Montag, 27. Juli 2009

(Ne) nous la fais pas à l’envers

Dieser Tage bin ich mit Bullen in Paris unterwegs. Wir fahren in einem zivilen Polizeiwagen durch die Straßen der Hauptstadt, suchen Gangster eines osteuropäischen Drogenrings, ermitteln in Spielhöllen und Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus. Hier wird ein anderes Französisch gesprochen als das, was ich an meinen Wohnorten (Besançon, Tours, 16. und 18. Arrondissement von Paris, Neuilly) gelernt habe: Und zwar ein Argot, das auch mit dem Slang eines Louis Ferdinand Céline nur noch teilweise etwas zu tun hat, mit dem ich an der Uni in Berührung kam.

"Ne nous la fait pas à l'envers !" - das soll der stumme Blick von Leuten besagen, die einen Mitmenschen überrascht anschauen als sagten sie eben dieses: "Macht uns das nicht andersrum!" Ich verstehe nur Bahnhof. Suche im Netz, nehme den Begriff auseinander.

Zunächst hat der Drehbuchautor - von ihm hab' ich die Redewendung, mit ihm findet unsere Reise statt - einen Tippfehler eingebaut, was das Verständnis erschwert. Es muss also heißen nous la fais pas à l'envers - "mach' uns die Sache nicht andersrum".

Ich lese im Netz - und finde die Redewendung in Blogs oder in Kommentaren zu Zeitungsartikeln wieder. Also handelt es sich um gesprochene Sprache. Der Kontext der Drehbuchszene ist äußerst dürftig, die Beiträge im Netz beredter, es geht wohl um 'nicht ernst nehmen' ... Ich suche weiter.

Und entdecke hocherfreut ein Dictionnaire de la Zone, das nicht die Ostzone Deutschlands meint, sondern die französischen Vorstädte. Das Wörterbuch bietet, so jedenfalls der eigene Untertitel, "das ganze Argot der banlieues" an. Hier steht der Ausdruck la faire à l'envers: duper, gruger, tromper, also für blöd halten, verarschen, übers Ohr hauen, betuppen.

Den Eintrag bestätigt dieser Vermerk bei Langue française:
faire à l'envers (ne pas la -) | arnaquer, duper ; ne pas arnaquer
... also betrügen, täuschen; nicht betrügen.
(1) j'aime bien les meufs comme ça [qui boivent, fument, sortent]. Elles ont de la bouteille. Y a pas moyen de la leur faire à l'envers - 2003
(2) J'ai changé, on ne peut plus me la faire à l'envers - 2003
Mit Beispielsätzen: (1) Ich mag die Frauen so [die trinken, rauchen, ausgehen]. Sie sind erfahren. Man kann sie überhaupt nicht täuschen. (2) Ich habe mich verändert, man kann mich nicht mehr verarschen.

Die Zahlen hinter den Beispielsätzen sind wohl das Jahr, in dem der Begriff erstmalig von Sprachwissenschaftlern gehört worden ist. Es bestärkt mich in meinem Gefühl, es mit einem jüngeren Ausdruck zu tun zu haben.

Das Wort 'umdrehen' geht mir in den Tagen danach beim Übersetzen des Drehbuchs nicht mehr aus dem Kopf. In meiner Arbeit steht es noch für was anderes.
Le commissaire ouvre la portière et s’installe sur le siège passager.
übersetze ich nicht mit: 'Der Kommissar öffnet die Tür und setzt sich auf den Sitz vorne rechts', das klingt komisch, das klingt "nach übersetzt".
Der siège passager ist auf Deutsch der Beifahrersitz. Und zwischen Türöffnen und "Sitzenmachen" (Billy Wilder) liegt das Einsteigen. Ich drehe also um und schreibe:
Der Kommissar öffnet die Beifahrertür und steigt ein.
Mit der Erfahrung der Berufsjahre falle ich eben nicht mehr so rasch herein - und drehe selbst um.

Und jetzt: Martinshorn aufs Dach (girophare bleu) und aufs Gaspedal gedrückt.

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Merci beaucoup, JR, pour la photo ! Et bonne route !

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