europäischen Raum.

Jetzt brüte ich einen Tag lang über dem Thema Genitalverstümmelung. Das und was in den Nachrichten läuft, geht mir durch und durch. Schon oft habe ich zu den Themen Migration, Flucht, Lampedusa und versiegende Lebensgrundlagen nord­afri­ka­ni­scher Fischer gedolmetscht, am Projekt "Die Farbe des Ozeans" von Maggie Pe­ren mitgearbeitet, der erst im August bei Arte lief und zum Film "La Pirogue" von Moussa Touré durfte ich Publikumsgespräch übertragen. Für alle Berliner: Der Film läuft morgen im Rahmen der Reihe "Film gourmand" im Lichtblick-Kino.

aus "Die Farbe des Ozeans" von Maggie Peren (2012)
Als Dolmetscherin stellen sich mir diverse Fragen. Eine, die die Gesellschaft betrifft: Was vor Lampedusa passiert, und es ist ja nicht das erste Mal, ist unterlassene Hilfeleistung. Der eingemauerte Norden macht sich mitschuldig. Wie weiter? Dann eine, die mich persönlich betrifft: Je mehr Themenbereiche ich be­ar­bei­te, desto mehr weiß ich.

Der Begriff "wissen" trifft es aber nicht ganz. Ich beschäftigte mich intensiv mit den Themen und vertone meine Kundschaft sicher auch mit einem großen Maß an Empathie, an Identifikation, denn um so gut wie möglich in ihrem Namen sprechen zu können, "schlüpfe" ich manchmal, so kommt es mir jedenfalls oft vor, "in sie hinein". Und je mehr ich von der Welt mitbekomme, desto ver­letz­barer fühle ich mich. Was macht das mit mir? Wie gehe ich damit um?

Und am Ende noch eine nicht ganz ernst gemeinte Frage: Was müssen wohl die gegebenenfalls mitlesenden Nachrichtendienste von mir halten? Wie versuchen sie sich da, ein kohärentes Bild zusammenzureimen?

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Foto: Movienet Filmverleih

Montag, 7. Oktober 2013

Blatt im Wind

Wie Dol­­­­met­­­­scher und Über­­­­setzer ar­bei­ten, ist der brei­­­ten Öf­­­­fent­­­­lich­­­­keit oft nicht ge­­­nau be­­­kannt. Hier schrei­­­be ich da­­­rü­­­ber. Heute: Kostengünstiges Untertiteln.

Noch nicht wieder im Büro, aber schon wieder aktiv: Ich stecke mitten in einer Un­ter­ti­telung. Regisseur Jean-Marie Teno kenne ich vom Internationalen Forum des Jungen Films der Berlinale, er ist zu den Französischen Filmtagen Tübingen-Stutt­gart eingeladen, die mir auch wohlbekannt sind.

Sein Doku­men­tar­film "Ein Blatt im Wind" (une feuille dans le vent) lief schon beim Festival FIDMarseille. Jetzt ist eine deutsche Untertitelung fällig. Der mit­­tel­­lan­ge Film enstand selbstproduziert. Die Untertitelung eines Low-budget-Films (*) er­for­dert genauso viel Geduld und Zeit, Hingabe und Talent wie normale, voll fi­nan­zier­te Untertitelungen auch. Sein Thema, das mich hier also einige Tage lang be­schäf­tigt, hat größtmögliche Sorgfalt verdient. Es ist eine Le­bens­ge­schich­te, ein be­bil­der­tes autobiografisches Interview, das zu Herzen geht.

Protagonistin Ernestine Ouandié wurde als Tochter eines kamerunesischen Wi­der­stands­kämpfers geboren, der 1971 ermordet wurde. Sie hatte eine sehr un­glück­li­che Kindheit und re­flek­tiert das, was ihr widerfahren ist, vor dem Hin­ter­grund der tragischen und brutalen Kolonialzeit. Es geht wieder einmal um trans­ge­ne­ra­tio­nel­le Weitergabe von Traumata.

Heute also die zweite Videokonferenz zum Thema: Die Untertitel sind übertragen, den Film hatte ich immer im Augenwinkel und die Titel sind entsprechend knapp gehalten. Da ich inzwischen nur noch selten untertitele, verfüge ich derzeit über keine pro­fes­sio­nel­le Untertitelungssoftware. Die meisten Regisseure nutzen zum Un­ter­ti­teln ihre Schnittsoftware, so dass sich jetzt die Frage der Umsetzung stellt, denn Jean-Marie kann das Timing nicht selbst machen, sein Deutsch ist nicht gut genug.

Das Interview wurde auf Englisch geführt, die Kommentare sind auf Französisch, das "Spotting" (Festlegung der Zeiten für die Titel) der Interviewteile liegt für fran­zö­si­sche Titel vor, muss aber noch angepasst werden, da die Sprachen un­ter­schied­lich raumgreifend sind. Die Kommentaruntertitel werden völlig neu sein.

Wir müssten uns jetzt auf ein- und dasselbe Open-source-Untertitelungsprogramm ei­ni­gen, das dann professionelle Timecodes auswürfe, die sich wiederum beim Avid, dem Profi-Schnittprogramm, einspielen ließen. Neues Programm bedeutet aber: Finden desselben, einspielen, zum Laufen brin­gen, bedienen lernen, Com­pu­ter­ab­sturz, Inkompatibilitäten, Neustart. Wir versuchen's jetzt erstmal mit dem, was wir bereits nutzen. Hier sieht man uns heute Abend beim Nachdenken, noch etwas ratlos. Fortsetzung folgt.

Ernestine Ouandié, rechts unten, die Protagonistin des Film von Jean-Marie Teno, rechts oben


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Fotomontage: C.E.
(*) Zu den Kosten: Die Arbeitstunde hier ist mit ca.
einem Zehntel einer Dolmetscherstunde vergütet.
Schön, dass Konferenzen diese Filmarbeit kofinanzieren.

Sonntag, 6. Oktober 2013

Chut !

Hallo und herzlich willkommen auf den Seiten meines digitalen Ar­beits­ta­ge­buchs. Ich übersetze und dolmetsche (aus den Sprachen Französisch und Englisch und ins Deutsche und Französische).

Chut !, sagen die Franzosen, wenn etwas geheim bleiben soll. Dass in einem Ge­spräch aus dem deutschen "Pst!" ein französisches chut ! wird, dafür sorgen wir Dolmetscher.

Hier blogge ich schon im sie­ben­ten Jahr aus dieser Pers­pek­ti­ve. Wir sind in he­raus­ra­gen­der Position, was Ge­heim­nis­se angeht. Wir sind Ge­heim­nis­trä­ger und wir be­wah­ren na­tür­lich das uns indirekt An­ver­trau­te ... sind auch per Eid dazu ver­pflich­tet.
Der behält auch beim vir­tu­el­len Ar­beits­ta­ge­buch seine Gül­tig­keit.

Was ich hier erzähle, ist das Wie und Warum, lustige und weniger lustige Episoden und Momente, die mit dem Dol­met­scher­be­ruf (oder dem des Übersetzers) einhergehen. Ich schreibe aber auch über Land und Leute, über un­ter­schied­li­che Sichtweisen, die sich mit­un­ter an Wörtern ablesen las­sen, und bringe ab und zu neue (oder alte) Vokabeln.

Die Verkäufer von Lunamaro nennen das Möbel eine
Yin-und-Yang-Bank
Heute: Le confident ("der Vertraute"), ein Sessel in einer besonderen Form. Eben sah ich dieses Möbel in Berlin am Wegesrand. Auf der Web­seite des Museums der de­ko­ra­tiven Künste steht mehr über eine Vorlage dieses untpischen "Stra­ßen­mö­bels" aus dem 19. Jahrhundert. Ich habe den Sessel schon in äl­te­ren Loireschlössern gesehen.

Hier stand der Sessel mal fünf Minuten am Gehweg, um eine Einfahrt frei­zu­hal­ten. Bei Wikipedia fand sich die In­for­mation, dass ein ähn­li­cher Sessel, allerdings mit drei Sitzflächen oder mit drei Sitzflächen aufwärts, un indiscret heißt. So schnell wird aus etwas Vertrautem eine Indiskretion: ab dem dritten Zuhörer (oder der dritten Zu­hö­rer­in).


Die Autorin dieser Zeilen huldigt weiter der Verschwiegenheit, besonders bei etwa 10.000 Klicks monatlich. Aber eins hier sage ich gerne offen: In meinem Dol­met­scher­al­ltag höre ich auch viele Themen, bei denen es wirklich besser ist, wenn wir großzügig den Schleier des Vergessens darüber ausbreiten.

Chut ! ... heißt zudem nicht nur "pst!", also "leise!", sondern kann auch "still!" bedeuten.

Vokabelnotiz: das Straßenmöbel — le mobilier urbain
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Fotos: C.E.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Vokabelkartei

Herzlich Willkommen auf den Seiten meines digitalen Arbeitstagebuchs! Ich zähle zur großen Schar freiberuflicher Dolmetscher und schreibe hier über den Alltag aus höchst subjektiver Sicht, immer aber unter Wahrung der Dienstgeheimnisse. Heute: Lerntipps.

Von außen betrachtet könnte es so aussehen: Dolmetscher sind wie Zwangs­neu­ro­ti­ker, denn dauernd wiederholen sie ihre mündlichen Prüfungen, ständig lernen sie. Ein wichtiges Utensil dieser schönen, anerkannten Verrücktheit möchte ich heute vorstellen: Die Vokabelkartei.

Im Bild rechts oben sind die vier Vokabelstäpelchen erkennbar. Im Fach Nr. 1 sind die neuesten Vokabeln. Beim Wiederholen und Abfragen wandern alle Begriffe, die ich konnte, ins Fach Nr. 2, was ich aus dem 2. Fach gewusst habe, darf in die Nr. 3 vorrücken usw. Was noch nicht sitzt, geht ein Fach zurück. Damit kann ich die Wie­der­ho­lung der Fachtermini bewusst steuern. Noch ein Vorteil: Das Kästchen ist klein und handlich.

Sogar auf der Fahrt zum Flughafen lerne ich. Seit zwei Tagen lese ich mich in die Materie ein, die Reden und PowerPointPräsentationen kamen wie immer sehr spät. Die meisten Informationen habe ich am Vorabend ver­ar­bei­tet. Am Morgen sitze ich in der BVG und schlage im digitalen Wörterbuch noch Wörter nach. Schnell 'ne Vokabelkarte beschriften, dann umsteigen.

Am Flughafen konnte ich weiterlesen und -lernen, auch im Flugzeug. Gut: Die Karteikarten sind analog, müssen bei Start und Landung nicht heruntergefahren werden.
Am Zielort zücke ich in der Straßenbahn meine Waffen. Den kleinen Vokabelcomputer soll ich auch mit ei­gen­en Vokabellisten füttern können, habe das aber noch nicht ausprobiert. Mir reicht die Komplexität der zwingend notwendigen Technik.

Im Hotel breite ich die neuen Vokabeln aus und über­flie­ge sie wiederholt in Windeseile. Noch kann ich sie nicht. Ich mache mich aber so mit ihnen vertraut. Dann Abendessen, Spaziergang, Sauna. Immer, wenn ich hier vorbeikomme, schaue ich auf die Termini. Ich versuche mich an raschen Übersetzungen, drehe sie um, lasse sie umgekehrt liegen. Schlüs­sel­be­grif­fe wandern sogar in Mantel- und Bademanteltasche.

Vor dem Einschlafen und am nächsten Morgen, der Kongress beginnt erst am späten Vormittag, lese ich weiter, jetzt vor allem auf Inhalt. Zwischendurch prüfe ich immer wieder die Vokabeln, wiederhole neue und äl­te­re Wörter. Das System ermöglicht mir, die Wie­der­ho­lungs­schlei­fen wun­der­bar zu steu­ern. Die kleinen Blanco-Kärtchen gehen zu Neige, leider sind sie nur in Deutschland im Handel.

Eine andere Dienstreise, die gleiche Kartei: Sogar auf Fahrten zwischen verschiedenen Einsätzen, wenn wir z.B. mit einer Delegation von Politikern, Wirt­schafts­ka­pi­tä­nen, Ingenieuren, Gewerkschaftern oder Stu­den­ten unterwegs sind, nutze ich die Karten, hier alte Karten von 2008, die ich im Büro thematisch abgelegt hatte.

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Fotos: C.E.

Mittwoch, 2. Oktober 2013

murmurer

Hal­lo auf den Sei­ten ei­ner blog­gen­den Sprach­frau. Was Kon­fe­renz­dol­met­scher und Über­setzer um­treibt, kön­nen Sie hier le­sen. Täg­lich be­schäf­ti­ge ich mich mit den Grund­la­gen der Arbeit, der Kultur.

Die Worte murmurer und "murmeln" gehören zu den sogenannten ono­ma­to­po­e­ti­schen Begriffen, was sie bezeichnen und wie sie klingen, ist mit dem Ge­mein­ten identisch.

Mittagspause, der Kopf ist genervt, weil sich die Welt so langsam dreht und ich mei­ne Buchungssituation für einen gro­ßen Auftrag am Monatsende erst in der Nacht oder morgen erfahre, denn ich kommuniziere mit der andere He­mis­phä­re. Ich lenke mich mit Bildungsfernsehen ab.

Und sehe mit viel Genuss Le dessous des cartes ("Mit offenen Karten") auf Arte. Die Reihe zeichnet dieser Tage die Ent­wicklung der Stadt Paris von der Re­nais­san­ce zur Aufklärung nach. Ich liebe auch die­se Form der Reise in die Stadt, in der ich studiert und mein Berufsleben begonnen habe.

Auf Merians Stadtplan zur Zeit von Henri IV, siehe oben, sind noch die Häuser auf den Brücken zu sehen, die auch von Patrick Süßkind im Buch "Das Parfum" so ein­dring­lich be­schrie­ben worden sind. Beim Wiedersehen dieser Bilder bin ich über­rascht: Auf den Brücken standen damals nicht nur Gebäude, die so aussehen wie gewisse neue "Townhouses" im Berliner Regierungsviertel, sondern die Ener­gie­ge­win­nung mit dem Mühlrad war quasi gleich im Keller. Das ist hochaktuell!

Die Sendung regt zum Lesen an. In Sachen altes Paris muss ich Victor Hugo zur Hand nehmen, Notre Dame de Paris, dessen einer Teil sogar "Paris aus Luft­pers­pek­ti­ve" heißt (Paris à vol d'oiseau). Da gibt es diese wunderschöne Stelle über das erwachende Paris, die ich einst auswendig konnte: Et si vous voulez re­ce­voir de la vieille ville une impression que la moderne ne saurait plus vous don­ner, mon­tez, un matin de grande fête, au soleil levant de Pâques ou de la Pen­te­côte, montez sur quelque point élevé d'où vous dominiez la capitale en­tière, et assistez à l'éveil des carillons. Voyez à un signal parti du ciel, car c'est le soleil qui le donne, ces mille églises tressaillir à la fois. Ce sont d'abord des tintements épars, allant d'une église à l'autre, comme lorsque des musiciens s'avertissent qu'on va commencer; puis tout à coup voyez, car il semble qu'en certains instants l'oreille aussi a sa vue ..."

Den Text muss ich mal wieder üben. Auswendiglernen von |rhetorischen Struk­tu­ren| besonders schönen Texten war eine gute Vorbereitung auf den Dol­met­scher­be­ruf.

Gerne würde ich jetzt auch die rein deutschsprachigen Leser an meinem Schwel­gen teilhaben lassen, aber ich habe die Übersetzung nicht zur Hand und kenne auch nicht diese Vielzahl an deutschen Vokabeln, um Glöckchen und Glocken und ihre Klänge zu beschreiben, spontanes Übersetzen ist also Fehlanzeige.

Hugo, der hier an das alte Paris erinnert, das er nur in den Klängen wiederfand, gilt als erklärter Erzfeind des Barons Haussmann, der nach 1852 zur einheitlichen Gestaltung der Stadt (und zum "Masterplan") wesentlich beigetragen hat. In Berlin wohne ich in der Nähe der Hobrechtstraße. Unterschied: Den meisten Berlinern muss ich erklären, wer Hobrecht war, die Pariser kennen ihren Haussmann, auch, weil ein Boulevard (in dem Wort steckt das deutsche "Bollwerk") nach ihm heißt.

Ach ja, und dann wird noch von der Pariser Mauer berichtet, le mur des fermiers généraux, die Pariser Mauer der Generalpächter, ab 1785 erbaut und bis zur Fran­zö­si­schen Revolution in Betrieb gewesen. Es war eine Mauer, die aus wir­tschaft­li­chen Grün­den errichtet worden war, der Zollzahlungen wegen. Damals ärgerten sich die Pariser sehr über diese Eingrenzung, der Spruch le mur murant Paris rend Paris murmurant beschreibt genau das: Die Mauer, die Paris umgibt, lässt die Pariser ... murmeln, nein, "mosern" ist hier gemeint.

Vor der letzten deutschen Revolution, dem Mauerfall, habe ich Franzosen, denen ich Berlin zeigen durften, re­gel­mä­ßig beschrieben, wie wenig sich die Berliner dies- und jenseits des "raum­tei­len­den Bauwerks" (Peter Schneider) in den Jahren vor 1989 über selbiges aufgeregt haben.

Ich sagte dann schon mal: Le mur murant Berlin ne rend Berlin pas murmurant.

P.S.: Das Warten war erfolgreich, Rumgemurmel eigentlich nicht nötig, denn 15.00 Uhr kam die Bestätigungsmail für den (vermeintlichen) Wackelauftrag an. (Auswertung dieser Erfahrung folgt Anfang nächster Woche.)


Linktipp: Weiter geht es heute Abend mit meiner geliebten université de tous les savoirs, heute auf Canal U, dem Web-TV französischer Unis.
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Illustrationen: Arte

Dienstag, 1. Oktober 2013

Beratung

Bon­­jour beim ersten deut­­schen Blog, das in ei­­ner zwei Qua­­drat­­me­ter klei­nen Box ent­steht — oder am Über­­setzervs­chreib­­tisch. Die Welt der fran­­zö­­si­­schen und deut­schen Spra­che be­schäftigt mich täg­lich, auch jen­seits der Dol­met­scher­ka­bine. Hier notiere ich kleine und größere Episoden aus dem Arbeitsleben.

Die besten Jobs kommen gerne zur Unzeit. Das Angebot, als TV-Redakteurin zu ar­bei­ten, erhielt ich einst kurz nach dem Studium an einem Sonntagabend gegen sechs Uhr. Vor einem Monat klingelte das Telefon auch in der Nacht zu Montag, allerdings kurz vor Mitternacht. Der Anrufer hielt sich in einer anderen Zeit­zo­ne auf.

Im Hintergrund: Neukaledoniens Arbeitsminister
Für den Mann an der Strippe und seine Be­hörde habe ich be­reits gearbeitet. Einen Minister aus Neu­ka­le­donien durf­te ich damals bei Berliner Ter­mi­nen dol­met­schen. In solchen Te­le­fon­mo­men­ten ist das feed back zum letzten Einsatz immer schön. Es ist von einem neuen Termin die Rede, ich darf eine Kollegin mitbringen. Der Anrufer erwähnte in dem Zusammenhang den Namen einer Dame, die ihm von nicht genannter Seite empfohlen wor­den war. Ich musste tief durch­at­men. Ich hatte ein fettes di­plo­ma­ti­sches Problem.
Denn bei der Erwähnten handelt es sich um eine Frau, die sich einmal als extrem unfair erwiesen hat.

Der Begriff "unfair" trifft es nicht. Denn vor einigen Jahren hat diese |Kol­legin| Unkollegin die Frechheit besessen, die Liste unserer Kunden ab­zu­te­le­fo­nie­ren. Doch damit nicht genug: Auf die Info, dass man weiter mit mir zu­sam­men­ar­bei­ten wolle, sagte sie unwahrheitsgemäß, dass ich jetzt über sie zu buchen sei.
Damit war der nächste Einsatz futsch, und nicht nur der! Es gab natürlich keine schriftlichen Beweise, die Dame hatte den Betrug perfekt eingefädelt. Direkt darauf angesprochen, hat sie übrigens alles geleugnet. Aber hier glaube ich eher meinem etwas vertrauensseligen Kunden (der sich danach nicht mehr vertan hat), sowie anderen gleichlautenden Berichten.

Zurück zum nächtlichen Spätsommertelefonat und Flucht nach vorn: Ich fädelte mich ein als je­mand, die unangenehme Erfahrungen am liebsten vergisst, deutete den Vorfall aber doch an. Die Antwort kam prompt: "Sie sollen ihre Kollegin selbst auswählen, jene, mit der sie sich bei der Arbeit wohlfühlen!" Das tat schon mal gut.

Dann ging es um die Zahlungsmodalitäten. Es fiel das Wort "Agentur". Prompt war ich wieder kurz davor zu hyperventilieren ...

... denn Agenturen unterscheiden sich in einem zentralen Punkt von Dol­met­scher­netz­wer­ken wie den unseren: Agenturen verdienen ihr Geld mit der Vermittlung von Dolmetschern, wir aber mit dem Dolmetschen selbst. Und weil bei in­ter­na­tio­na­len Events ich am Ende das, was aus der Ital­ien­isch­ka­bine an Deutschsprachigem produziert wird, ins Fran­zö­si­sche wuppen darf, liegt mir die Qualität der Ital­ien­isch­ka­bine sehr, sehr am Herzen.

anderer Tag, anderer Ort
Viele Agenturen spielen indes nur Flaschenhals. Vor allem die neuen, die als In­ter­net­por­tal auftreten, und manche große mit Re­nom­mier­adres­se sind nicht selten fachfremd und verhökern die Jobs im schlimmsten Fall nur auf blö­den My-hammer-my-voice-Webseiten. (Ich bin jetzt böse, aber digitale Mini­job­zen­tra­len gibt's auch für Spracharbeiter. )

Angesichts der späten Stunde war ich dann wohl nicht mehr ganz so diplomatisch wie zuvor. Jedenfalls machte ich kurz den Unterschied zwischen Agentur und Netz­werk klar und dass wir nicht für 30-70 % unseres Honorars arbeiten würden. Und wieder reagierte mein Gegenüber, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Nein, sagte der Mann am Telefon, es gehe nicht um eine Dolmetscheragentur, son­dern ein Eventveranstalter würde alles in Berlin abwickeln, es gehe doch schließ­lich um eine Delegationsreise von fünf Tagen für 30 Personen. Und ergänzte: "Nein, Sie sol­len ihr übliches Honorar bekommen, wir werden die Haie nicht füttern! Ich ken­ne das selbst, in meinem Becken schwimmen auch welche mit."

Meine Erleichterung war groß. Und sie ist inzwischen wieder verflogen. Derzeit flat­tern mir nur schriftliche Ankündigungen der Buchung aus London, hier sitzt ein Berater, und Neu­ka­le­do­nien in den Briefkasten, die Bitte um etwas Geduld, der Ter­min­plan sei noch wacklig, war auch wiederholt dabei. Gestern fragte ich wie­der nach, großes Erstaunen auf der anderen Seite: Man habe die Buchung doch längst rausgeschickt ... bzw. die Stelle, die sich um die Abwicklung der Or­ga­ni­sa­tion küm­me­re.

Mir wird mehr als flau im Magen. Wo kann die hingekommen sein? Wer hat sie ab­ge­fangen, wer hat meinen Mailaccount gehackt oder in der Berliner "Event­agen­tur" etwas 'fehlgeleitet'? Das sind Situationen, die mir Nachtschlaf rauben, weil der Kontakt mit den Menschen auf der anderen Erdhalbkugel nachts geschieht. Weiter mit dem Warten geht's hier.


P.S.: Wie gut, wenn Anwälte in der Familie sind. Konkludent ist aufgrund des Schriftverkehrs längst ein Vertrag geschlossen. Das beruhigt mich jetzt ein wenig.
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Fotos: Reinhard Mader, C.E.