Dienstag, 26. März 2013

Wasch- und Feiertage

Willkommen, bienvenue & hello beim ersten deutschen Weblog aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Dieser Tage |quäle| arbeite ich mich durch die Buch­hal­tung und schreibe Kostenvoranschläge. Was beschäftigt(e) die Sprachmittlerin sonst noch vor den Feiertagen ... oder genau genommen bis Montag? Hausputz!

Frauen in der DDR bekamen regelmäßig einen "Haushaltstag", den bräuchte ich auch manchmal, damit bis zum großen Schrubben im Frühjahr nicht immer so viel liegenbleibt. (Wie oft gab's den in der "Ehemal'chen" eigentlich, liebe Leserin bzw. lieber Leser aus dem Osten?)

Echtes Schrubben und Waschen strengen an. Ich erhole mich beim Nachdenken über Vokabeln.

Neulich hatte ich es erst vom "Waschzettel", was auf Französisch la quatrième de couverture ent­spricht, wört­lich: "die vierte Umschlagseite". Dabei zählen Titel­blatt und Ti­tel­blatt­in­nen­sei­te als erste und zweite Seite. In Frankreich kommen diese Vo­ka­beln der Buch­her­stel­lung also aus den An­zei­gen­ab­tei­lungen der Zeit­schrif­ten.

In Zeiten, in denen elektronische "Lesegeräte" dem Buch den Rang abzulaufen ver­suchen, ist der Wasch­zet­tel auf dem besten Weg in Richtung "Waschfrau", die mitsamt dem Wort "Waschbrett" längst das Sprachmuseum unter "Wasch..." belebt.

Nur Waschfrauenhände hat heute noch jede(r), der/die sich zu lange im Wasser aufhält.  

Nach dem Bade dürfen wir sagen: "Er/sie hat sich gewaschen". Wer das von einer Rechnung sagt, meint, dass sie hoch ist. Teure Rechnungen sind auf Französisch übrigens des factures salées, gesalzene Rechnungen.
Das ist von der "gepfefferten Rechnung" nicht weit entfernt. Springen wir behend wie Meister Hoppel kurz weiter von Pfeffer und Salz zu Essig und Öl, beides in passenden Flaschen serviert heißt "Menage" auf Deutsch, das ist das französische Wort für Haus­halt (le ménage).

Zurück zum Salz. Mit Salz auf der "Blume" fängt man angeblich Hasen — (und wie bitteschön die Häsin?) Und hatten in der DDR die Männer keinen "Haus­halts­tag"? Das war jetzt mal ein ganz nach gender mainstream-Kriterien korrekter und gut gewürzter Blogeintrag, passend zu den Ruhetagen, Stichwort "Frühjahrs­putz".

Ich wünsche allerseits schöne Feiertage, saubere Zeit­genossen, gut gewürzte Mahl­zeiten, ent­spann­te Stunden und auf jeden Fall mehr Blumen als Eisblumen, mit Hasen dran oder ohne. So Sie mögen, lesen Sie hier ab Donnerstag, dem 4. April, weitere Episoden aus einem Berliner Dolmetscher- und Übersetzeralltag.

______________________________  
Fotos: C.E.

Montag, 25. März 2013

Eine Spezialisierung: Afrika

Hallo und guten Tag! Zufällig oder absichtlich haben Sie die Seiten eines Weblogs aus der Welt der Sprachen angesteuert. Hier schreibe ich regelmäßig über meinen Alltag als Übersetzerin und Dolmetscherin für die französische Sprache. 

Was verbindet uns Sprachmittler mit Medizin? Erstens helfen wir: Die Frage "Hilft das?" bei einer Berlinale-Pressekonferenz war mit ein Anstoß zu diesem Blog. Zweitens gibt's unsereinen in verschiedenen "Darreichungsformen".

In den großen europäischen Institutionen z.B. übertragen Dolmetscher nur in ihre Mut­ter­spra­che, sie sind unilateral tätig. In beide Richtungen dolmetschen bilateral tätige Kolleginnen und Kollegen. Hier in Berlin werden wir z.B. als Be­gleit­dol­met­scher gebucht, für Vertragsverhandlungen, Bewerbungs- und Expertengespräche, Delegationsreisen und Interviews, Lesungen. Und für Podiumsdiskussionen, die nicht zwingend ausschließlich europapolitischen Themen gewidmet sind.

Fachdolmetscher gehören zum reisenden Volk. Mediziner- und Juristenkongresse, Panels zum Thema Filmfinanzierung oder zu soziologischen Fragen sollten von intensiv einschlägig vorbelasteten Kolleginnen und Kollegen betreut werden, ähn­liches gilt für Technikdiskussionen im Automobilsektor (es sei denn, es geht um Design). Für Technisches empfehlen wir Ihnen einen Kollegen, der, wie er von sich selbst sagt, "Benzin im Blut" hat. Und für die Debatte über grundsätzliche Glau­bens­fra­gen der Soundso-Religion raten wir zu einer anderen Fachkraft, die in ihrer Gemeinde seit Jahren höchst aktiv ist.

Dolmetscherin gestenreich in Aktion: An einem kleinen Pult am Fenster und ohne umgebende KabineWir bilateral und eher all­ge­mein tätigen Dol­met­scher­in­nen und Dolmetscher er­ar­bei­ten uns über die Jahre eine Reihe von Ar­beits­schwer­punk­ten. Bei mir sind diese Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, Kultur und Medien. Als Kind einer deutsch-deutschen Familie liegen mir Themen der Zeitgeschichte sehr.

Und im 4. Quartal 2012 verstärkte ich mal wieder meinen Afrikabezug, den meine Arbeit seit vielen Berlinalejahren hat, in denen ich mich intensiv um afrikanisches Kino kümmern durfte. Anschließend die wichtigsten Einsätze.

• "Gesundheitsversorgung für Flüchtlinge — universelles Menschenrecht oder Pri­vi­leg?", Beispiel Remigration nach Mali, Alassane Dicko, bundesweite Ar­beits­ge­mein­schaft Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V.
• "Kupfer & erneuerbare Energien — was hat unser Solarstrom mit Kupferminen in Kongo zu tun?", AfricAvenir
• "Nahrungskrise bekämpfen — Verluste vermeiden. Erfahrungen mit Lebensmittel–verlusten in Afrika", Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V.
Debatte über den Film „Harragas“ von Merzak Allouache, deutsch-französisches Jugendwerk
Podiumsgespräch zum Film "Voices of Transition" u.a. mit Nils Aguilar und Juliet­te Ogbonnikan, Reisbäuerin und Vorsitzende der Vereinigung Groupement des Exploitants Agricoles du Benin (GEA-Bénin)
 • "African women on and behind the screen", Diskussion, Afrikamera e.V.

Weitere Fachgebiete nenne ich Ihnen gerne telefonisch oder per Mail.

______________________________
Foto: Ronja Sommerfeld (im Afrika-Haus)

Sonntag, 24. März 2013

grau, grün, weiß

Hallo! Sie lesen auf den Blog­sei­ten einer Über­setzer­in und Dol­metsch­er­in für die fran­zö­sische Spra­che. Sonn­tags werde ich privat und zeige aktuelle Fotos, die für mein Lebensgefühl stehen, die typisch für den Alltag sind oder die mir sonst gut gefallen.

Derzeit bin ich durchschnittlich zwei Tage in der Woche bei einem Verlagskunden aus der Schweiz. So eine Art 'Rahmenvertrag' ist angenehm im Freiberuflerdasein, auch wenn mancher Spontaneinsatz dadurch nicht mehr möglich ist. Ich bekomme außerdem einen guten Überblick über die Arbeitswelt, sehe die Profile der Be­wer­ber und Mitarbeiter, beobachte ihre Arbeitsweisen, Schwachstellen der heutigen universitären Bildung und in der aktuellen wirtschaftlichen Situation in der Haupt­stadt Deutschlands ... bis hin zur Brüchigkeit von Lebensläufen selbst gut aus­ge­bil­de­ter Menschen. Für einen anderen Auftrag treibt mich die Frage um, wie sich die Mit­tel­schicht heute verändert. Hier überschneiden sich Berufsalltag eines Büros und paralleles Mitdenken als Vorbereitung der Verdolmetschung von So­zial­wis­sen­schaft­lern optimal.

Den Blick aus dem Bürofenster bei diesem Kunden hatte ich Donnerstag gebracht. Auf speziellen Wunsch eines Ex-Ber­li­ners zeige ich das Panorama, so weit es mein kleiner Bildschirm zulässt.

Marienkirche, Fernsehturm, Rotes Rathaus, Türme der Nicolaikirche, ein wenig vom Kran der "Kanzler-U-Bahn" verdeckt


Im Büro mit seiner Klimaanlage gehen leider Schnupfen und Infekte rum. Wir Ber­liner sind derzeit sehr sonnenhungrig, wir erlebten den lichtärmsten Winter seit Anfang der 1950-er Jahre. Das kom­pen­sie­re ich durch meine Tageslichtlampe und durch frisches Sprossengemüse von der Fen­ster­bank.

Sprossen im Keimer und im Glas, darunter ein Glasuntersetzer, auf dem "printemps" steht (Frühling)
Dann geht's raus: Bewegung! Das Licht ist viel­ver­sprech­end, der Wind aber weiter eisig. Wochenende für Dolmetscher, das bedeutet: Atemwege pflegen, Sonnenbad in dem Raum, in dem ich Sonne habe und windgeschützt bin, da­bei höre ich po­li­ti­sche und wirtschaftliche Radiosendungen, um nachzuholen, was ich im Büroalltag ver­passt habe. Au­ßer­dem: Ge­burts­tags­par­ty einer Freundin, Berlinkrimi fertiglesen, Haus­halt. — Dabei ist der MP3-Player die Be­son­der­heit, der treue Begleiter, zu dem ich mir aus meinem kleinen Hör­funk­ar­chiv aktueller Themen drei zu einem Dol­metsch­ei­nsatz nächste Woche passende Pro­gram­me rausgezogen habe.

Vokabelnotiz: eine 'arbeiterliche Herkunft', gehört in der Sendung "Aufstiegschancen und Abstiegsangst, eine Lange Nacht über die Mittelschicht", Deutschlandfunk, 22.3.2013, abgeleitet von 'kleinbürgerliche Herkunft'. Au­ßer­dem 'Re­feu­da­li­sie­rung so­zia­ler Un­gleich­heit' (Rein­precht 2008, → Universität Wien), 'Wohl­stands­ver­wahr­lo­sung' (Zöchling 1996, → philo.at), 'prekär Beschäftigte' in der 'Wis­sens­ge­sell­schaft' (→ prekäre Wissensarbeit, Mag. Petra Götzenbrugger).

______________________________
Fotos: C.E.

Donnerstag, 21. März 2013

Frühlingsanfang

Will­kom­men beim Blog aus der Dol­metscher­ka­bine für die fran­zö­si­sche Spra­che. Gestern saß ich nicht in dieser der knapp zwei Qua­drat­me­ter klei­nen, schall­iso­lier­ten Box, son­dern reiste von Paris nach Berlin, was bei Schnee immer ein Problem ist.

Seit gestern Mittag, 12.02 Uhr, ist also Frühling. Hm, das Wolkenmeer (Foto von gestern Abend) hat sich inzwischen gelichtet, es ist schon deutlich heller und wir sehen sogar die Spitze des Fernsehturms.

Marienkirche, Fernsehturm mit Spitze im Wolkenmeer, rotes Rathaus, verschneit, in Abendstimung
Das ist der Blick aus dem Büro eines meiner Kunden, bei dem ich den Rest der Woche dol­metschen werde. Aber nicht nur das: Hier bin ich auch Coach für Sprechen, Stimme, Kommunikation — und Kom­­mu­­ni­­ka­­tions­­stra­­te­­gien. Schritt für Schritt erarbeite ich mir ein neues Arbeitsfeld, das sich ganz natürlich aus dem Dolmetschen heraus ergibt.

Zu Form gesellt sich der Inhalt; den erhalte ich von einem Unternehmer sowie sei­ner engsten Mitarbeiterin. Es handelt sich um komplexe Themen, die ich da lernen und weitergeben darf. Mit den Inhalten hatte ich bis vor einige Wochen nichts zu tun. Ich nehme auf, lerne und gebe weiter für die praktische Anwendung, ohne selbst je "Hand anzulegen". Das ist schon merkwürdig. Ein wenig fühle ich mich dabei wie ein Schwimmlehrer, der immer nur am Beckenrand bleibt. Bevor ich mich jetzt weiter in schräge Bilder versteige: Es geht um Wirtschaft.

Noch etwas ist anders, da musste ich mich am Anfang umstellen: Mir werden einige Minuten lang Fakten erzählt, nicht wie sonst üblich zur sofortigen Wiedergabe ge­dacht, sondern zur schrittweisen Vermittlung.

Wir Dolmetscher übertragen normalerweise simultan oder konsekutiv, die Be­hal­tens­span­ne ist gering, die Info kommt zu den Ohren herein, wird in der anderen Sprache aus­ge­sprochen und nicht selten durch das sofort Nach­fol­gende wieder ge­löscht. Plötz­lich muss ich nicht nur dol­metschen, son­dern mir De­tails merken. Ich muss also andere Ge­­dächt­­nis­­for­­men trai­nie­ren, le­ser­lich mi­tschrei­ben, aus­wer­ten, zu­sam­men­fas­sen, ler­nen ... und das Wei­ter­ge­ben vor­be­reiten. Zur Ve­rmitt­lung packe ich Me­tho­den­kof­fer und Kon­zep­te aus, die ich mir vor Jah­­ren fürs Un­­ter­­rich­­ten an der Uni­ver­si­tät im Rah­­men einer di­daktischen Aus­bil­dung als Dozentin für personale, soziale und kom­mu­ni­ka­ti­ve Kompetenzen zugelegt hatte.

Als Lernjunkie, und ein solcher muss ich in meinem Beruf sein, bin ich mit diesen neuen Aufgaben, die mich einige Tage im Monat beschäftigten, voll in meinem Element.

Noch etwas war gestern, nicht nur Frühlingsanfang: Der in­ter­natio­nale Tag der Frankophonie. Ein Glückwunsch an die französischsprachige Welt für das schöne Idiom!

______________________________
Foto: C.E. (Abendblick auf Marienkirche, Alexan-
derplatz und (normalerweise) "rotes Rathaus")

Montag, 18. März 2013

Fertigsprechen

Hallo, Sie haben das 1. digitale Bordbuch aufgeschlagen, das im Inneren einer Dolmetscherkabine entsteht. Hier lasse ich unsere Arbeit Revue passieren. Ist diese für die Öffentlichkeit bestimmt, denke ich manchmal auch über ihre Inhalte und ganz bestimmt immer über Sprache nach. Heute wieder ein Quicky.

Meinte doch neulich jemand, dass "Gugl" garantiert eine Frau sei, denn sie spreche ständig die Gedanken der anderen zuende, noch bevor diese auch nur ausreichend Zeit gehabt hätten, sie zu Ende zu formulieren.

Andere Lesart: "Frau Gugl" ist eine Dolmetscherin.
.

Sonntag, 17. März 2013

Wochenend und Sonnenschein ...

Bonjour auf der Blogseite einer Sprachmittlerin für die französische Sprache. Hier denke ich über meine Berufsalltag nach, der mich zwischen den Orten der Politik, Kultur und des gesellschaftlichen Lebens manchmal ganz schön auf Trab hält. Sonntags fröne ich hier meinem Hobby, der Fotografie.

... (s.o.) träller ich heute mit den Comedian Harmonists, aber es geht nicht in den Wald, da war ich gestern, heute ist die Uferpromenade dran. Es ist wunderbar hell in Berlin, als wäre die Stadt für die Dauer eines Wochenendes in den Wintersport aufgebrochen. Nur die Skifahrer fehlen derzeit, dafür ist es nicht kalt genug. Das hatten wir 2010, der Kanal vor dem Haus war wochenlang zugefroren, hier geht's zum Fotostream.

So, schnell ins Licht!


______________________________  
Fotos: C.E. (am Küchenfester wird
für den Balkon vorgearbeitet)

Samstag, 16. März 2013

Kleiner Apparat

Willkommen auf der Blogseite einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Französisch ist meine zweite Arbeitssprache, Englisch meine "passive" Sprache. Hier scheibe ich über Dinge, die mir im Beruf und auch privat auffallen.

Panel mit fünf Herren (Plantu verdeckt einen deutschen Kollegen) und Eiffelturm als Hintergrund
Plantu verdeckt einen Kollegen, Gabriel moderiert gestenreich
Der weißhaarige Mann ist hellwach. Fast die ganze Zeit sitzt er auf der Sesselkante im französischen Kultur­institut in Berlin und zeich­net seine Kollegen ... wenn er sich nicht gerade ereifert. Plantu, der für "Le Monde" zeichnet, ist sicher der be­kannteste der vier re­nom­­mier­­ten Karikaturisten aus Frankreich und Deutschland, die vorgestern Abend am Kudamm zu Gast waren.

Moderiert vom neuen Leiter des Institut Culturel Français unterhielten sich die Pressezeichner nicht nur über ihre Arbeit und Arbeitsbedingungen, die deutsch-französischen Beziehungen im Spiegel der Karikaturen waren auch Thema des Gesprächs (die Zeitschrift "L'Express" berichtete bereits digital darüber). An­schlie­ßend wurde die Ausstellung "Paarlauf" eröffnet. Noch bis zum 30. Mai 2013 sind jeweils 50 Karikaturen aus beiden Ländern in der deutschen Hauptstadt zu sehen.

Panel im Institut français. Plantu: "... der kleine Apparat, der übersetzt ..."
Plantu: "... le petit appareil qui traduit ..."
Plantu wurde an einer Stelle höchst praktisch: "Wir sitzen hier mit diesem kleinen Apparat auf den Ohren, der übersetzt, vielleicht müssten wir diesen Apparat einfach nur ein wenig verlängern, um eine Art Stethoskop daraus zu machen."
Mit seiner Anspielung auf das klassische Handwerkszeug der Medzinier führt er den Gedanken fort.

"Vielleicht heilen wir Karikaturisten die Politiker ja auch, indem wir sie gelegent­lich durch genaues Hinhören ein wenig aus der gewohnten Ordnung bringen."

Schon witzig, welche Assoziationen die Endgeräte von Dolmetschanlagen so aus­lösen können. Jetzt hoffe ich mal sehr, dass Monsieur Plantu bekannt ist, dass nicht die Apparate übersetzen, sondern Menschen dahinter stecken. Zweites Stichwort, denn noch ein Problem wurde über die ruhige Bequemlichkeit des politischen Alltagsbetriebs hinaus angesprochen: Der Karikaturistennachwuchs, den es durchaus gibt, auch weiblichen Geschlechts, hat Schwierigkeiten, an heraus­ra­gen­der Stelle Ar­beits­mög­lich­keiten zu finden, die ein auskömmliches Einkommen versprechen. Ein Vorschlag zur Lösung, von Plantu höchstselbst vorgetragen, ist nicht zitierfähig, und es ist auch nicht groß von Interesse, dass es dem Sprach­mittlernachwuchs, selbst dem schon in die Jahre gekommenen, mitunter ähnlich geht. Daher jetzt: CUT! Und schönes Wochenende!

______________________________
Fotos: C.E., Teilnehmer des Panels waren Plantu,
Soulcié, Sakurai und Hachfeld, Mod.: Fabrice Gabriel

Donnerstag, 14. März 2013

Zu Prüfendes

Bonjour, guten Tag! Sie haben die Seite einer Übersetzerin und Dolmetscherin für die französische Sprache angeklickt. Wenn ich nicht gerade Drehbücher oder Finanzierungspläne von Filmen übersetze, in der Kabine sitze oder mit Kunden Fabriken besichtige, bereite ich mich auf die Termine vor. Lernen ist die zweite Hauptbeschäftigung von Spracharbeitern. Blick auf den Schreibtisch.

"Zu prüfende Prüfmittel" ... Formular und WerkzeugGestern Architektur, morgen Wirtschaftsfragen mit­tel­stän­di­scher Technikunternehmen, der Kopf wirbelt die Begriffe fröhlich durcheinander.

Da ich einige Kunden aus dem Bereich Innenarchitektur habe, weiß ich schon lange, was eine aufgeständerte Wand­konstruk­tion von einer tragenden Wand unterscheidet.

Niedrig- und Plusenergiehäuser sind mir ebenso vertraut wie Grauwasseranlagen, gerne bin ich auch an behutsamen Restaurierungen beteiligt, kenne sächsischen Porphyr und Solnhofener Platten. Besonders liegt mir die hier nur angedeutete Mischung aus Tradition und Innovation. Sowas verdolmetscht sich wie von ganz alleine.

So, jetzt gilt es also Werkhallenbegehung, Investment- und Kooperationspläne mit einem französischsprachigen Land in die jeweilige Partnersprache rüberzuwuppen. Das ist nicht ganz so einfach, denn viele Begriffe stehen nicht einmal in speziellen Wörterbüchern. Also zeige ich auf die Objekte, frage nach Fachtermini, schrei­be auf, ergänze um die jeweils anderssprachige Vokabel. Am Ende wird alles in eine Lexik einfließen, mein eigenes Glossar für den nächsten Einsatz.

Wie prüfe ich, ob alles stimmt? Bei den Häusern ist das ja ganz einfach, also ich meine, wenn's am Ende stehenbleibt und nicht in sich zusammenrauscht ... Scher-herz! Meine Erfahrung ist hier: Die Betreffenden kennen oft ihre Begriffe auch in anderen Sprachen, jedenfalls grob. Sie goutieren, dass ich mir viel Mühe gebe. Mit der Zeit komme ich rein. Also darf ich mich nicht selbst verrückt machen, sondern ruhig weiterlernen. Was ich auch mache. Interessanterweise kommen ja die lustigsten Begriffe genau da wieder, wo ich sie später nicht erwarte.

Mit den Vokabeln ist es wie mit den Menschen: Man trifft sich (mindestens) immer zweimal. Also gleich noch so schnieke Sachen wie 4ème de couverture — Wasch­zettel, dorure sur tranche / livre doré sur tranche/avec tranche dorée  — (Buch mit) Goldschnitt und page de garde Vorsatzblatt fleißig wiederholen, die nächste Buchmesse ... geht ja heute los.

Neulich bei France Culture vernommen: Wenn ich abends vor dem Einschlafen lerne, ist durch den Schlaf die Behaltensquote um 30 % erhöht. (Quelle: Ab der 11. Minute der Sendung Révolutions médicales — troubles du sommeil, Sendung vom 5.3.2013).

______________________________  
Foto: C.E. (aus nicht exakt dem Unter-
nehmen, um das es im Beitrag geht)

Mittwoch, 13. März 2013

Vom Blatt singen

Bonjour ! Sie lesen hier auf den Seiten des ersten deutschen Blogs aus der Dol­met­scher­ka­bine. Wir sitzen dort für Menschen, die beruflich mit Politik, Wirtschaft und Forschung zu tun haben ... und für Kulturfans. Oder aber wir dürfen mit ans Set. Heute Teil zwei zum Thema "Filmdolmetschen", denn das Thema wird derzeit sehr oft im Netz gesucht: Ob hier ein neuer Traumberuf entsteht?

Gestern schrieb ich kurz über die Müdigkeitszustände, die unsereinen bei Dreh­ar­bei­ten ereilen können und warum es dann nicht angeraten ist, anschließend ein KFZ zu lenken (sofern ein gültiger Führerschein vorliegt, ich hab ja keinen, nie ge­macht.)

Filmdolmetscherin in Aktion
Vorab dies: Dolmetschen und Übersetzen für Filmleute ist kein eigenständiger Beruf. Wir müssen gute Übersetzer und Dolmetscher sein, können uns dann (als eines von mehreren Fachgebieten) auch auf Medien und Film spe­ziali­sie­ren. Wer ausschließlich davon leben möchte, hat heutzutage keine guten Karten ... außer einige wenige an der Spitze.

Es ist sehr schade, dass die sich in den Medien verschlechternden Ar­beits­be­ding­ungen unsereinen dabei hindern, mit Freude seinem Tagewerk nachzugehen. Das manchmal auch ein Nachtwerk ist. Zum Beispiel im Kino: Ja, ich liebe meinen Beruf. Ich bin verzückt von Herausforderungen wie Filme, zu denen kaum noch Dokumente existieren (bzw. nicht auf die Schnelle greifbar sind), zu denen ich mich durch effiziente Netzrecherche einlese, vielleicht finde ich irgendwo eine umformatierbare fremdsprachige Un­ter­ti­tel­liste ... und dann dolmetsche ich den Film "vom Blatt weg" oder ohne jegliche Textunterlage simultan in die andere Sprache. Das ist eine besondere Herausforderung, bei der ein Gefühl für Stil, hohes Sprachvermögen und Marathonqualitäten gefragt sind.

Hier ein Beispiel vom vergangenen Jahr aus einer Billy Wilder-Retrospektive. Sel­te­ne Filme des Filmerbes bekommen wir oft vorab zu sehen. Bei gut vor­be­reiteten Festivals ist das auch so. Aber es ist leider nicht die Regel. Mitunter müssen wir uns mit unserer Filmerfahrung, einer unvollständigen Dialogliste und Untertiteln in einer dritten Sprache behelfen. Den Untertiteln lässt sich immerhin entnehmen, wann es eng wird mit dem Atmen. Bei Untertiteln in einer Dritt­sprache ist die Kopf­gymnastik eine andere, denn natürlich schleichen sich auch Zweifel an den Übersetzungen anderer ein. Bahnt sich hier ein Witz an? Ein Wortspiel gar, das in den Untertiteln der anderen Sprache eventuell nicht erkennbar ist?

Hoteluhr
Oder ist die vorliegende Un­ter­ti­tel­liste einfach nur (zu) schnell entstanden? Hier wer­den Feh­ler­quel­len eingebaut, die nicht nötig sind, denn oft handelt es sich um neue Filme, die auf wichtigen Festivals laufen. In Zeiten von VHS, DVD, Blue Ray und Screening hätten diese "Sollbruchstellen" seit Jahr­zehnten beseitigt sein können.

Andere Gewerke bekommen im Vorfeld natürlich Zugriff auf neueste Filme ... warum Dolmetscher nicht? Stehen wir unter Generalverdacht, illegale Film­down­load­seiten mit Filmen zu bestücken? Dabei ist es doch heute möglich, die Streifen mit schlechter Auflösung und Wasserzeichen zur Verfügung zu stellen.

Ein anderes Beispiel, noch eine angedeutete Unappetitlichkeit. Dolmetschen am Set kann großartig sein — und die größte Pein. Es hängt immer davon ab, mit wem ich's zu tun habe. Die größten Stars sind pflegeleicht, Menschen wie du und ich, die glücklich sind, wenn sie auch so behandelt werden. Manchmal ist es nicht leicht, ihre Interessen zu erfahren, falls doch, z.B. eine große Liebe für den Delfter Maler Jan Vermeer, suche ich mir schnell die Museen heraus, in denen Wer­ke hängen ... und bei sich bietender Gelegenheit, Drehpause oder früher Dreh­schluss, setze ich einen Blitzausflug in Sachen Kunst an. Oder ich zeige schon mal nachts Berliner Sehenswürdigkeiten ... und hoffe darauf, dass die Gastgeber von Empfängen Verständnis für die kleinen Verspätungen haben.

Jetzt zum nicht so schönen Teil. Je weniger (oder je schneller) erfolgreich (ge­wor­den), desto zickiger sind manche Kräfte der darstellenden Gewerke. Kurz: Uhr­zei­ten einhalten, wenn ein Team wartet, sich gut vor­be­reiten, regel­mäßig es­sen etc. sind offen­bar nicht für alle selbst­ver­ständ­lich. Auch nicht das Fernhalten von be­wussst­seinserweiternden Substanzen, zu dem sie sich vertraglich verpflichtet haben. Als Dolmetscherin kann ich natürlich nicht Kindermädchen spielen, bin aber diejenige, der die Schuld zugeschoben wird, wenn was daneben geht.

Heute gibt es wieder zwei Enden. Der erste Schluss ist für die jene, die kein Fran­zö­sisch können: Nein, beim Concierge warten und überlegen, ob wir die Polizei anrufen oder nur "einfach so" ins jeweilige Hotelzimmer "einbrechen" müssen, wenn sich der/die Betreffende stundenlang nicht meldet, das macht definitiv keinen Spaß.

Das zweite Ende ist eine Sprachnotiz für die Lernenden unter uns: Ich kann es niemandem verdenken, wenn er oder sie am Ende "das Handtuch wirft" und sich einer ernsthaften Beschäftigung zuwendet. Wo auf Deutsch ein Handtuch durch die Luft fliegt, ist es auf Französisch übrigens der Schwamm: jeter l'éponge. "Vom Blatt" singen Chormitglieder, wenn sie ein neues Stück einüben, sie lesen Noten und singen dabei. Wir Filmdolmetscher "singen" beim "simultanen Einsprechen" auch vom Blatt. Auf Französisch fehlt dieses knappe Bild. Der Ausdruck wird ziemlich wortreich übersetzend erklärt, z.B. mit déchiffrer les notes en chantant oder savoir lire la musique et jouer à vue une partition, verkürzt (wenn der Kontext klar ist): déchiffer à vue.

______________________________  
Fotos: privat

Dienstag, 12. März 2013

Ei, Milch, Fleisch

Willkommen! Sie lesen gerade in meinem digitalen Arbeitstagebuch. Ich bin Übersetzerin und Dolmetscherin, meine zweite Sprache ist Französisch, die dritte Englisch. Wie Sie mich buchen können, steht rechts. Heute mal wieder: Blick auf meinen Schreibtisch.

Eine Anfrage aus einem französischsprachigen Land. Ob ich denn jemanden kennen würde, der bei einem Dokumentarfilmprojekt als Rechercheurin, Dolmetscherin und Fahrerin in Dresden mitarbeiten könnte. Oder ob ich nicht vielleicht selbst ...

Blick von der Rückbank auf den Fahrer: Alles ist unscharf, die Lichter auf der Straße zeichnen Linien.
Klare Sicht voraus: müder Dolmetscher
Das genannte Thema liegt mir, da beißt die Maus keinen Faden ab. Zum Glück geht es bei dem Film um keines meiner Herzblutthemen. Gedreht werden sollen bio­gra­fi­sche Interviews zu einem wichtigen histo­ri­schen Thema, die Einarbeitungszeit wäre nicht unerheblich. Solche Interviews sind kom­plex, kompliziert — und am Ende ist unsereiner KO.

Ich antworte bestimmt und knapp etwas in dieser Art: Dolmetschen ist eine höchst anstrengende, herausfordernde Tätigkeit, bei der sich Profis alle 20 Minuten abwechseln, um das zurecht erwartete hohe Niveau zu gewährleisten. Wenn sich jemand von uns findet, um in Ausnahmefällen bei unterfinanzierten Projekten auch mal länger zu dolmetschen, mit kurzen Pausen notwendigerweise, weil wir auf unsere Grenzen = Gesundheit achtgeben müssen, ist dennoch anschließend der Erschöpfungsgrad so groß, dass er in seiner Wirkung mit erhöhten Promillewerten im Blut verglichen werden muss.

Wer sich selbst und den anderen gegenüber verantwortungsbewusst ist, setzt sich weder im Zustand der Trunkenheit noch großer Übermüdung ans Steuer.

Am Ende von langen Berlinaletagen holt mich zum Beispiel immer jemand aus der Berlinale-WG ab. Ich habe dann sogar Angst, die Straße allein zu überqueren, so genau weiß ich, dass ich nicht auf dem Quivive bin.

Der Job war übrigens eher auf dem Niveau eines Chauffeurs als auf dem Niveau eines Dolmetschers entlohnt. So viel zu den glänzenden Berufsaussichten für Filmdolmetscher, wenn sie mit eierlegenden Wollmilchsäuen verwechselt werden.

______________________________  
Foto: C.E.

Dieses Thema kommt immer wieder,
hier ein älterer Eintrag.

Samstag, 9. März 2013

Fracking

Hallo, Sie haben ein digitales Arbeitsjournal angesteuert, an dieser Stelle denke ich über Dolmetschen und Übersetzen nach. Ich lebe und arbeite in Berlin und dort, wo ich gebraucht werde.

Sprachnotiz: le gaz de schiste — das Schiefergas. Es wird gefördert durch la fracturation hydraulique — "auf Deutsch" das 'Fracking'. Im Alltag wird auf Französisch le gaz de schiste zur allgemeinen Beschreibung dieser "neuen" Energiequelle verwendet, im Deutschen "das Fracking". Neu ist das Verfahren nicht, es wurde schon Mitte letzten Jahrhunderts erprobt und aus Kostengründen verworfen. Jetzt, da fossile Rohstoffe knapp werden, hat sich das Kostenverhältnis geändert.

Barack Obama nannte in seinem Wahlkampf als eines seiner Ziele die energetische Unabhängigkeit seines Landes von den Ölmultis. Verfechter alternativer Energien haben sich allerdings zu früh gefreut: Offenbar liegt sein Schwerpunkt derzeit bei der Förderung des Schiefergases.

In tiefen Gesteinsschichten lagern wertvolle Rohstoffe, die durch Sand, Wasser und großen Druck freigesetzt werden sollen. Der Druck bringt das Gestein zum Bersten, das Gas wird freigesetzt. Leider ist ein geheimgehaltenes Gemisch an Chemikalien daran beteiligt. Außerdem ist nicht ausgeschlossen, dass die Zerstörung tiefliegender Gesteinsschichten möglicherweise Erdbeben auslöst.

Dass wir den Begriff "Fracking" aus dem Englischen übernommen haben, ist kein Wunder: Seit einigen Jahren bestimmen Tausende von Bohrtürmen zum Beispiel in Pennsylvania das Landschaftsbild. Aus Pennsylvania kommen auch bestürzende Anwohnerberichte über "Wasser", das sich beim Austreten aus dem Wasserhahn selbst entzündet, unbrauchbares Brunnenwasser, Haut- und Atemwegserkrankungen, Stimmungsschwankungen, Müdigkeit ... und an vergiftetem Blut sterbende Welpen.
Sicher ist, dass das Chemikaliengemisch karzinogene Stoffe enthält. Nicht sicher ist, dass diese Substanzen nicht auch ins Grundwasser gelangen. Nadia Steinzor, die federführende Autorin eines ersten größeren US-amerikanischen Berichts über die Situtation, sagte dazu unlängst: They are playing roulette with public health ("Sie spielen Roulette mit der Volksgesundheit").

1. Link: New York Times, 17.11.2011
2. Link: Huffington Post, 18.10.2012
(Auch die Kommentare sind oft lesenswert.)

Warum mich das hier als Dolmetscherin beschäftigt? Die Wortkombination le gaz de schiste — das Fracking habe ich schon Anfang 2012 gelernt. Auch in Frankreich wird in Umweltsendungen darüber nachgedacht, was die Folgen dieser neuen Industrie sind, und französische Juristen analysierten öffentlich, dass die Erlaubnis von Probebohrungen automatisch Fördergenehmigungen nach sich ziehen werde.

Als Kind litt ich immer unter starkem Husten, Pseudokrupp, wenn ich meine Oma im Ruhrpott besucht habe. Ich war und bin noch heute empfindlich, was die Atemwege angeht, damals war die Umweltverschmutzung im Pott der aus­schlag­ge­ben­de Faktor, der dazu führte, dass ich regelmäßig davon aufwachte, dass in meinem Schlafzimmer ein Hund bellte. Auch heute merke ich an der Luft, wenn Dolmetscherkabinen neu und noch voller Chemikalien sind, die sie vor diversen Umwelteinflüssen (vermutlich vor allem beim Transport) schützen sollen. Wie es sich anfühlt, wenn einem fast der Hals abgeschnürt wird, wo doch viel aktives Sprechen gefragt ist, darf sich jede(r) selbst ausmalen. Zum Glück habe ich diese Situation erst zweimal erlebt.

Jetzt ruft eine Petition den deutschen Bundestag dazu auf, Fracking zu verbieten. Ich habe unterschrieben.

______________________________
Ilustration: die Verlage

Freitag, 8. März 2013

Zum Frauentag

Hallo beim Weblog aus der Dolmetscherkabine. Hier schreibe ich über meinen immer wieder sehr abwechslungsreichen Alltag. Heute ist Frauentag!

Die meisten Dolmetscher sind Dolmetscherinnen. Bedeutet das was? Und etliche Dolmetscher, die in der Öffentlichkeit zu sehen oder zu hören sind, sind Männer. Bedeutet das was?
Darüber denke ich ein anderes Mal nach, heute fehlt mir dazu schlicht die Zeit.
Es folgen einige neue Netzfundstücke und ein dazu passender alter Link.

`·.¸¸..><((((º>.·´¯`·.

An English Professor wrote the words:
"A woman without her man is nothing" 
to the chalkboard and asked his students to punktuate it correctly.

All the males in the class wrote:
"A woman, without her man, is nothing."
All the females in the class wrote:
"A woman: without her, man is nothing." 
Punctuation is powerful!

   `·.¸¸..><((((º>.·´¯`·.¸¸.·´
 ><((((º>`·.¸¸.·´¯`·.¸><((((º>`·.¸

Im Tagesspiegel schrieb neulich Susanne Kippenberger sehr erfrischend über ein altes Wort, das gerade eine Renaissance erlebt: Fräulein! Danke für den Text, der mir sehr gut gefällt. Er erinnert mich an eine alte Miniatur aus der eigenen Werkstatt.
.

Donnerstag, 7. März 2013

Ich bin ein Glaskasten

Bienvenue, welcome, hallo ... beim Dol­met­scher­weblog. An dieser Stel­le denke ich über unseren Ar­beits­all­tag nach, wir über­setzen und dolmetschen aus der französischen und in die französische Sprache — sowie aus dem Englischen.

Dienstag nach drei in einem Berliner Konferenzraum beim Gespräch unter fünf Men­schen, von denen einer Franzose ist: Ich sitze neben dem Mann aus Paris, flüstere simultan, wenn ich aus dem Deutschen übertrage, werde lauter, wenn es aus dem Französischen ins Deutsche geht, damit ich am anderen Ende des Tisches ebenso gut vernommen werden kann. Manchmal macht "mein" Redner Pausen, ich kann in Ruhe fertigsprechen, ohne dass gleich weiterer Inhalt kommt; auch erlaubt mir diese Methode, von Zeit zu Zeit etwas leiser zu werden, was meine Stimme schont.

Nahaufnahme: Behaarte Männerhand mit weißer Manschette im Gegenlicht vor moderner Fassade
Zwischendurch wechsele ich für einige Minuten zur kon­se­ku­ti­ven Dolmetschtechnik, außerdem moderiere ich das Gespräch.
Ich kenne "meinen" Franzosen gut, ich beherrsche das Thema und auf die zu erwartenden Inhalte hatte ich mich seit 14.00 Uhr vor­be­rei­ten kön­nen: Ja, es gab sogar etwas (spätes) Infomaterial.

Am anderen Ende des Tisches sitzt ein junger, blonder Mann und strahlt mich an. Er strahlt immer mehr, als ich zurückschaue, wird er kurz rot.

Ich bin mir sicher, dass ich gemeint bin. Ich fühle, wie mir das Blut in den Kopf schießt. Unsere Blicke gehen hin und her. Sie irritieren mich.

Dann fällt mir ein, dass ich gerade dolmetsche. Ja, die Dolmetscherin kann "wäh­rend­des­sen" vergessen, was sie tut. "Ach, er meint wohl nicht mich, er meint mei­ne Arbeit", schießt es mir durch den Kopf. Ich fange mich. Aber grundsätzlich ist die Situation einen kurzen Moment lang mindestens genauso irritierend wie der leicht starre, überkritische Blick von Saulius N. (*), dem ich seit letztem Herbst re­gel­mä­ßig ausgesetzt war: Dieser Blick hatte sogar fast etwas Schnippisches, auch wenn er nicht so gemeint war.

Graue Zweireiher (Schulter-/Armpartien) vor moderner Bürowand. Die Herren sitzen am Tisch ...
Zu Beginn meiner Dol­met­scher­kar­riere brauchte ich immer die Fragezeichen in den Augen meiner "Kunden", um die Not­wen­dig­keit zu spüren, wirklich mit dem Über­­tra­­gen an­zu­fan­gen und mich ins Zeug zu legen.
Diese Fragezeichen sah ich so genau, wie die Dollarzeichen in Dagobert Ducks Augen zu erkennen waren.

Nach vielen Jahren Berufsroutine merke ich: Direkten Blick auf das eigene Publikum zu haben ist nicht immer einfach. (Auf bzw. vor den Bühnen diverser Kinos sehe ich wegen des Lichts oft nicht viel von der geneigten Zuschauerschaft.)

Heute erhalte ich eine Rück­meldung, die an meinen Kun­den ging und an mich weitergeleitet wurde. Autor: der strahlende Teilnehmer der Runde. Zitat: "Ich bedanke mich auch bei Frau Elias für die wunderbare Übersetzung. Bisher kannte ich Konferenzdolmetscher nur als verglaste Kabinen, die immer das richtige Stichwort hatten. Es war sehr spannend, das auch tatsächlich 'live' zu verfolgen."

OK, ich bin also eine Glaskabine. Da muss ich an Lyrik denken, frei nach Benn: Die Tuba rülpst, der Bass hat Kopfweh.


P.S.:  Was hier und auch landläufig oft "Übersetzung" genannt wird, bezeichnet unsereiner als "Verdolmetschung". Aber ich werde jetzt nicht mosern, nein, und rechthaberisch mag ich auch nicht sein!
______________________________  
Foto: C.E.
(*) ... und alles Gute, Saulius, auf Deinem
weiteren Berufsweg!

Mittwoch, 6. März 2013

Nieren und so

Willkommen beim Blog einer Spracharbeiterin. Ich verdiene meine |Brötchen| Croissants mit Übersetzen und Dolmetschen für Menschen aus der Politik-, Kultur- und Modewelt. Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag.

Pariser Platz
Das ging mir neulich an die Nieren. In­mit­ten von politischen Hinter­grund­ge­sprä­chen wurde der Leiter der fran­zö­si­schen De­le­ga­tion erst immer blasser, dann sah er wie grau aus, am Ende war er grün im Gesicht. Oder hatte es nur am Licht gelegen?
Wir legten eine Pause ein. Monsieur zog sich auf sein Zimmer zurück. Am Ende wurde der zweite Teil der Besprechungen abgesagt. Der Grund: Nierensteine, die sich aktiv zeigten.

Ich hätte unserem Gast aus Frankreich wahrlich einen schöneren Deutsch­land­auf­ent­halt gewünscht. Und ich durfte mein medizinisches Französisch aufbessern.

Niere (die) — les reins (m)
Nierenstein (der) — le calcul rénal 
Nierenkolik (die) — la colique néphrétique 
Nierenbecken (das) — le bassinet
Nierensteinzertrümmerer — le lithotriteur oder le lithrotripteur
Nierenbeckenentzündung (die) — la phyélite
Nierengurt (der) — la ceinture lombaire

Passant am Pariser PlatzAn diesem Wortfeld wird auch mal wieder deutlich, warum Fran­zö­sisch manchmal so kompliziert ist.
Dass mir das "an die Nieren" ging, drückt man auf Französisch so aus: prendre quelqu'un aux tripes. Die tripes sind Innereien ... Und nierenförmig heißt auf Französisch en forme de haricot, also bohnenförmig.

______________________________
Fotos: C.E.

Dienstag, 5. März 2013

JVEG

Hallo! Sie haben das erste deutsche Blog aus der Dolmetscherkabine angeklickt. Heute geht es um die Arbeits- und Lebensbedingungen von Übersetzern, die für die deutsche Justiz tätig sind. Hier ein Aufruf der einschlägigen Verbände.

Der im Bundestag zu beratende Entwurf des 2. Kosten­rechts­mo­der­ni­sie­rungs­ge­setzes soll durch eine gemeinsame Petition der deutschen Übersetzer- und Dol­met­scher­ver­bän­de noch verändert werden.

Das 2004 eingeführte Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) brachte für Dolmetscher und Übersetzer bereits eine schmerzliche Senkung der Vergütung. Das Honorar für Übersetzungen soll mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf gegenüber der im Jahr 1994 gezahlten Entschädigung (bezogen auf eine Zeile mit 55 Anschlägen) am oberen Ende um 67% sinken, am unteren Ende um lediglich 18% steigen. Dabei geht der Gesetzgeber selbst von einer Erhöhung des Index seit 2004 um knapp 19 % aus. Unberücksichtigt blieb dabei sowohl der Zeitraum von 1994 bis 2004 ohne Steigerung der Vergütungen als auch die Tatsache, dass mit diesem Gesetz die Vergütungen wieder für mindestens weitere 10 Jahre festgeschrieben werden sollen.


Wir dringen darauf, dass unser Berufsstand in fairer Weise an der Ein­kom­mens­ent­wick­lung der vom Gesetzentwurf betroffenen Berufsgruppen beteiligt und die dort enthaltene unverhältnismäßige Schlechterstellung der Übersetzer abgeändert wird.

Durch ein faires und auskömmliches Vergütungssystem muss verhindert werden, dass hochqualifizierte Sprachmittler dem Justizsystem den Rücken kehren und billige, nicht qualifizierte Laien als Dolmetscher und Übersetzer tätig werden — mit entsprechend mangelhaften Leistungen und negativen Konsequenzen für das Funktionieren des Rechtssystems in Deutschland.

Dolmetscher und Übersetzer fordern deshalb:
• eine deutliche Anhebung der Honorare für Dolmetscher,
• Zuschläge für Nachtarbeit sowie die Tätigkeit an Sonn- und Feiertagen,
• die Anpassung des Ausfallhonorars an die marktüblichen Regelungen,
• eine deutliche Erhöhung der Vergütung für Übersetzer,
• die Streichung der Vergütungsvereinbarungen nach § 14 JVEG,
• eine Verpflichtung aller staatlichen Ermittlungsbehörden zur Vergütung nach den Sätzen des JVEG.

Bitte unterstützen Sie durch Ihre Mitzeichnung in den nächsten Wochen die eingereichte e-Petition an den Bundestag. Die Petition finden Sie hier: klick!

______________________________
Illustration: Deutscher Bundestag

Montag, 4. März 2013

Gold!

Willkommen auf den Seiten eines vir­tu­el­len Arbeits­ta­ge­buchs aus der Welt der Sprachen. Ich bin Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache und aus dem Englischen. Hier denke ich über unseren Berufsalltag nach ... und über das Arbeitsmaterial.

Der "goldene Handschlag" heißt auf Französisch le parachute doré, der goldene Fallschirm. Und wer in Deutschland "mit einem goldenen Löffel im Mund geboren" ist, auf die oder den passt in Frankreich das Sprichwort être né avec une cuiller d'argent dans la bouche, also mit einem silbernen Löffel im Mund geboren sein. (Der goldene Löffel, den die Académie Française ebenfalls anführt, ist meinen kleinen privatempirischen Untersuchungen zufolge weitaus weniger verbreitet.)

Wann die Franzosen angefangen haben, den gefütterten Kleinst­kindern derart aufs |Maul| Mündchen zu schauen, ist nicht bekannt. Der Begriff stammt Expressio.fr zufolge aus dem Englischen, ist eine wörtliche Übertragung des born with a silver spoon in his mouth. Expressio führt als erste Erwähnung in England eine um 1712 erschienene Übersetzung von "Don Quichotte" des Cervantes an. Der gleichen Quelle zufolge ist der Löffel auch in den Niederlanden und in Rumänien aus Silber: Geboren met een zilveren lepel in de mond bzw. Născut cu linguriţă de argint (în gură).

Als Erklärung für die Redewendung nennen die Internet­quellen unisono den Usus, dass gewisse in ein wohlhabendes Umfeld hineingeborene kleine Mensch­lein von ihrem Paten einen Löffel aus einem wertvollen Metall als Taufgeschenk erhielten ... was dann als Omen fürs ganze Leben interpretiert wird. (Betrachten wir die Selbst­re­kru­tie­rungs­quo­ten vor allem deutscher (Wirtschafts-)Eliten, ist es kein Wunder, dass der Aus­druck bis heute verstanden wird.)

Besteckschublade von oben: Zuckerlöffelchen, Löffel usw.
Wirken nur im Abendlich gülden: Omas und Uromas Silberlöffel
Wo wir schon beim Löffel sind: Das englische spoon kommt von spon oder span, ei­nem Holzspan, aus dem an­schlie­ßend der Löffel ge­schnitzt wurde.
Der Löffel ist wohl der un­ter­schätzte All­tags­ge­gen­stand überhaupt. Ich denke nur an jene, die "die Weis­heit mit Löf­feln ge­fres­sen haben", die sich also als etwas Besseres begreifen.

Aber "den Löffel abgeben" müssen wir am Ende alle, ganz gleich, ob dieser aus Holz, Edelstahl, Silber oder Gold gefertigt wurde. Deshalb finde ich zweistellige Millionenjahresgehälter, Abfindungen oder Sonderzahlungen schon immer kaum verständlich.

Womit ich wieder beim "goldenen Fallschirm" und anderen Extrazahlungen für Manager wäre. Vor vielen Jahren erzählte mir ein deutscher Manager mal am Ran­de einer Konferenz, dass bis vor der Zeit um den Mauerfall Managergehälter, die mehr als 20 oder maximal 30 Mal dem Durchschnittsgehalt der Mitarbeiter ent­spro­chen hätten, von den Banken als unsolide eingeschätzt worden seien. Ein Un­ter­neh­men eines derart über­be­zahl­ten Managers habe nicht als kre­dit­wür­dig ge­gol­ten, denn ein solcher In­du­strie­ka­pi­tän könne ja wohl kaum die langfristige Wett­be­werbs­fähig­keit eines gesunden, an In­no­va­tio­nen arbeitenden Unternehmens im Blick haben, son­dern auf schnelle Rendite im lau­fen­den Wirtschaftsjahr und die eigenen Boni abzielen.

Heute sind diese Manager oft nicht mehr Eigentümer oder Miteigentümer der Fir­men, die sich immer seltener in Familienbesitz befinden. Auch das erklärt eine auf kurzfristige Ergebnisse ausgerichtete Geschäftspolitik. Die anderen, die Fir­men­len­ker mit dem kostbaren Taufgeschenk, hatten einst (oder haben noch) eben immer auch den nächsten Goldlöffelschreihals im Blick. Nein, das ist keine Lobhudelei alter Zeiten, nur eine Feststellung.

______________________________
Foto: C.E.

Sonntag, 3. März 2013

East Side Gallery

Bonjour auf den Seiten eines Logbuchs aus dem Inneren der Dolmetscherkabine. Heute kommen hier wieder meine Sonntagsbilder.

Ein aktuell gewordener Blick ins Archiv: Dreh für Radio Canada mit Maxence Bilodeau an der East Side Gallery.

Maler saniert Mauersegment, Frau filmt
Thierry Noir vor Mauersegment, Maxence filmt
Maxence filmt Malerin bei Restauration

______________________________  
Fotos: C.E. (Juli 2009)

Samstag, 2. März 2013

Gated community

Hallo! Sie haben die Seiten eines Berliner Blogs angesteuert (oder die Postings abonniert). Hier schreibt eine Dolmetscherin ... über Arbeit, Sprache und Zeitläufte.

Zur Stunde sitzt ein gewisser Axel S. auf seiner Wolke (oder weiter unten auf seinem Teerfass) und reibt sich die Augen. Er schaut Richtung Erdoberfläche. Er sieht nicht auf Deutsch­land, nein, er hat Berlin im Blick, nimmt Berlin aber nicht wahr, denn er fokussiert ein kleines Stück Spreeufer an einer alten Brücke. Es ist nicht bebaut, eine lange Mauer trennt den Gehweg vom Fluss, versperrt den Blick aufs Wasser und auf Kreuzberg. (Die Mauer ist oder war hier 1,3 Kilometer lang. Alle Berliner wis­sen jetzt, worüber ich schreibe.)

Axel S., der bis kurz vor Implosion der DDR dieselbe in seinen Druckerzeugnissen immer mit Anführungszeichen schreiben ließ, kommt aus dem Staunen nicht mehr raus. Parteigänger einer gewissen CDU kämpfen derzeit Seit' an Seit' mit dem Schwarzen Block, den als linksradikal verschrieenen Autonomen, für die Erhaltung der Berliner Mauer. Zwischen sie mischen sich Menschen aus dem Bürgertum (so­fern davon noch etwas übrig ist), Rentner und Studenten, Parteigänger und Ge­wäh­lte nahezu aller im Berliner Parlament vertretenen Parteien, Künstler eben­so wie die Kassiererin von der Ecke.

Die Demonstranten sind offenbar Spezialisten der Geschichte des "raumteilenden Bauwerks" (Peter Schneider), sie kennen die damit verbundenen Schlachtrufe. Sie skandieren: "Schande, Schande!", "Mister Wowereit, don't tear down this wall" und "Die Mauer muss bleim'n!"
Es mutetet wie ein Treppenwitz der Geschichte an, dass Anarchos, Spontis und Kulturschaffende damit indirekt auch den Berliner Massentourismus verteidigen, immerhin der größte Industriezweig der deutschen Metropole, der sie nicht selten aus ihren Quartieren vertreibt. Zweiter Verdrängungspunkt: Die Gentrifizierung.

Auslöser der Proteste ist ein Bauprojekt: "LEVELS"

Gestapelte Klötzchen für sehr Wohlhabende
Auf der anderen Seite der Mauer soll ein Luxus­wohn­haus entstehen: Unverbaubarer Fluss­blick in 36 alufarben und gläsern aufgetürmten Woh­nun­gen mit Qua­drat­me­ter­prei­sen ab 2.750 Euro, Tiefgarage, Doorman und Concierge sowie Weinbar und einigen "grü­nen" Mätz­chen zur Deko inklusive. Der Bau des Gebäudes ist mit 33 Mio. Euro veranschlagt.

Damit diese gated community der anderen Art nicht ganz so abgeschlossen leben muss — und damit Passanten zur Weinbar und auf eine wiederzuerrichtende Fuß­gängerbrücke gelangen können —, sollen zunächst auf 22 Metern Teile der "East Side Gallery" versetzt werden. Die "Gallery" wurde erst in den Monaten nach der Wende bemalt, 105 mehr oder weniger kunstvolle Werke zeugen von der damaligen Auf­bruch­stim­mung. Die Gemälde wurden zum 20. Jubiläum des Mauerfalls mit zwei Millionen Euro von der Lottostiftung restauriert. Die Mauer hat übrigens bereits etliche Lücken, zum Beispiel den Zugang zu einer Strandbar.

"Bester Blick über die Stadt"  (Immobilienexposé)

Das Wassergrundstück wurde Anfang der 1990-er Jahre zusammen mit anderen "Filetstücken" verkauft, das ist nichts Neues, Berlin neigt ja ohnehin wegen der traditionell sorgenvollen Mienen seiner Stadtkämmerer zum Versilbern seiner Schätze. Die Bauplanung soll den Medien zufolge auf das Jahr 2001 zurückgehen, die Baugenehmigung auf das Jahr 2008. Zwischen diesen Daten aus den Nuller Jahren liegt die Erarbeitung eines "dezentralen Gedenkstättenkonzepts" der Stadt Berlin, dessen fester Bestandteil die "East Side Gallery" ist.

Hat sich eigentlich auch nur ein Politiker in dieser Stadt Gedanken darüber ge­macht, wie ein 54 (anderswo steht 63) Meter hohes Gebäude mit einem laut Exposé 6,5 Meter hohen Ein­gangs­be­reich auf Passanten und Vorbeifahrende wirkt? Wie es die Wahrnehmung der Mauer verändert, ja sie banalisiert?

Der Bauherr, eine Firma mit dem Namen "Living Bauhaus", bietet die "exklusiven" Wohnungen seit Dezember im Netz an. Die Nähe zu den hippen Partyorten der internationalen Easy-Jet-Generation ist Teil des Werbekonzepts, hier:


Zugleich strotzt das Exposé von Begriffen wie Reinheit statt Reizüberflutung, Lebensqualität, viel Grün und Wasser, perfekte Harmonie von Wohnen und Leben. Die Zeiten, an denen der triste Todesstreifen durch Strandbars und Feste so fröh­lich "umgewidmet" wurde, sind dann wohl bald vorbei.

Gated community mit "Zäunchen" von Thierry Noir
Die Seite, über die diese Wohn­ein­heiten verkauft werden, nutzt dazu schicke Mauerbilder aus der Hand vonThierry Noir, das ist der mit den übergroßen bunten Profilen und den Knub­bel­na­sen. Mich irritiert zunächst, wie jemand den Bauhaus-Begriff unkritisiert derart missbrauchen kann, ist das kein geschützer Begriff?

Bauhaus stand in der Weimarer Republik auch für sozialen Wohnungsbau (der ja in Berlin seit Jahren ins Hintertreffen geraten ist). Die Verwendung seiner Mauer­ge­mäl­de zu Werbezwecken wird Thierry Noir, den ich vor Jahren für Radio Canada interviewt habe, jetzt im Hinblick auf eine Urheberrechtsverletzung untersuchen lassen.

Nicht zuletzt haben sich auch Im­mo­bi­lien­mak­ler wie Khadine Henriquez in die Debatte eingemischt, die auf der Seite der Petitionswebseite change.org schrieb:
I am Real Estate consultant and I know this kind of projects in historic locations KILL the market and the city....It takes away the soul of the city. ("Ich bin Im­mo­bi­lien­mak­lerin und weiß, dass solche Projekte an historischen Orten Markt und Stadt TÖTEN ... es zerstört die Seele der Stadt.")

Axel S. auf seiner Wolke (oder seinem Teerfass) wird sich wundern. Die Berliner Mauer wird zur Stunde von Boulevardzeitungen ebenso verteidigt wie von man­chem Blatt der bürgerlichen Presse oder dem "Neuen Deutschland". Es ist Axel S. nicht zu raten, mal kurz eine Auszeit zu nehmen und in Berlin nach dem Rechten zu sehen. Sein eigenes Haus würde er vermutlich mit dem Jenseitsnavi nur schwer ansteuern können: Es liegt heute an der Rudi-Dutschke-Straße.

______________________________
Fotos: Aus dem Verkaufsexposé, gefunden
auf der Seite Immonet.de