Sonntag, 9. Januar 2011

Kleines Konjunkturprogramm

Demnächst darf ich auf Gott und/oder Vaterland schwören. Und da geht es mir wie schätzungsweise 1000 eingetragenen Berliner Dolmetschern und Übersetzern: Wenn sie weiterhin gelistet sein wollen, mussten oder müssen sie zu Gericht, und erneut den Amtseid leisten. Ein neues (EU-konformes) Gesetz macht dies nötig, durch das die alten Beeidigungen am 1. Januar 2011 ungültig geworden sind.

Immerhin unterscheiden durch dieses Gesetz jetzt auch Amtsschimmel und Justitia der deutschen Hauptstadt zwischen "beeidigten Dolmetschern" und "ermächtigten Übersetzern". Das ist ebenso neu wie das unsereiner künftig bundesweit unter Berufung auf den in Berlin geleisteten Eid vor Gericht auftreten darf.

Indies, auch eine Neubeeidigung als Übersetzer oder Dolmetscher muss bezahlt werden, und dafür sah der Gesetzgeber um 50 % reduzierte Gebühren vor. Das machte fürs einfache Eidschwören immerhin noch 80 Euro, wenn dies noch 2010 stattfand, beides zusammen war dann schon 120 Euro teuer, wer mit mehr als einer Fremdsprache arbeitet, zahlt 20 Euro Aufpreis je Sprache — insgesamt sollte det Janze allerdings pro Nase 160 Euro nicht übersteigen. Der Ansturm auf die Gerichte war immens, Termine wurden monatelang im Voraus vergeben.

Das Ganze mutet schon wie ein kleines Konjunkturprogramm an, nur werden diesmal Freiberufler zur Kasse gebeten, denn auch der amtliche Rundstempel ist zu erneuern. Laut Stempelfritzen um die Ecke kostet der Stempel in Holz mit 40 mm Durchmesser ca. 25 Euro für den einfachen Text und 35 Euro für beide Bezeichnungen, vor Steuern jeweils. Macht außerdem um die 6.000 Euro Mehrwertsteuer für die öffentlichen Kassen. Was ein Kleckerbetrag ist gegenüber den geschätzten 130.000 Euro Gebühreneinnahmen für die Beeidigungen.

Und es wird noch mehr Geld fließen. Denn was den Vorsatz, die Chose noch im alten Jahr über die Bühne zu bringen, neben der bereits erwähnten Wartezeit für manche ein kleines bisschen erschwerte, waren die berühmten im Ausland erbrachten gleichwertigen Abschlüsse. Und weil's keine ausgleichende Gerechtigkeit gibt, zahlt jetzt, wer im alten Jahr damit nicht "durch" war, eben den doppelten Betrag ... (so interpretiere ich jedenfalls die amtlichen Infos, am I right?)

Dem höheren Preis steht aber unbedingt ein erhöhter Verwaltungsaufwand durch längeres, gründlicheres Prüfen gegenüber! Vor allem die Notwendigkeit der Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse brachte einige von uns in merkwürdige Verstrickungen: Die hiesigen Sprachmittlerfachkräfte durften zunächst ihre selbst übersetzten Abschlüsse von ... richtig, bereits ermächtigten Übersetzern beglaubigen lassen, was, wenn es unter Kollegen nicht irgendwie mit Tauschgeschäften ausgeglichen wurde, erneut Kosten auslöste (und noch mehr Umsatzsteuer in die Staatskasse spülte).

Ja, und dann sind da noch die zwei Kolleginnen, deren Qualifikation überhaupt nicht anerkannt wurde, da die französischen Bildungsabschlüsse des 20. Jahrhunderts nicht ganz den deutschen entsprechen und kühnerweise nicht die Fachrichtung "Übersetzen und Dolmetschen" studiert wurde, sondern Physik bzw. Ingenieurwesen an einer Grande Ecole, ergänzt durch Kurse, die sie einst auf die Sprachmittlerprüfungen vorbereitet haben. Die Folgen: Die eine Kollegin pfeift sich zusammen mit ihren Industriekunden eins auf die Beeidigung, die andere darf nach zwanzig Berufsjahren nochmal beim Berliner Prüfungsamt vorsprechen. Kostenpflichtig natürlich, und nicht zu knapp: 350 Euro derzeit. Dafür durfte sie sich im Sommer anmelden, im November die schriftlichen Prüfungen absolvieren, im Frühjahr folgen die Hausarbeiten und vor der Sommerpause 2011 die mündlichen Prüfungen. (Bis dahin kann sie natürlich keine beglaubigten Übersetzungen anbieten.)

Wem das zu langwierig ist, der geht nach München oder Erlangen und absolviert beim Sprachen- und Dolmetscherinstitut oder beim Institut für Fremdsprachen und Auslandskunde bei der Universität Erlangen die Prüfung als Externer, das geht zwischen Anfang Mai (Schriftliches) und irgendwann im Juli (Mündliches). Kostenpunkt: 450 bis 475 Euro für Dolmetscher und Übersetzer. Wo das Portmonee/Portemonnaie/[pɔrtmɔˈneː] ja schon mal geöffnet ist ...

Ei(d), Ei(d), Ei(d) ... ein Schelm, der arges dabei denkt ...

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Foto: Das leere Stempelkarussell ...

4 Kommentare:

Liudmila hat gesagt…

“. . . die andere darf nach zwanzig Berufsjahren nochmal beim Berliner Prüfungsamt vorsprechen."

Es ist doch absurd!!!

caro_berlin hat gesagt…

Ja, liebe Liudmilla, ist absurd. Man sollte mal die Juristen fragen, die sich die Novelle ausgedacht haben, ob sie auch ihre Prüfung ganz oder in Teilen wiederholen möchten. Da mein Bruder Anwalt ist und ich den Prüfungsterror miterlebt habe, gehe ich mal davon aus: nein!

Zum Glück ist nur eine Minderheit davon betroffen. Zu der ich indes auch zähle. Das Diplom, das ich in meinen frühen Zwanzigern ablegte, die "gemeinsame Prüfung von Übersetzern für Wirtschaft und Handel" der Industrie- und Handelskammern Paris und Düsseldorf existiert nicht mehr! Vielleicht gab es zwischendurch irgendwelche Fristen, in denen man seine Zeugnisse umschreiben lassen oder sich zuvor im Schnellverfahren prüfen lassen konnte, ich hab das nicht beobachtet (wer kommt schon auf solche Ideen und checkt regelmäßig, ob die eigenen Abschlüsse noch Gültigkeit besitzen ...)

Jetzt prüfe ich gerade die Möglichkeiten ... und las unlängst die bayerischen und baden-württembergischen Prüfungstexte, die mir nicht weiter problematisch vorkommen (bzw. ich sah die Stolperfallen). Da hab ich mich schon durch ganz andere Minenfelder hindurchgekämpft, selbst ohne Fachwörterbuch! Was aber an den Prüfungen nervt, sind die langen Prüfungszeiträume, das geht wie gesagt über Monate bis hin zu einem Jahr.

Lieber wäre mir: Drei Tage Hausarbeit, die Woche drauf zwei Tage Schriftliches plus einen Tag Mündliches. Das wäre immer noch zwei oder drei Tage kürzer als meine Prüfung von anno dazumal, die so lange her ist, dass sie jetzt offenbar wirklich "verjährt" ist ;-)

Als in Frankreich Studierte kenne ich Prüfungsmarathons gut, irgendwann ist das nicht mehr so schlimm, je kompakter, desto besser ... zumal sich der Dolmetscherberuf ja ohnehin bei jedem Einsatz wie eine kleine Prüfung anfühlt. Damit musste ich umzugehen lernen.

Ob ich mich der erneuten Prüfung unterziehe oder nochmal ein anderes Prüfungsamt mit meinen Unterlagen "beehre", das weiß ich noch nicht.

Auf jeden Fall ist für mich der Stempel im Alltag nicht so wichtig. In den letzten zwanzig Jahren hat mich eigentlich nur meine Mutter nach weiteren Studienabschlüssen gefragt, die mein französisches Studium und das deutsche Aufbaustudium ergänzen könnten ;-)

Gruß nach Jetkaterinburg,
Caro

André hat gesagt…

Örks, das mit den Prüfungen ist immer so eine Sache. Mir wurde mal die maximale Punktwertung verweigert, weil ich nicht falsch übersetzt hatte. Die Prüfungsaufgabe hatte nämlich einen kapitalen Fehler drin, auf den ich hingewiesen hatte und dann eine Übersetzung für die falsche und eine für die richtige Aufgabenstellung präsentiert hatte.

Kommentar Prüfer: Sie haben schon recht, und ich würde ihnen auch gerne die volle Punktzahl geben, aber das lässt das Kultusministerium nicht zu.

caro_berlin hat gesagt…

Auch nicht schlecht, die Story ;-) Zeigt aber leider auch, wie absurd ein solches Prüfungssystem ist: Volle Punktzahl gibt's nur für Mister Gott, denn er ist an den Fehlern schuld ;-)

Ich habe mich letztes Jahr um die Prüfung schlicht d̶̶r̶̶u̶̶m̶̶r̶̶u̶̶m̶̶g̶̶e̶̶m̶̶o̶̶g̶̶e̶̶l̶̶t̶ ähhh, mich mit anderen Dingen beschäftigt ... und bin nun dieses Jahr dran. Locke mich mit einem schönen Rundstempel und vielleicht sogar dem zum Pickel kriegen schnieken Prägestempel von Manufactum.

Ziel: Den Kunden, denen ein Weblog vielleicht zu flippig ist, mit einer statischen, konservativen, stempeligen Profilwebseite auch das Bild anbieten, was von unsereinem erwartet wird. (Incl. konservativem Foto. Maman, wo ist eigentlich Omas Perlenkette?)