Sonntag, 12. Mai 2013

Critics are quick!

Hallo, hello et bon­jour ... beim 1. deut­schen Web­log aus der Ka­bi­ne ei­ner Kon­fe­renz­dol­met­scher­in und Über­setz­erin für die fran­zö­si­sche Spra­che. An dieser Stelle schreibe ich über meinen Berufsalltag ... und wie er mein Privatleben verändert. Unbefangen das Fernsehgerät anschalten oder ins Kino kann unsereiner nicht. Hier kommt die Erklärung, warum das so ist. Caroline proudly presents: Link der Woche vom Samstag und Sonntagsbilder auf einmal. 

Die Technisierung schreitet nicht voran, sie macht große Sprünge. Warum sollten also die Aufgaben von uns Über­setz­ern und Dolmetschern nicht viel einfacher durch die Technik erledigt werden kön­nen, das ist eine Annahme, die mitfühlende Zeitgenossen,  vom Thema völlig Unbeleckte und sogar Wissenschaftler immer wieder mal äußern.

Die EU gibt nicht nur für uns Sprachmittler viel Geld aus, sie investiert sehr viel in diese Forschungen, aber das ist ein anderes Thema.

Über automatisches Übersetzen habe ich Donnerstag mal wieder ge­schrie­ben, heute geht's kurz und fündig mit dem Thema Dolmetschen weiter, anders ge­sagt: Mit automatischer Spracherkennungssoftware und ihrer Über­tragung in Film­un­ter­titel.

Mit großem Vergnügen sehe ich derzeit alte Hitchcock-Filme wieder. Seine Werke aus den 30-er Jahren sind jetzt Gemeingut, können gratis und völlig legal z.B. bei YouTube gesehen werden. Unlängst stolperte ich über eine bildrestaurierte Version von "The lady vanishes", sie hat wieder Grautöne, und fing vergnügt an, den Film zu sehen, der auch deutlich mehr Luft um die Köpfe lässt, die Bilder wirken wie anders "kadriert".

Da ich Filme fast immer im Original und am liebsten auch dann mit Untertiteln sehe, wenn ich eine Sprache kenne (gern z.B. mit der gleichsprachigen Un­ter­ti­tel­ung für Schwerhörige: Zum Hören kommt das Schriftbild hinzu, das sind Lern- und Verfestigungsmomente, die keinerlei Aufwand kosten), da ich also Untertitel liebe, machte ich mich sogleich auf die Suche ... und entdecke welche, die Ergebnis der automatischen Spracherkennung sind.

Was für eine Gaudi! Zum Vergleich die französischen Untertitel anbei. Zur Story: Reisende sind wegen Unwetters in einem osteuropäischen Gebirgsort im Staate "Bandrika "hängengeblieben. Für Dolmetscher bieten diese Szenen des ersten Aktes übrigens eine lustige Rahmenhandlung: Hier wird eine Fantasiesprache gesprochen und das Hotelpersonal jongliert bei der Buchung mit Fremdsprachen. Außerdem kommt in "The lady vanishes" eine Dienstbotenkammer vor — wie die Bediensteten wohnen, wird ja in Filmen ja sonst so gut wie gezeigt. In Ermangelung freier Zim­mer müssen zwei Reisende in die Dienstbotenkammer ausweichen. (Wo dann die Angestellten nächtigen, wird nicht erwähnt.)

Nachfolgend zwei kurze Szenen. Zwei englische Herren wollen in der 11. Film­mi­nute dringend Sportergebnisse erfahren, es ist natürlich lange vor TV und Mobil­te­lefon, der Film stammt von 1938. Außerdem liegt wie ein dichter Nebel über Hitch­cocks Filmen jener Zeit die krisenhafte weltpolitische Lage, die kurz darauf zum Weltkrieg führte; sie bietet Subtext und Plot des spannenden Films.

Zwei Screnshots: like this in a coloful communications cut-off time of crisis
"Schrecklich, wenn der Nachrichtenstrom in Krisenzeiten abreißt."
("Ohne Kontakte" steht im französischen Titel, das gefällt mir nicht.)
Hier lässt sich im automatisch übersetzten Untertitel wenigstens erahnen, dass es um Infomangel und eine krisenhafte Situation geht. Dann läutet das Telefon für einen anderen Gast. Der Hotelwirt verlässt den Empfang, die Herren schleichen sich zum Telefonapparat.

Zwei Screenshots ein- und derselben Einstellung, links: and i'm not the filter (rechts übersetzt im Unterititel)
"Sind sie in London? Nein, hier spricht nicht Herr Seltzer, sondern Herr Charters".
Wie das System aus "Seltzer" einen "Filter" macht, ist mir schleierhaft. (Um die Ecke gedacht ist es fast komisch, dass es nicht heißt: "Hier ist nicht Herr Brau­se­tablette!")

Zwei Screenshots ein- und derselben Einstellung, links: critics are quick (rechts übersetzt im Unterititel)
"Es geht um Cricket, meine Güte!"
Ja, Kritiker sind schnell. Und critics und cricket klingt ja auch fast gleich, oder? (Für meine Ohren nicht, aber für einen Computer vielleicht.) Dann sind die Herren hungrig. Sie gehen ins hoteleigene Restaurant.

Zwei Screenshots, der Linke: dated about business
Er sagt, dass das Hotel übelaufen sei und dass es nichts mehr zu essen gebe.
Was die Spracherkennung hier erfasst haben will, überrascht mich schon sehr. Ich finde keinerlei Verbindung mehr.

Zwei Screenshots, links: expect us to sabb plastic dot box on the seven p m
Nichts mehr zu essen! Sie versuchen, uns unterzubringen, aber mit leerem Magen ...
Interessant ist es, an dieser Stelle kurz die deutsche Synchronfassung zu be­trach­ten. Da sagt der ältere Herr: "Man mutet uns zu, mit einem Zimmermädchen eine Hundehütte zu teilen, und noch dazu mit leerem Magen." Ich hatte beim raschen Transkript zunächst "mit knurrendem Magen" aufgeschrieben, was ja wohl der komischere Satz gewesen wäre. Nehmen wir es als schönes Beispiel für die Frage: 'Wie viel Wortwitz kommt durch die Übersetzer in die Werke hinein?' Außerdem ist an dieser Stelle gut zu erkennen, dass Untertitel das Ergebnis von Reduktion sind. Die Dienstbotenkammer kommt im französischen Untertitel gar nicht vor.

Die Hundehütte (dog box) aus dem englischen Original wurde also zur dot box im Untertitel. Die Art dieser beiden Begriffe merken wir uns mal.

Die Dame, an deren Tisch sie zufällig geraten sind, verlässt das Land "Bedrika" nach einem längeren Aufenthalt.

Zwei Screenshots, links: into six years i just her i'd go into dubbed country especially optics i
In sechs Jahren habe ich dieses Land zu lieben gelernt.
Hier stimmt nur die Zeitangabe, wenigstens grob betrachtet. Zurück zu dot und box. Offensichtlich wird die automatische Spracherkennung oft für Technik ein­ge­setzt, Begriffe wie website, dot, business, optics, plastic, cash, notebook, logged of usw. kommen in der automatischen Untertitelung dieses Films re­gel­mä­ßig vor. Will be that website steht dann da auch prompt als 'Übersetzung' für "On the red side for me" als Bestellung für ein Steak. (Er meint vermutlich "blutig" ...)

Während die Herren sich dann an den Resten ihrer Käseplatte bedienen, lobt die fremde Dame das Land und seine Schönheiten. Die Berge hätte sie mit der Zeit wie eine Nachbarsfamilie liebgewonnen:

Zwei Screenshots, links: mother know templates no hands amid nephews and nieces
Papa-Berg und Mama-Berg in Zipfelmützen aus Schnee.

Die Nichten und Neffen vom Titel links folgen übrigens im nächsten Satz. Und die Stimme der alten Dame bekommt etwas Märchentantenhaftes, worauf die Herren, die ihr gegenüber sitzen, verträumt-schläfrig dreinblicken.

Zwei Screenshots, links: i'd like to box provided to keep in mind that the moon i'm so glad them tonight
Ich beobachte sie vom Fenster aus ... in jeder mondhellen Nacht.
Hier stimmt nur der Mond/die helle Nacht in beiden Untertitelfassungen überein.

Wer den Film vor langer Zeit gesehen hat und ihn hier nicht wiedererkennen sollte: Kein Angst! Der Film spielt hauptsächlich im Orient-Express, ich bin bei meinen Be­trachtungen in der Exposition hängengeblieben, dann habe ich den Film mit fran­zö­si­schen UTs weitergesehen. Die automatische Spracherkennung war wirklich an­strengend. Wer kein Englisch versteht, dem kann sie absolut nicht beim Verständnis des Films helfen.

Natürlich werfe ich der Technik hier keinesfalls vor, kein "Bandrikisch" zu ver­stehen, die Phantasiesprache des Landes. Aber es werden von ihr sogar Geräusche und Musik "transkribiert", also akustische Momente, die alles andere als mit Sprache zu tun haben. Peinlich!

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Screenshots erstellt von C.E.
Filme hier: restaurierte Fassung und
OmfU

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