Dienstag, 9. Februar 2010

Bitten einer Dolmetscherin an ihren Redner

Lieber Redner (und natürlich auch: liebe Rednerin), also ..., was ich Ihnen schon lange mal in Ruhe sagen wollte: Ihr direkter Draht zum Ohr der Dolmetscherin beginnt beim Mikrofon. Behandeln Sie es bitte sorgsam, ganz so, als säßen wir vor Ihnen und Sie hätten wirklich und leibhaftig ein echtes menschliches Ohr vor sich. Pusten Sie also bitte nicht rein, klopfen Sie nicht dagegen, das würden Sie mit unserem Ohr ja auch nicht tun. Vertrauen Sie darauf, dass wir die Technik vorher überprüft haben, und wenn Sie sie dennoch testen müssen (manchmal gibt es in der Tat Gründe dafür, technische Umbauten zum Beispiel), dann sprechen Sie uns ganz leise einige freundliche Worte zu und prüfen Sie dabei, ob Sie sich selbst über die Lautsprecher hören - dann hören wir Dolmetscherinnen Sie in der Regel auch. (Die männliche Form, der Dolmetscher, sei hier immer mitgedacht; indes, unser Beruf wird so stark von Frauen dominiert, dass ich mir ausnahmsweise mal die weibliche Form als Überbegriff erlaube.)

Wie aktiv sind Sie bei Ihren Vorträgen? Ich will nicht wissen, ob Sie viel mit den Händen rudern (solange Sie uns keinen Schlag aufs Ohr, pardon!, das Mikrofon versetzen), sondern ob Sie zum Beispiel aufstehen, um am Flip Chart oder an der Leinwand, auf die Bilder der PowerPointPräsentation projiziert werden, etwas zu erklären. Dann müssten wir nämlich mit Ihnen mitkommen bzw. "das Ohr" - und das geht zum Beispiel mit einem Ansteck- oder einem mobilen Mikrofon. Sprechen Sie über Ihre Erfordernisse vorher bitte mit dem Veranstalter, denn manches bedarf der Vorbereitung. Und wenn Sie sich dann mitten in Ihrer Rede auf Ihre Dokumente beziehen und z.B. ein mobiles Mikrofon in der Hand halten, denken Sie bitte daran, auch hineinzusprechen. Viele Redner wenden den Kopf in Richtung Präsentationsmaterial und 'nehmen' dabei die Hand, die das Mikrofon hält, nicht mit ...

Sollten Sie noch nicht über viel Rednererfahrung verfügen, können wir Ihnen nur den Tipp geben: üben Sie! Fragen Sie Freunde, Verwandte und Kollegen, ob Sie bei ihnen 'vorsingen' dürfen. Bitten Sie sie, neben dem Inhalt auch auf die Form zu achten, zum Beispiel auf Vortraglänge und auf Ihr Sprechtempo. Wer ein Manuskript abliest oder aufgeregt ist, spricht in der Regel schneller als der- oder diejenige, der/die frei formuliert. Das bringt einen klaren Nachteil für das Publikum mit sich, das Ihnen in Ihrer Sprache zuhört: Das 'Mitdenken' erfordert größere Anstrengungen. Das bringt auch einen Nachteil für Ihr fremdsprachiges Publikum mit sich, denn auch wir Dolmetscher müssen uns eilen, haben aber nicht wie Sie stundenlang über Ihren Absätzen geschwitzt, an Ihren Gedanken gefeilt und Ihre Pirouetten geübt, kurz: Wir müssen zugleich verstehen, was Sie Neues zu sagen haben UND dieses auch noch übertragen. Das ist bei Normalsprechgeschwindigkeit schon eine anstrengende Arbeit, je schneller Sie sprechen, desto mehr Mühen haben wir, Ihnen zu folgen.

Ich hatte eben das Wort "ablesen" verwendet ... Darf ich Sie kurz einmal bitten, sich die schönste Erinnerung an einen Vortrag wachzurufen, die Sie als Zuhörer erlebt haben? Wodurch glänzte Rednerin oder Redner? Durch aktuelle Bezüge - zum Beispiel auch durch Anspielungen auf Dinge, die von anderen Rednern zuvor gesagt worden waren -, durch direkte Ansprache des Publikums, durch Geschliffenheit, Humor, Klarheit der Gedankenführung, oft auch dadurch, dass sie oder er zunächst den Weg vorstellte, den man nunmehr gemeinsam gehen würde und dass dann sie oder er in der Rede in kurzen Momenten des Innehaltens den jeweils letzten Gedanken auf diesem Weg immer wieder 'verortet' hat. Und last but not least, sicher auch durch prägnante Arbeit an Begriffen, Definitionen, Abgrenzungen und konkreten Beispielen ... und wie war das jetzt mit der freien Rede? Wie viel hat - über die Zitate hinaus, der oder die Musterrednerin vom Papier abgelesen?

Die besten Redner sind jene, die frei sprechen, souverän sind, eine Beziehung zu ihrem Publikum aufbauen und sich auf dessen Wissenstand einstellen können. Am wenigsten eingängig haben doch die meisten unter uns jene erlebt, die sich angestrengt an ihrem Manuskript festgehalten haben und dabei so chaotisch durch ihre Gedanken gestolpert sind, dass der Weg im Nachhinein für die geneigte Zuhörerschaft nur noch mit Mühen nachzuvollziehen war.

Nun ist es nicht jedem gegeben, ohne viel Lampenfieber souverän öffentlich zu reden, aber auch hier gilt: Übung macht den Meister. Und jetzt habe ich, Ihre Stimme aus dem Kopfhörer, noch eine kleine Bitte: Die Struktur Ihrer Rede, Ihre Stichworte, Zitate und Ihre digitalen Präsentationen oder Kurzfilme (bzw. dessen Skript) interessieren mich nicht erst dann, wenn Sie anfangen zu sprechen - ich denke mich gerne ein in das, was Sie mitzuteilen haben, und ich nehme mir auch gerne im Vorfeld Zeit dafür. Deshalb würde ich mich sehr freuen, von Ihnen beizeiten (z.B. eine Woche zuvor, spätestens am Vorabend) Informationen über den Inhalt Ihres Vortrags zu erhalten, damit ich mich einarbeiten kann. Dazu müssen Sie mich nicht direkt anmailen, oftmals kennen Sie mich ja gar nicht. Der Veranstalter wird Ihre Mail indes gern an mich weiterleiten.

Dann bis die Tage bei der Konferenz. Wir sind ganz Ohr!__________________
Foto: Wikipedia.fr / common license

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