Mittwoch, 28. März 2012

Zukunftsaussichten

Hm, ich bin gebeten worden, etwas über die Zukunftsaussichten in unserem Beruf zu schreiben. Die fragende Studentin hat die Kombination Französisch (B-Sprache) und Italienisch (C-Sprache) mit der Muttersprache Deutsch und möchte aus privaten Gründen in Berlin bleiben. Ihr lägen vor allem die Bereiche Film, Bildende Kunst und Soziales am Herzen; dabei würde sie gerne dolmetschen und Drehbücher übersetzen.

OK, mach' ich doch gerne. Also, ...
















Nee, im Ernst, in Sachen Dolmetschen werden wir derzeit viel für Französisch-Englisch angefragt, Einsatzort Berlin. Was bedeutet das? OK, Berlin ist schon lange eine Einwandererstadt, aber ist es den neuen Bürgern nicht zuzumuten, das vor Ort gesprochene Idiom zu erlernen? Oder stellen wir eine historisch bedingte Selbstabwertungsnummer fest? Vorauseilende Selbstaufgabe infolge Minderwertigkeitsgefühlen? Ich frag ja nur.

Inzwischen arbeite ich täglich eine Stunde an meiner "C-Sprache", wie wir Dolmetscher eine Drittsprache nennen, aus der wir dolmetschen (aber nie zurück). Bei mir ist es ... richtig, Englisch, und ich dolmetsche durchaus Film- und Kulturthemen auf der Berlinale und anderen Events von Shakespeare zu Goethe, um das mal verknappt zu sagen.

Was Drehbuchübersetzungen angeht, so scheinen die Honorare derzeit im freien Sinkflug zu sein, die Qualität ebenso.

Frühere Studentinnen, denen ich einstmals Praktika bei netten Filmproduktionen in Frankreich vermittelt habe, schreiben uns Fragen wie: "Beträgt die Umsatzsteuer bei der Übersetzung von Drehbüchern und Dialoglisten sieben oder 19.%?" Ja, nee, da freut mich natürlich der Erfolg des Nachwuchses, aber solche Infos mag ich nicht auch noch geben. Vor über zehn Jahren habe ich dafür beim Steuerberater Geld gelassen und für weiteres Branchenwissen auch.

Ich weiß nicht, ob die werten Demoisellen ihre Arbeiten entsprechend ihrem wirklichen Wert berechnet haben oder ob sie sich zu "Anfängerkonditionen" bequatschen ließen. Ich weiß allerdings nur, dass unser letztes gefühltes Dutzend Kostenvoranschläge für Übersetzungen ins Deutsche, die alle normal und mit Treue-Kunden- oder Mengenrabatten kalkuliert waren, mit den Worten beschieden wurden: "Wir haben jemanden gefunden, der's günstiger macht."

Wir fragten wiederholt nach. Die Firmen riefen zum Teil Dumpingpreise auf. Das ist günstig, aber nur für die Buchhaltung. Korrigieren darf's dann jemand inhouse, oder eine erfahrene Übersetzerkollegin fischt die gröbsten Schnitzer an einem Honorartag raus, der Rest "verspielt sich". Hier die Info an potentielle Auftraggeber: Wir machen keinerlei Polierarbeiten an Halbfertigware mehr, denn das motzt die Arbeit allenfalls für den ersten Eindruck auf. Genauerem Lesen hält derartiges Blendwerk nicht stand.

Mir bleibt zweierlei Trost: Wer sich heute zu billig verkauft, wird morgen von jemandem abgelöst, der noch billiger ist. Und wer wirklich Qualität sucht, der oder die kommt am Ende doch zu den Profis zurück. Nur zum ersten Problem, der grassierenden Anglitis, fällt mir nichts ein.

Welchen Tipp soll ich der Studentin geben? Ich bin überfragt. Ohne meine Aufträge aus Politik und Wirtschaft hätte ich längst den Beruf gewechselt, da ich wegen des Ziehsohns auch in Berlin bleiben muss.

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Foto: Übersetzer und Dolmetscher (facebook)

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