Montag, 14. Januar 2013

Und wieder: Zweisprachgkeit

Guten Tag! Sie lesen hier in einem Arbeitstagebuch aus der Dolmetscherkabine bzw. vom Übersetzerschreibtisch. Die französische Sprache und Fachgebiete wie Wirtschaft, Politik, Kultur, Medien und Bildung beschäftigen mich beruflich meist über die acht Stunden am Tag hinaus. Sie dürfen als Leserin und Leser daran teilhaben. Außerdem beobachte ich, wie das Leben in mehreren Sprachen und Kulturen den Alltag verändert ... und antworte in den Wochen vor der Berlinale gerne auf Leserfragen.

"Was macht gute Dolmetscher aus? Wie haben Sie sich z.B. mit 16 Jahren darauf vorbereitet? Und werden Menschen mit so anstrengender geistiger Arbeit nicht früher 'alt'?", fragt Jana aus Rostock.  OK, ich versuch's mal, in den nächsten Tagen folgt Teil zwei der Antwort. Es geht los mit hervorragenden Sprachkenntnissen, außerdem Neugierde bzw. die Fähigkeit, sich für fast alles interessieren zu können, Zugang zu verschiedenen Kulturen (am besten von Kindesbeinen an), Dickköpfigkeit (Dran­blei­ben!!!!), Zähigkeit und Fleiß.

Mit 16 war ich mit dem Schulaustausch in Frankreich. Die anderen Mitschüler aus Deutschland gingen vormittags in den Zoo, ins Schwimmbad und in die Kuchen­fabrik. Ich ver­weigerte mich den touristischen Zielen und weiß noch wie gestern, dass bei der Besichtigung der Honigkuchenfabrik erst der Lateinlehrer der Schule (der, wie ich später erfuhr, auch Französisch unterrichtete, aber leider eben "als wär's Latein") für die anderen dolmetschte und erst ich ihm Wörter zuflüsterte, irgend­wann aber ich dolmetschte und der Lehrer dabei mir Wörter zuflüsterte.

Die anderen Tage saß ich als einzige Schülerin aus Deutschland mit den Franzosen in der Schule. Meine Ansage war knapp, ihr wurde nicht widersprochen: "Schwimmbäder gibt's auch in Deutschland, dafür fahr' ich nicht nach Frankreich!" In Physik waren die Sternkonstellationen, Halbmonde und Mond­fin­sternisse dran, ich war hellwach und habe alles mitgelernt, in Biologie das Thema Schwanger­schaft und Geburt, fas-zi-nie-rend! Dazu muss ich gestehen, dass das Fach Physik normalerweise nicht meine Stärke war und dass mich Bio bis dato auch nur be­grenzt interessiert hatte. Allerdings verhalf mir meine Liebe zu Sprachen sogar hier zu Interesse.

Der Test, ob jemand wirklich zweisprachig ist, geht übers Zählen und Kopfrechnen, dabei fallen auch Menschen mit guten Fremdprachenkenntnissen in der Regel in ihre Muttersprache zurück. Wie hier bereits erwähnt, zählen und rechnen Fran­zosen durchaus auf schräge Weise. In an­de­ren Kulturen wird auch anders gerech­net, und es ist die alte Begeisterung für Spra­chen, die mich hier heiße Ohren krie­gen lässt: da erklärt jemand auf Englisch, wie das große Einmaleins von Japanern bewältigt wird. Wunderful!

A propos Zweisprachigkeit: Die Society for Neuroscience veröffentlichte vor kurzem einen Hinweis, der Cognitive Benefit of Life­long Bi­lingualism überschrieben ist. Neue Forschungsergebnisse zeigten dem­nach auf, dass ältere Menschen, die seit ihrer Kindheit zwei Sprachen aktiv be­herrschten, schneller im Kopf seien als einsprachige Menschen, wenn sie von einer Aufgabe zur anderen umschalten sollen.

Die Hirnaktivität der Zweisprachigen zeichnete sich im Gehirn als unter­schied­liches "Muster" von den Aktivitäten jener Menschen ab, die im Alltag mit nur einer Sprache auskommen.

Diese Ergebnisse unterstreichen die Wichtigkeit des lebenslangen Lernens. (Wer hat mir dieser Tage gesagt, man solle alle zehn Jahre mit einer neuen Fremd­sprache anfangen? Tetyana aus dem neuen Büro meines Schweizer Kunden?)

Von der neurologischen Flexibilität profitierten ältere Menschen, da sie sich schneller auf neue oder unerwartete Umstände anpassen könnten als einsprachige Menschen. Das Hin- und Herschalten zwischen den Sprachen führe demnach zu einem stärker trainierten Oberstübchen. Bislang waren diese Unterschiede bei alternden Gehirnen noch nicht in dem Maße untersucht worden. In der vorlie­gen­den Studie gingen Dr. Brian T. Gold und Kollegen von der University of Kentucky College of Medicine mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRI) ans Werk und haben die Gehirnaktivitäten gesunder zweisprachiger Rentner (im Alter von 60 bis 68) mit denen gesunder einsprachiger Rentner bei Übungen der kognitiven Reaktivität verglichen.

Die zweisprachigen Probanden erledigten die Aufgaben der Untersuchung zufolge nicht nur schneller, sondern zeigten weniger Energieverbrauch im präfrontalen Kortex, also einer Gehirnzone, deren Bedeutung beim Wechsel der Aufgaben bekannt ist. Bei jüngeren Probanden (einsprachig vs. mehrsprachig) waren diese Unterschiede übrigens (noch) nicht aufgefallen.

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Foto: Archiv

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