Freitag, 21. Januar 2011

Wortfindungsstörungen

Einstmals, an manchem Hofe, wurde der Überbringer schlechter Nachrichten ermordet, denn es sollte ja keinen Zeugen für die schmachvolle Niederlage geben.
So kann ich von Glück sagen, dass ich noch lebe. Aber ich kenne seltene Momente ganz besonderer Wortfindungsstörungen, wo ich wie einst mancher Bote keine gute Kunde für den Kunden habe.

Autsch, von Peinlichkeit berührt, flüchte ich mich in schlechte Kalauer. Aber das Thema ist ernst: Wie gehe ich als Dolmetscherin und Übersetzerin im Kundenkontakt mit schlechten Nachrichten um, und ich meine hier jetzt nicht zu übersetzende oder zu verdolmetschende schlechte Nachrichten.

REALITÄT!
Die neue Lust am Dokumentarischen
1. Beispiel: Kunde A. aus Berlin ruft an, hat ein Drehbuch übersetzen lassen. Der Text wirkt aber in seinen Augen doch an einigen Stellen etwas ungelenk. Er bittet mich, die Arbeit zu evaluieren, um sie später, falls nötig, zu verbessern. Der Text kommt an, das Original auch: Katastrophe! Ich lese, markiere, probiere Neues aus, schau' auf die Uhr. Und stelle fest, dass es mindestens genauso lang dauert, dieses Buch zu schleifen, wie es neu zu übersetzen. Kunde A., der ein potentieller Neukunde ist, sagt, er habe doch nur die Schwester einer Praktikantin des Nachbarbetriebes gebeten, sich des Buchs anzunehmen, sie sei gerade aus Frankreich zurückgekehrt, wo sie erfolgreich studiert habe.

Lassen Sie mich das vorlesen.
2. Beispiel: Wieder potentielle Kunden, diesmal Monsieur B. aus Paris. Ich bewerbe mich um einen Dolmetschjob, für sein Haus wurde ich schon tätig, allerdings mit anderem Ansprechpartner. Ich bekomme einen Filmlink zugeschickt, sehe im Netz das fertige Werk. Es hat Untertitel. Und was für welche. Ich frage mich, ob sie a) mit Übersetzungssoftware gemacht worden sind, b) durch den Hausmeister oder c) durch die Katze. Wir treten in die Honorarverhandlungen ein. Vorher frag ich zaghaft nach den Untertiteln, deute an, dass sie nicht gut sind. Knieschuss! Der Freund der Bürokollegin war's, er sei ja in Deutschland geboren, und ja, es seien bereits erste Kopien gebrannt ... Und ob ich das nicht das nächste Mal machen wolle, der Freund der Kollegin habe allerdings einen Freundschaftstarif aufgerufen, 9 Cent das Wort. (Der offizielle Tarif liegt in Frankreich bei 3,90 Euro je Untertitel, und die bewusste Firma gehört zu den solider finanzierten Medienunternehmen, um's vorsichtig zu sagen.)

Warum kommst du her?
3. Beispiel, denn auch Monsieur C. aus der französischen Provinz hat mal wieder was für mich: viel Arbeit, indes kein Bares (in neuer Firma). Oder nur kaum. Dann meint er, er könne doch Gelder zur französischen Arbeitslosenversicherung für mich zahlen und die Abgaben für die Tantiemen seien doch auch erklecklich, die Verwertungsgesellschaft zahle mich doch. Ich stelle klar, dass es in Deutschland keine Arbeitslosenversicherung für unständig beschäftigte künstlerische Berufe (caisse des intermittents du spectacle) gibt und dass die französische Verwertungsgesellschaft für das betreffende Werk an mich vielleicht einige Zehn-Euro-Scheine ausschütten wird, wenn dann in X Jahren der Film vielleicht ... Monsieur C. zeigt sich verwundert über meine Ausführungen. Die Englisch-Kollegin aus einem Vorort des Pariser Südens hätte anders reagiert. Und er setzt nach einer Pause selbst hinzu, dass dies vielleicht kein guter Vergleich sei, es handele sich hier um eine Mutter, Fremdsprachenkorrespondentin, die nach Familienpause langsam wieder ins Arbeitsleben einsteigen wolle, obwohl sie das gar nicht müsse.

Nichts gegen Berufsrückkehrer, in Deutschland Geborene und frischgebackene Hochschulabsolventen, ich meine das nicht persönlich. Trotzdem: Es gibt wohl wenige Berufsbilder, bei denen die "Konkurrenz" von Laien derart zum Alltag gehört, wie bei dem des Übersetzers.

Zum Glück hab ich auch andere Kunden, die gut und pünktlich die vollen Summen zahlen. Aber in Situationen wie den beschriebenen weiß ich immer nicht, wie ich's ausdrücken soll, wenn ich mich nicht um Kopf und Kragen reden will.

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Fotos: Aus Kundenschutz keine Quellen-
angabe bzw. Modifizierungen/Schwärzungen.
Ich schütze auch meine Nicht-Kunden ...

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