Donnerstag, 8. Dezember 2011

Verachtung der Kultur

Willkommen auf den Seiten des digitalen Logbuchs einer Dolmetscherin und Übersetzerin. Meine Arbeitssprachen sind Französisch, Deutsch ... und Film. An dieser Stelle schreibe ich regelmäßig und so, dass man nicht die Betreffenden, dafür aber durchaus die Situationen erkennen kann, über den Berufsalltag in Berlin, Frankfurt, Hamburg, München, Köln, Paris, Marseille, Cannes und anderswo. Jetzt geht die Herbstzeit mit ihren Dienstreisen zuende ...

Neulich, an irgendeinem größeren westdeutschen Ort (oder war's in einer französischen Kulturstadt?): Ein Colloquium mit namhaften Gästen aus dem Ausland und viel Fachpublikum sowie etlichen Honoratioren der Stadt fand mal wieder zu einem filmrelevanten Thema statt. Da ich in nämlicher Stadt eine private Unterkunft habe und weiß, wie ich mit der Bahn günstig reise, hatte ich mich als Dolmetscherin lange im Voraus beim Kulturamt beworben. Ich erhielt eine Woche später die Auskunft, dass man soeben kompetente Kollegen angeheuert habe, die den Vorzug böten, aus nämlicher Gemeinde zu stammen und damit keine Anfahrtkosten zu verursachen.

Auf meiner kleinen herbstlichen Rundreise hatte ich das Colloquium seit langem eingeplant, ich unterbrach also die Fahrt und ging als einfache Teilnehmerin hin. In der Mittagspause kam ich mit der Kulturamtschefin ins Gespräch. Sie gab ihre Eindrücke von der Veranstaltung wieder. Leider fände sie, erklärte sie mir zwischen Vorspeise und Hauptgang, dass die ausländischen Gäste durch die Bank weg eher schwammig sprächen und auch auf Nachfragen kaum Konkretes aus ihnen herauszuholen sei. Den Eindruck hatte ich allerdings nicht ... und ließ das vorsichtig durchblicken. Am Nachmittag hörte ich in die Verdolmetschungen rein. Meine Befürchtungen wurden bestätigt.

Am Abend sitzen alle in geselliger Runde zusammen. Eine Dolmetschkollegin ist auch dabei. Sie ist erfreut, als sie mich beim Dessert kennenlernt, und erzählt, dass sie in den letzten Jahren schon einige Diskussionen zu Filmthemen verdolmetscht habe. Und dass sie sich jetzt vielleicht doch endlich mal eine Vokabelliste anlegen müsse für die Fachtermini ...

Ich kommentiere das jetzt nicht ausführlicher, wer mich kennt, weiß, was ich darüber denke. Nur dies: Wer Fachgebiete hat, hält sich auch ohne Aufträge auf dem Laufenden. Die Kollegin war übrigens in ihrer Region sehr gut im Geschäft und hatte schlichtweg keine Zeit gehabt für eine intensive Vorbereitung. Sie hielt sich für eine gute Kulturkennerin und sagte en passant auch noch: "Kultur ist ja mein Steckenpferd ..."

Is klar, Kultur kann jeder ... und nur für Ärztekongresse braucht man Fachdolmetscher.

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Bild: Ruven (acht Jahre)

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