Mittwoch, 28. April 2010

Drehbuchübersetzung

Ein Schwerpunkt meiner Arbeit ist die Übersetzung von Drehbüchern und diverser Texte für Filmförderungen aus dem Französischen. Dabei unterscheide ich mich von vielen anderen Drehbuchübersetzern, denn ich komme aus der Praxis, habe selbst dokumentarisch gearbeitet, bei Fiktionalem assistiert und an verschiedenen Stellen im Team bei der Produktion mitgewirkt.

Mit ambitionierten Filmproduktionsunternehmen arbeite ich sehr gerne zusammen. Denn ich bin anspruchsvoll, frage nach, wenn etwas unklar ist, wünsche mir Zusatz- und Hintergrundinformation. Ich arbeite langsam, denn nur die wertvollsten, wachsten Stunden des Tages gehören der Übersetzung und dem Schreiben. Ich habe meinen Preis, denn wer billig zu haben ist, hat oft keine Vorstellung davon, wie viel Zeit solides Handwerk kostet.

Das Ziel meiner Arbeit sind Bücher, die auf Deutsch nicht nach Übersetzung klingen, im Zweifelsfall entscheide ich mich deshalb immer für die deutsche Grammatik, die idiomatische Redewendung, den deutschen Bezug. Dabei verschafft in solchen Fällen mitunter Fußnoten Klarheit über den kulturellen Hintergrund - Fußnoten, mit denen ich hier einen Ausdruck, dort eine Referenz in der Originalfassung erkläre.

Ist die erste Arbeit getan, liest eine Kollegin oder ein Kollege gegen - das Vier-Augen-Prinzip ist mir sehr wichtig in der Arbeit -, dann kommt noch ein Arbeitsschritt: Das Feilen. Und auch das braucht je nach Länge des Textes nicht Stunden, sondern Tage.

So viele Schritte, so viel Mühe hat ihren Preis. Oft liege ich im höheren Preissegment dessen, was als "Hausnummer" in der Szene kursiert. Dafür bekommen Sie keine Arbeit einer Agentur, die Ihre Übersetzung (für einen Bruchteil dessen, was Sie zahlen) möglicherweise an einen Berufsanfänger weitergereicht und dann im Schnellverfahren geglättet hat. Dafür bekommen Sie keinen Text eines/einer Deutschen, der/die seit 30 Jahren in Frankreich lebt und fast schon DAF-Probleme hat (DAF: Deutsch als Fremdsprache). Aber dafür bekommen Sie den Text einer Autorin, die weiß, wie viele Drehbücher auf dem Markt kursieren und die sich mit Herzblut für Ihr Projekt einsetzt.

Gut für Sie, denn an der anderssprachigen Fassung der Drehbücher oder Finanzierungspläne sind keine langwierigen Reparaturarbeiten nötig. Im Übersetzer- und Dolmetscherberuf ist auch Demut ein wichtiges Element. Schmerzhaft habe ich meine eigenen Grenzen kennengelernt, daher arbeite ich für juristische Übersetzungen ich mit Profis zusammen, die Juristen und Übersetzer sind; bei anderen Sprachen kann ich dank meines Netzwerks ebenfalls weiterhelfen.

Ich bin versiert in Word und besitze Final Draft. Lektorate berechne ich pro Stunde, schwere Fälle verunglückter Übersetzungen nehme ich nicht mehr an.

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Übersetzung ist Handwerk - zum Glück müssen wir nicht mehr die "Wagen" alter Schreibmaschinen stemmen. Aber das Klingeln, wenn das Zeilenende nähert, hatte schon etwas Heimeliges, oder? (Es war das Hintergrundgeräusch meiner frühen Kindheit, irgendwer im Haus schrieb immer gerade an einer Doktor- oder Diplomarbeit.)

Montag, 26. April 2010

Wenn das Goethe gewusst hätte!

"DER SPIEGEL" lobt diese Woche die Internet-Übersetzungssoftware Google Translator. (Hier folgt kein Zitat, weil ich das Heft leider bei meinem Patensöhnchen vergessen habe).

Meine klassische Nagelprobe für Automatic Translation mache ich indes schon heute. Dabei spiele ich mit Übersetzungssoftware (Kette) und einem Satz (Schuss) das übersetzerische "Weberschiffchen": gebe das Ergebnis wieder in die Maske ein, übersetze es in die Ausgangssprache zurück, um dann wieder das Ergebnis übersetzen zu lassen, bis es keine (wesentlichen) Veränderung mehr gibt. In der einen Fassung komme ich bis zur achten, in der anderen nur bis zur siebenten Generation.
Im Vergleich zu früheren Spielchen klingen bei Google Translator die Sätze teilweise verständlich, sie sehen grammatisch eher wie normale Sätzen aus. Murks kommt dennoch immer dann bei der maschinellen Übersetzung heraus, wenn idiomatische Redewendungen, Schachtelsätze, mehrere Ebenen oder Poesie im Spiel sind. Aber sehen Sie selbst.

1° Tu tombes à pic, je dois construire une étagère.
2° Sie fallen direkt nach unten, ich bin Gebäudes ein Regal.
3° Ils tombent vers le bas, je construis une étagère.
4° Fallen sie nieder, baue ich ein Regal.
5° Si elles tombent, je construis une étagère.
6° Wenn sie fallen, baute ich ein Regal.
7° S'ils tombent, j'ai construit une étagère.
8° Wenn sie fallen, baute ich ein Regal.

Der Beispielsatz lautet, erst von einem Menschen übersetzt, dann wieder von der Maschine:

1° Du kommst wie gerufen, ich muss ein Regal aufbauen.
2° Vous obtenez comme je l'ai appelé pour construire une bibliothèque.
3° Sie bekommen wie ich in eine Bibliothek zu bauen aufgerufen.
4° Je vous appelle à construire une bibliothèque.
5° Ich fordere Sie auf, eine Bibliothek zu bauen.
6° Je vous invite à construire une bibliothèque.
7° Ich lade Sie ein, um eine Bibliothek zu bauen.

Und zum Abschluss noch Goethe - einmal ohne Verszeilenzeichen übertragen, einmal mit.

1° Über allen Gipfeln ist Ruh,| in allen Wipfeln spürest du | kaum einen Hauch;| die Vögelein schweigen im Walde, | warte nur, balde | ruhest du auch!
ergibt
9° Auf allen Knoten in den Bäumen zur Ruhe, so sehen wir eine kleine Sache, die kleinen Vögel in den Bäumen und warten auf Sie!
und
7° Auf die Menge der Ecken ist Ruh, | fühle es in den Bäumen, | Sie ein Hauch, | die Vögel von Bäumen erwarten nun, dass | | auch!

Oh Wunder, in der siebenten Generation der Fassung mit Verszeilenzeichen bleibt der Reim bestehen! Hier der gleiche Text, durch Literaturübersetzer gefiltert.

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Diesen Schabernack widme ich einem, der heute Geburtstag hat.

Dienstag, 20. April 2010

Zwischen Birne und Käse

Das war wieder eine böse Zeitverschiebungsfalle, in die meine Kunden da reingeraten sind! Dabei hatte ich sie gewarnt! Nein, es war nicht die isländische Aschewolke, die sie in die Postkutschenzeit zurückkatapultierte, während wir doch in Berlin über modernste Medienthemen sprechen sollten. Die Wolke war durchaus hinderlich, schwerer wirkte sich indes die traditionell unterschiedliche Zeitwahrnehmung in Frankreich und Deutschland aus. Denn die stimmt in beiden Ländern ebenso wenig überein wie der Ablauf bei Geschäftsanbahnungsgesprächen.

Auf Einladung der französischen Gäste, die per Ausnahmegenehmigung im "kontrollierten Sichtflug" einschwebten, befinden wir uns in einem gehobenen Etablissement der gepflegten Nahrungs- und Getränkeaufnahme. Vor einigen Wochen bereits hatte das erste Treffen in Frankreich in einem Zusammenhang stattgefunden, der durch höchste bundesdeutsche Stellen ermöglicht und auch finanziert worden war. So fand das zweite Treffen auf Rechnung der französischen potentiellen Geschäftspartner statt, die dann auch den Ton vorgaben. Wer zahlt, bestimmt - das gilt auch hier. Dennoch geht die Chose am Ende auf Kosten der Deutschen aus.

Aber gemach. Die deutsche Seite hat mich als Dolmetscherin angeheuert. Zunächst finden wir uns zum Vorgespräch im Hotel Adlon ein, dann geht es weiter, Gäste "von gegenüber" abholen, der Pariser Platz hat heute wie einst seine berühmten Anrainer. Man hatte sich im Vorfeld des Termins etliche Mails hin- und hergeschickt, telefoniert, eine Videokonferenz auf Englisch abgehalten - letztere wohl mit mäßigem Erfolg, "das feeling für die anderen bekommt man doch nur im persönlichen Gegenüber!", resümierte denn auch einer der deutschen Geschäftsführer die Sache.

Termine wie diese heute sind immer knifflig, auch für uns Dolmetscher. Beim Vorgespräch mit zwei Herren, ein dritter kommt später nach, erfahre ich allenfalls ahnungshalber, worum es sich dreht; im Gegenzug wird für mich deutlich, dass die deutsche Seite bereits sehr genaue Vorstellungen der Rahmendaten des sich anbahnenden Vertrages hat. Ich versuche zu erfragen, wie konkret man schon miteinander ist, was das Pariser Gespräch bereits an Übereinstimmung erbracht hat. Von dort wird berichtet, dass man sich wohl grundsätzlich geeinigt habe und es jetzt nur noch um Details gehe. Trotz dieser eindeutigen Information warne ich vorsichtig, denn das erste Treffen hatte wohl bei Canapés und Toasts stattgefunden, Absichtserklärungen zählen auf französischer Seite weniger als auf deutscher, also frage ich noch, ob es nicht sein könne, dass man erst einmal die "gemeinsame Chemie" finden müsse - so jedenfalls ticken französischen Geschäftsleute und Politiker, die ich so kenne.

Und so kommt es dann auch. Man trifft sich zum Essen, die Apéritifs passen hervorragend zu spätem Frühling und isländischer Vulkanwolke, danach wird ein akrobatisch aufgetürmter Salat aus Blättern, Möhrenspirale, Tomatenschiffchen, Artischockenherzen und Flugfisch gereicht (mit welchen Flügeln kam der?), garniert mit Gesprächen über die Politik. Das amuse-gueule zwischendurch kommt in Begleitung touristischer Erwägungen in Sachen links- und rechtsrheinischer Hauptstädte, beim plat de résistance, dem Hauptgericht, geht's mit der deutschen Einheit richtig zur Sache.

Langsam werden meine deutschen Kunden unruhig. Immer, wenn ein Themenwechsel ansteht, also etwa ab dem Salat, fangen sie an sich zu sammeln, entspannt und konzentriert zugleich zu wirken - wie ein Maikäferchen vor dem Start. Das Problem: Das Maikäferchen ist im April zu früh dran, und die Franzosen geben immer den Takt und das Thema an, frei nach: Wer fragt, führt.

Nun wird ein zweiter Hauptgang gereicht, dazu die fortbestehende Zweiteilung der Welt debattiert. Wir befinden uns in einem Restaurant, in dem die Portionen ebenso klein sind wie die Gespräche gedämpft: sehr. Als Geschäftsessensgäste hatten wir das Séparée bekommen, auch, damit ich würde dolmetschen können, ohne das Ruhebedürfnis anderer zu stören. Aber aus Perspektive der Franzosen war ich nur für small talk einbestellt, so jedenfalls mutmaßt zwischendurch leise einer meiner Auftraggeber. Ich bitte um Geduld, sage, dass man in Frankreich immer erst in Ruhe esse, und dann ...

Und während der andere Auftraggeber unter dem Tisch das Dossier mit den Zahlenwerken auf den Knien jongliert, kommt langsam ein kleines Dessert, gefolgt von einer Obstschale und Kaffee, begleitet von Gesprächen über die verehrten Ehegesponse und die lieb' Kindelein. Und wieder pumpen die deutschen Teile dieser Essensdelegation wie die Käfer kurz vorm Start.

Jetzt ist ein kleiner Umzug fällig, wird ein neues Etablissement angesteuert. Und zwischen café et pousse-café, zwischen Kaffee und dem Schnäpsken hinterher, fangen die Franzosen an zu sprechen. Sie skizzieren eins, zwei, zack die Grundlinien ihrer Vorstellungen von dem Deal, stellen charmant lächelnd Forderungen, beschreiben Wege. Meine deutschen Auftraggeber wirken müde und erschöpft vom vielen Pumpen und den vielen Gängen. Sie nicken, haben keine Einwände und noch weniger Fragen.

Dieser späte Zur-Sache-Kommen ist sehr französisch, dafür gibt es sogar einen historischen Ausdruck: entre la poire et le fromage, den ich gerade mit "zwischen Kaffee und Schnaps" übertragen hatte. "Zwischen Birne und Käse" bezeichnet einen ruhigen Moment zwischen zwei Ereignissen oder gegen Ende einer Mahlzeit. Der Begriff stammt aus dem 17. Jahrhundert, in dem der Käse nach den Früchten gereicht wurde, die sehr häufig aus heimischen Regionen stammten, also Äpfel oder Birnen waren. Und ohne hier Äpfel gegen Birnen aufrechnen zu wollen: Eine Zeitverschiebungsfalle war das Ganze allemal, egal ob Birne, Käse, Kaffee oder Schnaps.

Dienstag, 6. April 2010

Vorbereitung ist die halbe Miete

Fachdolmetscher beherrschen ihr Fach, zum Beispiel habe ich, was Bildkulturen angeht, bereits im Nebenfachstudium Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft viel aufgesogen und mich früh in Filmfragen spezialisiert. Zugleich müssen Dolmetscher auch in anderen Bereichen oft grob orientiert sein, denn ein einziges Fachgebiet reicht als Grundlage für eine freiberufliche Existenz selten aus. Während der Vorbereitung von Terminen lesen wir uns dann jeweils in die Themen ein, weshalb wir unsere Redner beizeiten um Hintergrundinformationen bitten. Denn es leuchtet sicher jedem ein, dass bekannte Begriffe und inhaltliche Anknüpfungspunkte uns Dolmetschern Sicherheit geben und sich der Stress, den neue Inhalte immer mit sich bringen, so leichter im Zaume halten lässt.

Wir Dolmetscher bemühen uns deshalb täglich darum, das, was uns mit Journalisten eint, zu erhalten und zu erweitern: eine "profunde Halbbildung". Wir wissen also von vielem ein wenig und nur wenig beherrschen wir ganz. Wir können über fast jedes beliebige Thema reden, nur nicht über zehn Minuten, und wir wissen vor allem eins sehr genau: dass wir sehr, sehr viel nicht wissen.

Also Wissensdurst plus Demut - das Weltwissen verdoppelt sich alle fünf bis fünfzehn Jahre (je nach Quelle), Universalgebildete sind ausgestorben. So gehört die morgendliche Zeitungslektüre ebenso zum Alltag wie die Beobachtung des Büchermarkts, der Besuch von Ausstellungen, Podiumsdiskussionen etc. Aber nicht die Anhäufung von Daten und Fakten zählt, sondern der große, ganze Gestus: Aus einer neugierigen, dem Leben gegenüber offenen Grundhaltung ein solides Interesse für vielerlei zu entwickeln, dabei Zusammenhänge erkennen zu können, Probleme und Entwicklungen beschreiben und Spreu vom Weizen trennen zu können, was die Quellen angeht, sind sicher die Grundtugenden, die wir in unserem Beruf haben müssen. Wer Lernen scheut, Angst vor fremden Sachgebieten hat und grundsätzlich nicht gern an den Debatten teilnimmt, die unsere Gesellschaft bestimmen (sollten), wird mit einem anderen Beruf sicher glücklicher.

Aber ich muss noch einmal auf unsere Bitten nach Hintergrundinfos vor einem Kongress oder einer Delegationsreise zurückkommen. Die Veranstalter haben für diese Fragen leider oft kein sehr großes Verständnis. Wir hören Sätze wie: "Es kommen nur ganz allgemeine Dinge zur Sprache!", "Der Besuch hat mehr protokollarischen Hintergrund, wir gehen gar nicht ins Detail!", "Der Botschafter spricht nur ein Grußwort!", "Es geht nicht in die Tiefe. Verschiedene Disziplinen treffen aufeinander, da ist es für jeden Einzelnen wichtig, den Jargon beiseite zu lassen und Allgemeinverständlich zu sprechen!", "Im Internet finden Sie auf unserer Webseite einen Aufsatz des Herrn zu diesem Thema, er wird in etwa das Gleiche sagen!"

... nur, und das blieb unerwähnt, dass der Aufsatz aus dem Oktober 2005 stammt und seine Vortragsankündigungen der letzten vier Kongresse, auf denen der Betreffende sprach, schon eine deutliche Erweiterung des Themas nachvollziehen ließen (was sich auf der Konferenz bestätigte). Werden hohe Politiker, die nicht mehr amtieren, oder sonstige ältere Berühmtheiten erwartet, hören wir sogar schonmal ein: "Herr/Frau XYZ schreibt die Rede selbst, und bei einer so hochkarätigen Persönlichkeit verbietet uns das Protokoll, vorher nach einem Redemanuskript zu fragen!"

Mitunter reichen uns Stichpunkte, Thesen, einige Fundstellen im Netz, ein älteres Manuskript (das zeitlich nicht so sehr weit zurückliegt). Und hierbei nähmen wir gerne die ganze Konzeption - wo kommt der Redner her, wo geht er hin? Mit Grausen erinnere ich mich an eine Landkarte, Teil einer PowerPointPräsentation (PPP), mit gar keiner Legende. Da zuvor etliche Fakten beschrieben worden waren, ging ich davon aus, die Karte helfe dem Redner abschließend dabei, alles noch einmal kurz zu illustrieren. Ja, Pustekuchen! Der Vortragende war nicht fertig geworden mit der Vorbereitung seiner PPP und hatte daher zum letzten Kapitel seiner Rede keinerlei Stichwort notiert. Oder die filmwirtschaftliche Debatte, die ihren Ausgang beim Börsenkrach nahm und bei der dann eine halbe Stunde lang von Versicherungen die Rede war, ohne, dass das Wort "Versicherung" auch nur einmal erwähnt worden wäre. Der Dolmetscher hat damals Großes geleistet - und lag leider doch daneben.

Ich finde sowas immer wieder mehr als schade. Wer etwas zu sagen hat, sollte auch dafür Sorge tragen, dass der- oder diejenige, der/die ihn übersetzt, am Ende die bestmögliche Leistung abliefern kann. Und gute Vorbereitung ist eben die halbe Miete ...

Donnerstag, 1. April 2010

Recherchehilfe Internet

Mancher Youngster verwechselt ja das Netz oder fremde Werke mit frei floatenden Wahrheiten, die allen gehören, siehe die Causa (Helene) Hegemann, die sich in nichts von im weltumspannenden Netzwerk abgekupferten und als Eigenkreation ausgegebenen Hochschulhausarbeiten unterscheidet.

Aber das Netz ist eine wunderbare Recherchehilfe. Wir entdecken Publikationen, Originaldokumente, die Protokolle politischer Debatten usw. Auch bei der Wortfeldarbeit kann das Netz oft helfen. Zum Beispiel bei der Lösung der Frage, welche Redewendung wie oft vorkommt - und wer sie in welchem Kontext verwendet? Doch aufgepasst, die Ergebnisse sind immer zu prüfen und zu bewerten. Hier setzt Lebenserfahrung an und Einschätzungsvermögen, was die Quellen angeht.

Bei manchen Begriffen hilft die Internetsuche nach Bildern weiter. Was ist zum Beispiel der Unterschied zwischen "Geländer" und "Brüstung", abgesehen davon, dass der zweite Begriff altertümlich anmutet? Er klingt wie eine Art "Rüstung", ein "Wehr", da sie den Meschen verwehrt, über die Kante zu gehen - und dabei bis zur Brusthöhe reicht (oder tiefer endet). Eine Bilderrecherche später weiß ich mehr. Ausgegangen war ich übrigens von den französischen Begriffen, la rambarde und le parapet.



Hier finde ich also Bestätigung für das, was ich schon gefühlt hatte - das Geländer, la rambarde, ist luftiger, oft aus Metallstäben oder einem anderen Material als das, worauf es als Bauteil aufgesetzt wurde. Die Brüstung, le parapet, häufiger mit historischen Gebäuden in Verbindung gebracht, ist Bestandteil des Bauwerks bzw. aus dem gleichen Material, also ein gemauerter Umlauf oder ein metallener bei der historischen Brücke aus Metall. Sie sind viel stärker Bestandteil des Bauwerks als ein später hinzugefügtes Geländer.

Letzte Gewissheit liefert hier noch das Etymologische Wörterbuch. Den Kluge/Götze und das entsprechende französische Werk gibt's bei uns in altbewährter Weise noch auf Papier.

éblabla

Frankreich mag keine Anglizismen. Das lässt sich schön bei Computerbegriffen beobachten. So heißt der "Computer" (den ich übrigens lieber Rechner nenne) auf Französisch un ordinateur, der dann statt mit "Software" (wohin ist das Wort 'Dienstprogramme' verschwunden?) mit logiciels oder progiciels arbeitet, je nach Charakter der Einsätze und Definition durch die Werbeindustrie.

Die "Mouse" (Maus) ist in Frankreich schlicht eine souris, hier wurde wörtlich übersetzt; das Keyboard (Tastatur) klingt indes musikalisch: le clavier; das Mail heißt jenseits des Rheins courriel, was auf courrier électrique zurückgeht, elektronische Post, sie hat sich gegenüber dem vor einigen Jahren auch vorgeschlagenen mél durchgesetzt, ich nehme an, es liegt (unbewusst) an der zu großen Ähnlichkeit dieses Wortes mit dem englischen Begriff.

In Frankreich wurde unlängst mit "francomot" ein Wettbewerb ausgeschrieben und beendet, das neue französische Begriffe für weitere Begriffe der Computerei suchte. Freizeit-Neologen und Entscheider erwiesen sich am Ende leider weder mutig noch übermaßig kreativ: Der "Chat" würde jetzt beinahe éblabla heißen, hätte man sich nicht für tchatche entschieden, was ohnehin schon so viel heißt wie Palaver oder Geplauder. Ein weiteres schon existierendes Wort ist le débat, das anstelle von “Talk” verwendet werden soll. Auch die Französisierung des Wortes "Buzz", damit wird ein Gerücht bezeichnet, das durch Werbung, neue Medien usw. entsteht, greift auf Bekanntes zurück: ramdam , das sich an das Fest 'Ramadan' anlehnen solle, eine Zeit, in der bei Tageslicht nicht gegessen werden darf, was dann nachts am besten in größerer Gesellschaft nachgeholt wird - und wobei es geräuschvoller zugeht.

Neu schien den Franzosen in Frankreich indes, womit die französischsprachige "Gazette de Berlin" schon seit lange ihren "Newsletter" bezeichnet: infolettre, eine Art Infobrief also. "Wir" Berliner Franzosen sind dem Heimatland mal wieder um Nasenlängen voraus ...

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Bild: Nur der Handapparat meiner Nachschlagewerke, denn es geht doch nichts über ein schönes Wörterbuch :-)