Montag, 9. Januar 2012

Samstagabend, halb sechs

Willkommen beim Arbeitsjournal einer Französischdolmetscherin und -übersetzerin mit Wohnort Berlin! Hier schreibe ich über meinen Berufsalltag, heute geht es weiter mit dem Thema "Dolmetschmarkt".

Komische Momente gibt's. Samstagabend um halb sechs, ich schalte gerade auf Privatleben um, denn am Nachmittag war noch eine kurze Übersetzung zu fertigen, klingelte das Telefon. Jemand von einer mir nicht bekannten Dolmetscheragentur war dran und wollte mich buchen ... "Für ab sofort! Sie müssten aber zum Flughafen Schönefeld fahren." Was es denn sei, will ich wissen. (In Tegel habe ich schon Geschäftsmänner beim Meeting während einer Zwischenlandung gedolmetscht.)

"Irgendeine Sache mit der Polizei, vermutlich Einreiseprobleme", lautet die Antwort. Ich frage nach dem Honorar. "Ääähh, ja, gute Frage, wissen wir nicht", sagt mein Anrufer recht unsicher: "Was ist denn Ihr Preis?"

Buchungen per Telefon: Alltag ...
Hm, werter Herr, mein Preis liegt vermutlich deutlich höher als das, was Sie mir am Ende zahlen können, denke ich. Sie erhalten Ihr Geld aus der Justizkasse, wollen sich noch ein Scheibchen abschneiden, reichen den Rest dann weiter. Wenn Sie nicht wissen, wie die Polizei berechnet, sind Sie noch nicht lange im Geschäft (und Dolmetscher von Beruf sind Sie dann vermutlich auch nicht). Dabei lässt sich das alles im Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz (JVEG) nachlesen. Darin steht: "Das Honorar des Dolmetschers beträgt für jede Stunde 55 Euro (...) einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten", zusätzlich gibt's Fahrtkostenersatz. Laut BVG-Fahrinfo brauche ich je Strecke 45 Minuten, dazu kommen Wartezeiten, eine Befragung von unbestimmter Dauer, gehen wir mal von vier Stunden aus, das wären dann 220 Euro.

Wenn mich die Polizei direkt anspricht und dringenden Bedarf hat, bin ich als Dolmetscherin und Staatsbürgerin verpflichtet, mich zu diesen Konditionen anheuern zu lassen. Wenn nicht gerade etwas komplett anderes auf dem Programm steht, hat unsereiner Mühen, sich dem zu entziehen. Wenn eine solche Anfrage aber über eine Agentur reinkommt, die am Ende wie viele Agenturen mindestens ihre 30 % Vermittlungsanteil haben möchte (schlechte Agenturen nehmen bis zu 60.%), habe ich die Möglichkeit, "Nein" zu sagen. Nein, für 154.Euro schlage ich mir nicht einen Abend um die Ohren, der mit Freunden ganz anders verplant war, zumal ich oft ja erst noch den Babysitter organisieren muss.

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Foto: Archiv

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