Dienstag, 26. Januar 2010

Räuspertaste

Bonjour, hello und guten Tag! Hier bloggt eine Übersetzerin und Dolmetscherin.

Am Dolmetschpult gibt es einen Knopf mit dem schönen Namen "Räuspertaste". Wenn die Anlage eingeschaltet ist können wir damit für die Dauer eines Räusperns oder Hustens akustisch auf Distanz gehen. Das ist sehr sinnvoll, denn laute Geräusche, die einem beim konzentrierten Zuhören plötzlich ins Ohr |ploppen| knallen, sind störend und können schmerzen. Ich erlebe das selbst regelmäßig, wenn ich auf internationalen Festivals der Live-Verdolmetschung zum Beispiel asiatischer Filme oder Theaterstücke lausche. Jeder und jede, die diese auch "Einsprechen" genannte Arbeit gelegentlich leistet, sollte sich regelmäßig anhören, wie es klingt. Das kann sogar lustig werden. Unvergesslich ist die Begleitakustik, die ich einmal bei einem sehr meditativen und entsprechend wortkargen Film aus einer Dolmetschkabine vernommen habe, die im Kabuff des Filmvorführers gleich neben dem Projektor stand: Dolmetscherin und Vorführer parlierten bei offener Kabinentür munter miteinander und flirteten, was das Zeug hielt. Das gab dem Film eine ganz andere, unerwartete Ebene. (Die Kollegin kannte offenbar den Film und hatte hoffentlich nur vergessen, in den stummen Phasen die Anlage auszuschalten.) Seitdem vermeide ich Geräusche, über die ich mir zuvor in der Kabine nie 'nen Kopp' gemacht hatte, auch auf normalen Konferenzen: Gluckern, wenn Wasser nachgeschenkt wird, Trink- und Schluckgeräusche, Naseputzen und derlei. Für all'das gibt es wie gesagt die Räuspertaste.

Den gestrigen Tag werde ich allerdings auch nicht vergessen. Wir dolmetschten eine Sitzung von Menschen, die auf höchster Ebene in einem meiner kulturwirtschaftlichen Fachgebiete tätig sind. Drei ausländische Kollegen waren zur Tagung eingeladen worden, je ein Gast aus zwei französischsprachigen Ländern und ein Vertreter der Verwaltung aus Brüssel. Die Arbeitssprachen waren somit Deutsch und Französisch, obwohl die Muttersprache des Beamten der EU nicht Französisch ist.

Der Vormittag war kein Problem, wir übertrugen alles, was auf Deutsch gesagt wurde, in die Sprache der Gäste. Vor dem Mittagessen kamen unsere zwei Französisch-Muttersprachlerinnen dran, ebenfalls kein Problem. Beim Essen lernten wir kurz unseren letzten "Dolmetschkunden" kennen, was sehr gut war, um sich schon mal auf den Akzent des Euro-Herren einzuhören.

Was dann folgte, war sehr anstrengend. Monsieur hielt seinen Vortrag, mit einer PowerPointPräsentation (PPT) unterstützt, die im Vorfeld von jemandem übersetzt worden war, der kein Fachmann des Themas ist. Meine Kabinenkollegin hörte also die Ausführungen des Redners, wobei sie immer wegblenden musste, was da auf Deutsch parallel zu lesen stand, wunderte sich über fehlende Satzenden, schlecht ausgesprochene, kaum verständliche Vokabeln und über Widersprüche, die sich zu den doch nicht ganz von ihr ausgeblendeten '"Dias" der PPT ergaben. Zum inhaltlichen Kuddelmuddel gesellte sich noch große Hektik und Nervosität des Vortragenden, die zu einer Sprechgeschwindigkeit führten, die mindestens das 1,5-fache des normalen Sprechtempos war.

Dann war die Rede vorbei. Ich übernahm das Mikro für die Diskussion in der Hoffnung, dass die freie Rede des werten Herrn etwas weniger hastig ausfallen möge. Aber weit gefehlt, er holte aus, gestikulierte, knallte mit der Hand ans Mikrophon, dass mir fast das Trommelfell platzte ... und setzte seine chaotische Art des Sprechens fort.

Bei der Übergabe des Mikros nutzten meine Kollegin und ich die kurze Pause, die durch den — zum Teil der Höflichkeit geschuldeten — Applaus entstand, gossen Mineralwasser nach und lästerten ... natürlich unter Betätigung der bereits erwähnten Räuspertaste. Ich lästere höchst ungern, weil ich mich als jemand, die sich die Worte einer oder eines Fremden buchstäblich einverleiben muss, damit selbst gegen ihn oder sie aufbringe. Indes, ab einem gewissen Level ist der kurze, bissige Kommentar zwingend notwendig: Einmal Dampf ablassen und der Kollegin Anteilnahme zeigen, das hilft! Zack und weiter! Jetzt war ich dran, jetzt litt ich, kämpfte und nach getaner Arbeit griff ich wieder nach der Räuspertaste.Was später geschah, fing merkwürdig an. Nach der Konferenz stand ein Empfang mit hohen Kommunalpolitikern auf dem Programm, aber erst saßen wir gemeinsam im Reisebus und besahen uns im Warmen einige touristische Höhepunkte der tiefgefrorenen Stadt. Beim Warten auf die Abfahrt, unterwegs und in der Schlange der Garderobe erhielten wir so viele Bemerkungen wie selten zuvor zu unserer Arbeit, und zwar des Tenors, dass der Beamte aus Brüssel ja wohl fürchterlich gewesen sein müsse und dass wir uns aber wacker geschlagen hätten. Wir waren über so viel Verständnis des Publikums begeistert und haben es leise schmunzelnd zur Kenntnis genommen. Nach den Reden wurde noch getrunken und gegessen. War es der Wein, der noch mehr Vertrauen entstehen ließ? Oder lag es an der Dauer des gemeinsam verbrachten Abends (dadurch befördert, dass jeder Gedanke an die strenge Kälte draußen Aufbruchgedanken lange unkonkret werden ließ) ... kurz, die Bemerkungen zu unserem bürokratischen PowerPoint-Durchstolperer rissen nicht ab, Monsieur sei ja wohl besonders ... wir bejahten dies stets und hielten dann die Klappe. Bis einer unserer Zuhörer anfügte, dass er sich derlei schon gedacht habe, das wäre ja aus dem Gespräch von uns Dolmetscherinnen im Anschluss an den Vortrag messerscharf zu schließen gewesen - eine von uns hätte den Begriff "Höchststrafe" verwendet.

Sie können sich vorstellen, dass wir am liebsten im Boden versunken wären, so peinlich war das. Unser Gegenüber versicherte uns aber, man habe es ganz amüsant gefunden und meinte nur trocken: "Wir Kulturleute haben vollstes Verständnis!"

Soviel zum Thema Räuspertaste, die offenbar auch mal kaputt sein kann. Künftig werden wir schriftlich husten und ausschließlich mimisch kommentieren. Augenrollen, erschrecktes Aufreißen derselben, Vogel zeigen — die Geste überträgt sich unserer geneigten und geschätzten Hörerschaft maximal als das Rascheln eines Jacketts.

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2. Foto: Ein anderes Technikproblem: Beim Umschalten sprang
mir bei einem anderen Einsatz der Knopf für Französisch entgegen.
Solche Pannen müssten eigentlich nicht sein, aber offenbar wird
auch hier "gespart" ...

Montag, 25. Januar 2010

Wochenendarbeit

Undankbar, diese Wochenendarbeit. Nein, keine Klagen über vorhandene Arbeit in Zeiten, wo viele Menschen gar nichts oder wenig zu tun haben. Aber es ist schon ungerecht, am Wochenende arbeiten zu mussdürfen. Ich fühle mit Ärztinnen mit und Kellnern, Taxifahrern und Opernsängerinnen, die tätig sind, während andere ausspannen.

Letzten Freitagvormittag absolvierte ich etwas vom routinemäßigen Programm aller Freitage, um dann weiterzumachen mit dem, was mich seit einer Woche täglich mindestens eine Stunde beschäftigt: Lesen und lernen für die nächste Konferenz. Dann zur Reinigung gehen, der Anzug ist noch nicht fertig, Vokabellisten ausdrucken, der Drucker geht kaputt, weiterlernen mit Karteikarten und eigenhändig annotierten Zeitungclippings. Am späten Nachmittag fürs Wochenende einkaufen, dann früh einen Kinofilm auf DVD sehen, anschließend eine Badewanne mit entspannenden Essenzen, und so lege ich mich schlafen, als mein Nachbar sich gerade anschickt, in eine Bar zu gehen.

Samstagmorgen klingelt der Wecker um 6.45 Uhr. Halb neun möchte ich am Tagungsort sein, acht Stunden später verlasse ich den Ort des Geschehens, die Augen fallen mir fast zu. Berlin ist rekordkalt, das erhöht die Müdigkeit. Auf dass sich mein Tag-/Nachtrhythmus nicht verschiebe, nötige ich mich zum Wachbleiben. Im Halbschlaf kaufe ich den vergessenen Bio-Ingwer für meine derzeitigen Lieblingsteeaufgüsse (Ingwer mit Lemongras, dazu einen Spritzer Zitrone) und esse ein Süppchen im Lieblingsrestaurant, denn zuhause sind alle ausgeflogen. Im Restaurant treffen sich Menschen zum gemeinsamen Abendessen, ich habe heute Abend einen Theaterbesuch abgesagt. Dann, endlich, gehe ich ins Bett.

Über den Sonntag gibt's nichts zu berichten außer einem Ausflug bei großer Kälte und Sonnenschein und dass vor meinem Arbeitzimmerfenster die Menschen auf dem Landwehrkanal schlittschuhliefen. Am Vormittag hätte ich gerne Freunde gesehen, aber die mussten alle ausschlafen: Wochenende!

Und jetzt ist Montagfrüh. Huch, das Wochenende ist ja schon wieder vorbei!

Mal sehen, ob ich kommenden Dienstag meinen Samstag nachhole. Aber dann!

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Foto: C.E.

Samstag, 23. Januar 2010

Labyrinth

Es gibt Sätze, die sind so dicht und verwinkelt, dass es sich anfühlt wie im Labyrinth auf der Suche nach dem Ausgang. Und dann gibt es bauliche Situationen, deren Ziel es nicht ist, für Irritationen zu sorgen, die sich aber als unsichere Labyrinthe erweisen. Und wo sonst Labyrinthe nur für den schönen Schauder und das Gefühl sorgen sollen, es könne sein, dass man sich verlaufen habe, sind sie her real: Sie bedrohen unsere Arbeit.

Neulich dolmetschte Stefanie in einem modernen Hotel. Sie hatte gerade die Verdolmetschung übernommen, als der Kollege kurz mal auf die Toilette ging. Das Hotel war groß, mit vielen Gängen, dicht gewebten Teppichböden, die den Schrittschall auffangen, schnieken Aufzügen, verspiegelten und blumengeschmückten Wartebereichen vor den Aufzügen und einigem Andrang. Dafür gab es in der Nähe der Dolmetscherkabinen keine Toilette. Auf dem Hinweg ging der Dolmetschkollege einen langen Gang hinunter, wartete auf den Aufzug, fuhr ein Stockwerk hoch oder runter und ging wieder in die gleiche Richtung, aus der er gekommen war, in Richtung Örtchen seiner momentanen Sehnsüchte.

Als das erledigt war, wollte er schnell zurück in die Kabine und entdeckte gegenüber der Toilette an der Tür ein kleines Zeichen, das ihm unmissverständlich klarmachte, dass dahinter eine Treppe liegen müsse. Da er ja wusste, sich in großer Nähe zu den Kabinen zu befinden, eben nur ein Stockwerk entfernt, öffnete er diese Tür, sah die reichlich schmucklose Treppe aus Sichtbeton, und wusste: Der Weg stimmt. Der Weg hat auch gestimmt, nur war er nicht geplant, dass ein Hotelgast ihn nehmen würde. Als er im richtigen Stockwerk angelangt war und die Verbindungstür zum Gang öffnen wollte, der direkt zur Dolmetscherkabine führte, merkte er erst: Die Tür ließ sich vom Treppenhaus aus nicht öffnen. Nach einer kurzen Schrecksekunde besann sich unser guter Mann seiner sportlichen Beine und der Tatsache, dass er ja in einem anderen Stockwerk ins Treppenhaus hereingekommen war. Er ging also seinen Weg zurück, doch dort: Enttäuschung! Auch diese Tür ließ sich nur vom Gang aus öffnen, wie übrigens alle anderen Türen auch, die er nacheinander abklapperte im modernen, mehrgeschossigen Hotelneubau.

Dann probierte er es mit Rufen. Aber die Türen waren offenbar nicht nur Türen eines Fluchtwegs, sie waren auch Feuersperren und deshalb sehr, sehr dick. Selbst der Hall, den die nackten Wände und Stufen des Sichtbetontreppenhauses beisteuerten, half nichts.

Darüber verging eine Stunde. Am Ende verfiel ein anderer Kongressteilnehmer auf die Idee mit der Abkürzung und befreite unseren Dolmetscher aus der Falle. Seine Kollegin Stefanie in ihrer Kabine war indes auf hundertachtzig. Dolmetschen ist Schwerstarbeit, und regelmäßiger Wechsel der Sprecher ist eine Grundvoraussetzung, diese merkwürdige Gehirnakrobatik überhaupt leisten zu können ... sie wähnte unseren armen Mann bereits sonstwo und fing an, seine Zuverlässigkeit infrage zu stellen.

Derlei Schnacks erzählen wir uns in der Mittagspause. Wir stehen in einem Foyer am Rande der Internationalen Grünen Woche. Ein langjähriger Kunde einer befreundeten Agentur, der einst nur mehrere Dutzend Teilnehmer zusammenbrachte, bewegt nun mehrere tausend Menschen, daher mietete er den größten Raum an, den das Berliner Kongresszentrum zu bieten hat. Und wir haben unseren ersten Berufskontakt mit diesem unfreundlichen Koloss, der aussieht, als habe ein außerirdischer Riese am Rand der AVUS seinen Bauklotz fallen lassen.

Dieser Betonklotz ist allein schon baulich für uns Dolmetscher eine Herausforderung. Die Kabinen hängen oben unter der Zimmerdecke und wurden zu einer Zeit geplant, als noch niemand an Energieprobleme oder die Möglichkeit der Erfindung von PowerPointPräsentationen dachte, denn die Decke ziert ein Buckelwalhuckel, der sich in der Sichtachse ins Innere wölbt, so dass dort, wo auf dem Bühnenhintergrund die Bilder auftreffen, stets das obere Drittel abgeschnitten ist. So wissen wir in der Dolmetscherkabine stets mit großer Sicherheit, wie groß die Redner sind, deren Konterfei abgefilmt und an die Wand projiziert wird: So, wie das Rednerpult jetzt steht, sehen wir alle bis 1,75 cm inklusive Scheitel, beim 1,85-cm-Mann sehen wir gerade noch das Mundbild, was beim Dolmetschen ja ganz hilfreich ist.

Das Schlimmste am ICC aber sind die labyrinthischen Gänge. Morgens müssen wir eine halbe Stunde vor der üblichen Zeit kommen, damit wir uns nach einem Verantwortlichen durchfragen können, der uns nach oben geleitet. Und der Weg geht ungefähr so: Von der Hauptebene rechts mit der Rolltreppe hoch, dort in den Fahrstuhl an der rechten Seitenwand, dort in den vierten (?) Stock, dann die Tür nehmen, die neben der zum Bühneneingang liegt, durch einen Flur Richtung Fenstergang, dort von vier möglichen Türen jene nehmen, die am langgestreckten Fenster neben dem Mauervorsprung liegt, wieder durch ein Mini-Treppenhaus, da die Tür nehmen, auf der Zettel mit dem Wort "Dolmetscher" hängt, dann eine halbe Umdrehung auf der schmalen Treppe, dann durch eine Feuertür in eine Art Treppenhaus, die um einen Metallkäfig herumführt, dahinter liegen sämtliche Sicherungen des ICC in riesigen Metallschränken (oder was nur so aussieht), dann durch eine Tür am Ende des Ganges, die in einen Flur mündet, an dessen Ende eine kleine Treppe liegt und eine weitere Tür, die dann zum Gang führt, an dem die Dolmetscherkabinen liegen. Und der Weg zu den Toiletten geht so: Aus der Kabine in die andere Richtung bis zum Ende des Ganges, wieder eine Feuertür, dann teilt sich der Weg, links und rechts gehen jeweils zehn Treppenstufen ...

Ach, ich spar' mir den Rest. Der Dolmetscher im Hotelneubau, der auf dem Fluchtweg ausharren musste, musste nur den Gang rauf oder runter. Unser Weg zum Klo ist so, dass wir Scherze machen über Ariadnefäden, die abzurollen wären um sicherzustellen, dass wir wieder zurückfinden. Oder Brosamen ausstreuen. Im ICC gibt es doch keine Vögel, oder?

Ich halte es für höchstwahrscheinlich, dass sich irgendwo in einer Nische eine kleine Vogelpopulation angesiedelt hat, die nur von den Krümeln lebt, die von den Dolmetschern verstreut werden ... Grausiger Gedanke. Vielleicht ist das der Grund, weshalb wir erst durch den langjährigen Kunden unserer Partneragentur zum ersten Mal hier herkamen, um zu dolmetschen ..._________________________________________
P.S.: Ganz im Ernst: Die Stadt Berlin erwägt, das ICC abzureißen und durch einen Neubau zu ersetzen. Ich plädiere dafür. Ich nehme an, die Energiebilanz ist niederschmetternd, sicher ist aber, dass im Katastrophenfall aus den Kabinen kein Dolmetscher lebend rauskommt. Und bitte, liebe Architektinnen und Architekten, fragt uns beim nächsten Neubau mit Dolmetscherkabinen, wir wissen, welche Pannen noch zu vermeiden sind.

Dienstag, 19. Januar 2010

"Ich bleistifte dich rein!"

Bonjour, hello und hallo! Hier bloggt eine Dolmetscherin und Übersetzerin.

In den Wochen vor der Berlinale herrscht bei uns Hektik: An Pressevorführungen teilnehmen, Pressemappen schreiben oder redigieren, Finanzierungspläne, Pitches und Drehbücher bearbeiten, Hintergründe recherchieren ... und Termine für Dol­metsch­ein­sätze machen.

Vor dem Vertrag liegt die Option. Oft kommen Anfragen mit: "Wir haben da mög­li­cher­wei­se was am Soundsovielten, hättest Du grundsätzlich Zeit? Und es fallen Sätze wie: "Kannst Du den Termin 'mit Bleistift' freihalten? Ich rufe Dich an, sobald ich mehr weiß."
  
Gerne bleistiften wir den Termin rein ...

Termine jonglieren, bei Einladungen zusagen
Als Sprachmittler erlauben wir uns augenzwinkernd so man­chen Jargon, der wörtlich übersetzt aus einer anderen Sprache kommt. "I'll pencil you in" für eine vage Ver­ab­re­dung, eine Ter­min­op­tion, die noch bestätigt wer­den muss, das ist ein schönes Bild, wäh­rend die Tinte, die am Ende die Bleistiftnotiz über­schreibt, aus der Anfrage eine feste Zusage macht ...

Weitere Bedeutungen von I'll pencil you in im Wörterbuch für urbanes Englisch, das täglich einen englischen Alltagsbegriff oder eine alltägliche Redewendung vorstellt und erläutert.

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Foto: C.E. ... bevor's rund geht, gibt's noch etliche
private Termine oder mit früheren Studenten ...

Montag, 18. Januar 2010

Happy End

Will­kom­men auf den Sei­ten ei­nes vir­­tu­­el­­len Ar­beits­­ta­­ge­buchs aus der Welt der Sprachen. Ich bin Dolmetscherin und Übersetzerin für die französische Sprache, außerdem arbeite ich aus dem Englischen. 

historische Wörterbücher
Jeder Beruf hat seinen Jargon, und es gibt Begriffe, die stehen in keinem Wör­ter­buch. Zum Beispiel Vokabular, das mit der Finanzierung von Filmen zu­sam­men­hängt. HUs sind so ein Terminus tech­ni­cus — Handlungsunkosten. Wer noch nie eine Kalkulation gesehen hat, kommt hier schnell im Französischen auf "les frais opérationnels" — die Kosten, die es einem ermöglichen, operativ zu werden.

Fachleute können im Kontext verstehen, was gemeint ist. Aber das Wort, das in jeder Kalkulation ganz unten steht, lautet anders: les frais généraux. So ist es jedenfalls "bei Films", wie ich die Branche gern nenne.

Vor jedem Dolmetscheinsatz wiederholen wir Fachdolmetscher unsere Vo­ka­bel­listen. Wiederholt wurde ich gefragt, ob ich diese Listen nicht im Internet ver­öf­fentlichen kann ... Leider will ich das nicht, denn ich musste mir die Begriffe einzeln und sehr mühsam beschaffen. Machen wir uns nichts vor, die meisten Men­schen lassen sich ungern in die Karten sehen und senden nichts mit Zahlen drauf an Dolmetscher, die für sie mal einen Tag in der Kabine sitzen. In den Besitz von Zahlen und vor allem der damit verbundenen Fachworte komme ich nur, wenn ich den Rest des Jahres viele filmspezifische Texte und Dokumente übersetze. Meine Stammkunden fragen mich immer wieder an, denn sie wissen, welches Hin­ter­grund­wis­sen ich mir darüber hinaus angeeignet habe, auch durch praktische Er­fah­run­gen in der Filmproduktion, vertieft und ergänzt durch die Lehre an der Uni.

Hier kommt das Wort "Fachdolmetscher" ins Spiel. So, wie es Fachärzte oder Fach­anwälte gibt, gibt es auch unter uns Dolmetschern Kolleginnen und Kollegen mit "Interessensschwerpunkten". Meine Empfehlung an potentielle Kunden lautet da­her: Fragen Sie immer, was der/die Dolmetscherin bereits an einschlägigen Vor­er­fahrungen hat. Denn selbst wenn die Fachbegriffe eines Tages vielleicht irgendwo veröffentlicht werden sollten, so nützen sie nur demjenigen, der darüber hinaus über das Hintergrundwissen verfügt.

Ein anderes Beispiel mag dies verdeutlichen. Ein Dolmetscher, der auch schon mal bei Fernsehsendungen im On zu hören war, dolmetscht einen Kongress von Sach­ver­ständigen in Sachen Filmfinanzierung. Hier sitzen nicht nur Leute aus der Bank, sondern auch Filmförderer, Berater, spezialisierte Steuerberater und Produzenten. Jemand erzählt vom komplizierten Schließen einer Filmfinanzierung, von schwie­ri­gen Verträgen, einem kranken Hauptdarsteller usw. und fasst zusammen: "et là, c'est évident, il n'y a pas de clause de bonne fin!"

Die "clause de bonne fin" ist ein Terminus aus der Versicherung von Verträgen. Da Dreharbeiten sehr teuer sind und weil dabei ordentlich was daneben gehen kann — der Dokumentarfilm "Lost in La Mancha" ist das hübscheste Beiprodukt des Scheiterns von Terry Gilliam, der versucht hatte, Don Quijote neu zu ver­fil­men — springen im Notfall Versicherungen ein, damit der Produzent die Fertigstellung des Films garantieren kann. Also: der alte deutsche Begriff war hier "Fertig­stel­lungs­ga­ran­tie", der neudeutsche lautet "completion bond" und stammt direkt aus dem Versicherungsbereich. Zwei Begriffe, mit denen die "clause de bonne fin" zu über­setzen wäre ... der arme Dolmetscherkollege in der Kabine hat indes die Fallhöhe nicht verstehen können; dass es die ganze Zeit um Versicherungen ging, war den Zuhörern zwingend klar, ihm aber nicht, weil niemand das Wort "Versicherung" ausgesprochen hat, denn es verstand sich ja von selbst ...

Und dann haben wir Dolmetscher immer viel Hektik in der Kabine und keine Zeit zum Nachfragen, kurz, die Aufzählung der Schwierigkeiten und der Begriff "bonne fin", das gute Ende, wandelte der in Sachen Filmfinanzen nicht unbedingt ein­schlä­gig vorbelastete Kollege sehr folgerichtig und höchst kreativ um in den Satz: "Bei allen Schwierigkeiten wissen wir alle: Ein Happy End kann nicht garantiert wer­den!"

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Foto: C.E. (Archiv)

Freitag, 15. Januar 2010

Automatische Übersetzung oder "Machine Translation"

Was Dol­­­met­­­scher und Über­­­setzer ma­­­chen, ist der brei­­­ten Öf­­­fent­­­lich­­­keit oft nicht ge­­nau be­­kannt. Hier denke ich darüber nach, auch über die Zukunft des Berufsfelds.

Letzte Woche fragte mich die halbwüchsige Tochter von Bekannten, die wohl ge­ra­de überlegt, was sie beruflich mal machen könnte, ob nicht eines nicht allzu fer­nen Tages alle Übersetzer und Dolmetscher durch Computer ersetzt werden wür­den. Ich habe dem heftig widersprochen. Ich weiß, dass Computer die Arbeit vor allem der Übersetzer schon heute erleichtern, aber ebenso ist es klar, dass dies nie ohne den intelligenten, studierten Nutzer funktionieren wird.

Als ich heute Morgen in den Wirtschaftsnachrichten rumstöbere, lese ich in der FAZ folgendes:
Fundamental laufen die Geschäfte für Apple derzeit gar nicht so schlecht. Die weltweiten Computerverkäufe sind zwar zum Jahresende erstmals seit fünf Jahren um 0,4 Prozent gefallen, berichtete das amerikanische Marktforschungsinstitut IDC am Mittwoch. Immerhin konnte Apple jedoch 1,2 Millionen Computer verschiffen und den Marktanteil auf 7,2 Prozent steigern.
Offensichtlich handelt es sich um einen Text, der bereits automatisch übersetzt wurde, und bei dem die Redaktion oder das Lektorat nicht ausreichend tätig waren. "Fundamental" ist hier durch "grundsätzlich" zu ersetzen, und das Wort "verschiffen" hat sich über das Englische "to ship" hier eingeschlichen, das glei­cher­ma­ßen verschiffen wie versenden/ausliefern bedeutet.

Der Mensch ist also als Korrektiv vonnöten, wo verschiedene Begriffe für den Com­puter nur Synonyme oder tolerierbare Ausdrücke sind, oder anders: Woher soll der Rechner denn wissen, dass es zwar die Fundamentalkritik am Fundament so mancher Theorie gibt, wir uns aber in Zusammenfassungen fundamental anders äußern. Es geht um die Nuancen, die auch in noch so vielen Pro­gram­mier­stun­den den Rechnern nicht beizubiegen sind. Denn oftmals lenkt unser Schön­heits­em­pfin­den die Wortwahl, selbst bei kleinen, dummen Zei­tungs­mel­dun­gen. Effekte der Lautähnlichkeit bis hin zu Alliterationen oder im Gegenzug die Vermeidung von als unangenehm empfundenem Aufeinanderprall von Ähnlichem, das erfordert Ebenen der Programmierung, die mir in "Mannjahren" gerechnet die Programmiererleben mehrerer Generationen zu fordern scheinen. Währenddessen ändert sich ja unser Sprachempfinden, unsere Kultur täglich ...

Vor einigen Jahren habe ich mich mit Babelfish Translations von Altavista rum­ge­spielt und erlebte beim wiederholten Hin- und Herschieben ein hübsches Wunder der Verschlimmbaselung von idiomatischen Redewendungen, also von For­mu­lie­run­gen, die für die jeweiligen Sprache typisch sind.

Versuch aus dem Sommer 2005 (später hier veröffentlicht)

Du kommst wie gerufen, ich muss ein Regal aufbauen.
Tu viens comme appelé, moi dois une étagère développer.
... zehn Durchgänge später:
Du mich mußt dort ein Regal auf mehr Stadt der Konzepte auspacken.

In die andere Richtung (2005)

Tu tombes à pic, je dois monter une étagère.
Du Steilgräber muß ich ein Regal aufrichten.
... und fünf Durchgänge später:
Du mußt starr von den Gräbern mich ein Regal verbessern.

Und heute? Versuch vom 15.01.2010, also fast fünf Jahre später

Du kommst wie gerufen, ich muss ein Regal aufbauen.
Tu viens comme appelé, moi dois une étagère développer.
Du kommst als gerufen, mich muss ein Regal entwickeln.

Nach dem dritten Durchgang bleiben die Ergebnisse gleich.


In die andere Richtung (ebenfalls heute)

Tu tombes à pic, je dois monter une étagère.
Du Steilgräber muss ich ein Regal aufrichten.
Tu tombes raides dois redresser moi une étagère.
Du müssen steife Gräber mich korrigieren ein Regal.
Tu dois corriger des tombes rigides moi une étagère.
Du musst starre Gräber verbessern mich ein Regal.
Tu dois améliorer rigide des tombes moi une étagère.
Du musst starr von den Gräbern mich ein Regal verbessern.

Ergebnis: Die Übersetzung des Satzes aus dem Französischen entwickelt sich exakt genauso wie vor fünf Jahren. Beim ersten Beispielsatz sind die Veränderungen mi­ni­mal, der Unsinn bleibt bereits nach wenigen Durchläufen gleich. Entweder ha­ben Altavista und Co. ihr Wissen noch nicht auf das Gratisangebot "run­ter­ge­brochen" oder man ist tatsächlich dabei, Abermillionen von stehenden Redewendungen von Hand einzugeben. Eindeutige Verbesserung: Die Recht­schreib­re­form ist bei Ba­bel­fish angekommen, das ist große Klasse. Weiter so!

Unten ein ebenfalls aktuelles Beispiel, bei dem ich Wert auf eine etwas komplexe Satzstruktur gelegt habe.

Hinübersetzung (zum Vergrößern bitte Text anklicken)Und das Ergebnis des ersten Durchlaufs ist Ausgangstext für den zweiten:


P.S. (09/2013): Ich weiß, dass mein Blogeintrag auf Fachkonferenzen zitiert wurde. Daher bin ich nicht verwundert, als beim Test dieses Mal herauskommt, Tusch, Trommelwirbel und ...
Fast richtig! (In jeder Übertragung wird das Duzen zum Siezen.) Umso irritierter bin ich, dass die Beispielsätze nicht vollständig erfasst wurden: 

Freitag, 8. Januar 2010

Termine!

Neulich, wir erkraxelten gerade im Urlaub einen Berg, klingelte das Handy, es wurde schon langsam dunkel. Ob ich morgen früh bei einem Notartermin in Berlin dolmetschen könnte? Konnte ich nicht, aber die Kollegin. Wenig später läutete es wieder: Ob ich 36 Stunden später in Berlin bei einer Autorenlesung dolmetschen könnte? Ich wollte, wir reisten früher aus dem Urlaub zurück als geplant.

Es wurde ein schöner Abend. Geärgert hat mich die Kurzfristigkeit der Buchung: Der Termin stand, wie ich nachher erfuhr, seit mindestens zwei Monaten fest. Dabei hatte mich der Autor den Veranstaltern im Vorfeld sogar persönlich empfohlen.

Das mit den Buchungen von jetzt auf gleich nimmt durch das Internet zu. In vielen Fällen sind wir Kolleginnen und Kollegen ähnlich gut in unserer Leistung, demnach - Achtung, böses Wort -: ersetzbar! Aber wenn es auf Fachthemen ankommt, raten wir unseren Kunden stets, rechtzeitig zu buchen. Denn nicht alle können Medizinthemen (Sebastian) gleich gut wie Autotechnik (Thierry), Filmproduktion (Helen, Caro) oder experimentelle Literatur (Kerstin, Caro) à la OULIPO. Ein Sommerbild für die Terminplanung ... heute habe ich allein zwei Stunden mit Terminen zugebracht, und das ist richtig so. Wir planen gerne, dann haben wir auch ausreichend Zeit für eingehende Vorbereitung.

Meine nächsten Einsätze: Grüne Woche im Januar, Berlinale im Februar, im März dann die Transportmesse in Paris, dazwischen zwei Drehbuchabgaben, eine zu dolmetschende Eheschließung, zwei Termine als Gerichtsdolmetscherin. Kurz: es ist manche Höhe zu erkraxeln, aber wie im Gebirge, so auch in den Ebenen des Alltags - mit festem Schuhwerk und guter Planung geht vieles.
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P.S.: Nein, dieser Blog ist kein Ergebnis einer Wette, ob ich es schaffe, einen Dolmetschweblogeintrag unter wiederholter Verwendung des Verbs "erkraxeln" zu schreiben.

Donnerstag, 7. Januar 2010

Kein Blitzschach, sondern Blitzlernen

Will­kom­men beim ersten Web­log Deutsch­­lands aus dem In­­ne­ren der Dol­­met­sch­er­­ka­­bine. Hier kön­nen Sie (mehrmals wöchentlich) in meist kur­zer Form Epi­so­den aus dem Alltag einer Fran­zö­sisch­dol­metscherin verfolgen. Außerdem übersetze ich, zum Teil auch aus dem Englischen.
 
Dolmetscher brauchen mehr als Allgemeinbildung. Was eine Binse ist, stellt uns im Beruf mitunter vor Blitzlernnotwendigkeiten.

Gestern im Cinéma Paris am Kurfürstendamm: Ich sehe einen Spielfilm, in dem Schach vorkommt, und versuche mir, Bewegungen und Namen der Figuren zu merken. Leider kann ich das Brettspiel noch nicht, also möchte ich alles auf einmal lernen. Ich sehe den Film "Joueuse" von Caroline Bottaro, der diese Woche unter dem Namen "Die Schachspielerin" in die deutschen Kinos kommt. Dabei hatte ich im Vorfeld viel Zeit gehabt, das alles zu lernen, ist der Film doch die Adaption eines Romans, den eine Freundin aus Studententagen vor etlichen Jahren geschrieben hat: Bertina Henrichs erzählt in "La joueuse d'échecs", wie ein nicht mehr ganz junges Zimmermädchen über die Freude am neuentdeckten Schachspiel ihren in eingefahrene Bahnen geratenen Alltag langsam verändert, wie sie aufblüht und sich aus den alten Strukturen emanzipiert — und dennoch nicht, wie in so vielen Fällen weiblicher Emanzipation (im Kino wie im Leben), am Ende ohne Mann dasteht.

Nach der Filmvorführung soll ich das Gespräch zweier Damen mit dem Publikum dolmetschen, denn zusammen mit der Regisseurin ist auch die Hauptdarstellerin Sandrine Bonnaire nach Berlin gekommen. Solche Gespräche gehen zu 90 Prozent über Filmisches, aber wenn derlei dann doch fachlich wird, dann richtig! Also übe ich das Minimum an Schachterminologie und versuche, die Figuren und ihre Sprünge zusammenzubekommen — rein abstrakt. Wie also bekomme ich meine vorher angefertigte Vokabelliste "lebendig"? Bei zu viel Abstraktion und keiner praktischen Erfahrung helfen manchmal nur starke Bilder. Einige Figurenbezeichnungen brauche ich nur zu übersetzen, le roi/König, la dame/Dame, la tour/Turm. Und ich finde in Windeseile starke Bilder für die anderen Figuren. Für den Läufer, der auf Französisch "le fou" heißt, was 'der Narr' oder 'der Verrückte' bedeutet, stelle ich mir einen alemannischen Narren vor, der mit Joggingschuhen das Ufer des Landwehrkanals entlangjoggt. In meiner Kindheit hat mich die alemannische Fasnet stark beeindruckt, und einen solchen Narren hier im hohen Norden als Läufer zu sehen, ist sehr unwahrscheinlich. Also: "Le fou läuft" ist der Satz dazu, oder, umgekehrt, "der Läufer ist ein Narr". (Der Narr trägt eine Kappe mit Schweizerkreuz drauf, dabei ist die Darstellung, historisch bedingt, wohl eher eine Bischofsmütze, aber das scheint auch ein Missverständnis zu sein.)

"Pion" wird in Frankreich der Aufseher in der Schule genannt. Es sind oft Lehramtsstudenten, immer unterbezahlt, gelegentlich von den Lehrern wegen der geringeren sozialen Stellung schlecht behandelt und selten dann selbst böse den Schülern gegenüber, wenn der pion nicht von den Youngsters dauergeärgert wird: Aggressionen werden weitergereicht. "Pion" heißt auch auf Französisch die Schachfigur, die "Bauer" auf Deutsch heißt. Und ich sehe vor meinem inneren Auge einen richtigen Bauern mit Rest vom Kuhfladen an den Stiefeln, schlammgrüner Cordhose, Stroh in der groben Strickjacke überm karierten Holzfällerhemd, kurz: ein Gemüt von einem Kerl, der leider von den Schülern geärgert wird, während er auf dem Hof Aufsicht führt. Also: "Der Bauer steht als pion auf dem Schulhof".

Und dann ist da noch der Springer, die Figur mit den Pferdeohren, auf Französisch "le cavalier" (Reiter). Das ergibt bei mir das Bild: Der "cavalier sieht durch die Pferdeohren hindurch und springt (über ein Hindernis). Das Bild ist das Schwächste, weil am wenigsten abstrakt, dafür ist das Pferdchen bei den meisten Schachspielen nicht zu übersehen.

Dass es so detailliert wird im Publikumsgespräch ist zwar höchst unwahrscheinlich, aber jeder Auftrag ist mir willkommener Anlass zum Erlernen und/oder Wiederholen von Begriffen und Redewendungen. Und so "blitze" ich immer wieder kurz meine Assoziationen in ruhigere Passagen des Films "hinein" (und denke mir dazu auch die Worte). Ich verknüpfe und lerne und gewinne an Sicherheit für das anschließende Gespräch: eine offene Flanke weniger. (Und ich beschließe, dass ich die Sprünge später lernen kann, wenn ich mir von meinem Patensöhnchen das Schachspiel beibringen lasse ...)


Das Publikumsgespräch ist dann auch entspannt, filmisch, die Gäste sehr sympathisch (und Mme Bonnaire schaut mich so aufmerksam an, als würde sie gerade für eine nächste Rolle die Wirkung einer Dolmetscherin studieren). Dann wird das Gespräch doch noch "schachlich" — ganz am Ende. Nathalie von Bernstorff, die Medienbeauftragte der Botschaft, hat die Veranstaltung schon abzumoderieren versucht, da stellt ein Mann von der Empore noch eine ellenlange Frage, lobt hier ein gefilmtes Spiel, vergleicht dort einen Blick mit einem Gesichtsausdruck des russischen Gegners von Bobby Fischer bei den Schachweltmeisterschaften 1972 in Reykjavík und was der Details mehr sind. Meine Finger hetzen übers Papier, Namen, Orte, Daten, um am Ende einigermaßen hinterherzukommen, denn der Redner, der nach langen Kommentaren zwei kurze Fragen stellt, es ist der Toussaint-Übersetzer John Lambert, mag seine Frage dann leider doch nicht auch noch auf Deutsch stellen. So bekommt das Ganze so kurz vor dem Abpfiff den Anstrich einer anstrengenden Veranstaltung, und dank der üblichen Dolmetschernotizentricks, Routine und Gelassenheit bekomme ich am Ende sogar noch Szenenapplaus. Die ganze Aufregung im Vorfeld war indes nicht nötig; das Mundwerk, das ein besonderes Handwerk ist, war wieder einmal 'verlässlich', ich habe mit einer visuellen Blitzlernmethode einige starke Vokabelbilder zum Thema Schach gewonnen und einen sehr schönen Gesprächsabend erlebt.


Merci beaucoup, Bertina Henrichs, Caroline Bottaro et Sandrine Bonnaire !