Donnerstag, 23. September 2010

O-Ton

Als ich das erste Mal nach Berlin zog - ich war noch keine Dolmetscherin, sondern Sprachstudentin mit Studienort Paris - verwunderten mich hier, was Abkürzungen angeht, drei Dinge: Amibrause C & C, O-Saft und O-Ton. Der erste "Schnack" dieser Aufzählung, der diese zuckrige und zugleich essigsaure Brause bezeichnet, war kreuzbergtypisch und geriet ebenso in Vergessenheit wie die wilden Siebziger, aus denen er vermutlich stammt. Dem zweiten, dem Orangensaft, wird manchmal von coolen Typen heute der A-Saft oder der T-Saft zugeordnet. Und der O-Ton beschäftigt mich noch heute.

"O" wie Original, das Kürzel kommt auch in Filmbezeichnungen vor, OF für die gleichnamige Fassung und OV für die Version jener Art. Wir Spracharbeiterinnen leiden regelmäßig beim Versuch, fernzusehen, und in Kinos außerhalb einiger Hauptstadtspielstätten sowieso: Der O- wird für unsereinen zu oft durch den Synchronton ersetzt.

Zum Beispiel im iranischen Film "Women without men" von Shirin Neshat. Wunderbare Bilder, ein spannendes Thema - aber diese pathetische Grundstimmung der deutschen Studiosprecherstimmen fand ich nur schwer zu ertragen.

Auf jeden Fall geht bei Filmen dieser Art die Synchronfassung oft an der Zielgruppe vorbei. Wer diesen Film sehen will, genießt die originale Stimmung und die Stimmen, die ja irgendwie integraler Bestandteil der Körpers sind, und liest gerne Untertitel.

Die Synchronfassungen entstehen übrigens gar nicht fürs Kino, sie werden nur über das Kino (mit-)finanziert. Hauptinteressent an synchronisierten Filmen bleiben das Fernsehen und der DVD-Markt, hier wird diese (oft von den staatlichen Förderungen der Kinowirtschaft finanziell unterstützte) Investition amortisiert.

Seit Jahren schwindet das Fremdsprachenangebot in den Kinos. Nicht, dass man den Deutschen so schlechte Sprachkenntnisse zuschriebe (unsere Sommer- und Herbstgäste sind stets überrascht, wie viele Menschen hier gute Grundkenntnisse sogar des Französischen haben), das Problem sitzt tiefer. Denn die Ausgaben für Synchron sind so hoch, dass etliche Filme gar nicht mehr mit deutschen Untertiteln regulär ins Kino kommen, das Budget ist mit der Synchron oft erschöpft. Und außerdem trifft die Filmförderrichtlinien eine Mitschuld an der Situation. Die Fördereinrichtungen der deutschen Filmwirtschaft verteilen Steuergelder zur Herstellung internationaler Koproduktionen, die nur dann als deutsch-irgendwas gelten (deutsch-französisch, deutsch-englisch ...), wenn es eine deutsche Fassung gibt. Kurz: Ohne Synchronfassung kein "deutscher" Film und keine Filmfördergeldausschüttung!

Bislang hab ich als Übersetzerin und Dolmetscherin echte Synchronarbeit gescheut wie der Teufel das Weihwasser, weil ich synchronisierte Filme hasse. (Gut, ich synchronisiere mitunter Filme 'live', wenn's keine Untertitelfassung gibt, aber das ist was anderes, das ist Festivalarbeit.) Ich merke aber, dass sich der Markt eindeutig verlagert hat, weg vom Untertitel, hin zur Synchron - und im Sinne der politischen Agenda wohl aller Parteien, die ja die Exportfähigkeit deutscher Produkte und damit die Weltläufigkeit seiner Einwohner fördern möchten, kann ich nur sagen: Hallo, Politiker, hier ist Handlungsbedarf!

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1 Kommentar:

Kurt hat gesagt…

Hast Du mitgekriegt, Twin Peaks lief auf Arte in der deutschen bzw. französischen Synchronfassung. Die haben damit ihre Klientel vergrault und offenbar etwas grundlegend nicht kapiert: Sie sind kein Quotenprogramm für die Masse und können manches Art house nicht durch Sprachfassungen für eine kulturell ungeübte Masse rezipierbar machen.
Best, K.