Freitag, 7. November 2008

Schwierige Redner

Manche Redner sind echt der Horror. Ich sage das hier so ungeschützt, weil sich mein Beitrag nicht auf ein besonderes Ereignis oder einen bestimmten Sprecher zurückverfolgen lässt. Hier also, was ich unlängst erlitt.

Es gibt Vortragende, die sprechen so, als seien sie noch nie in ihrem Leben verdolmetscht worden: Satzbau wie von Thomas Mann inspiriert (den ich aus anderen Gründen als der Satzlängen liebe), dazu Fachtermini und Anspielungen auf den bisherigen Stand der Debatte unter Verwendung von Orten (Konferenzen), Eigennamen (Autoren, Gutachten), Zahlen (absolut, Prozent, Jahr) sowie Abkürzungen. Also Satzanfang bis hin zum ersten Unterpunkt, Komma, Einschub eins bei Gültigkeit von A, Einschub zwei unter besonderer Berücksichtigung von B - worauf ein davon abgehobener Gedanke folgt - der aber abgegrenzt werden muss von Einschub drei, zumindest zu soundsoviel Prozent, worauf wir Einschub zwei beenden, nicht, um sofort die erste Fußnote auszusprechen, die aber nicht verwechselt werden darf mit C (also nur in diesem Unterfalle und bis zum Jahre soundso), was dann aber zur Folge hat, dass bei den zu erwarteten und in Realiter auch beobachteten Kausalitäten im Fall B sich die Grundvoraussetzung zugunsten von D (oder zu Ungunsten, das ist eine Frage von Standpunkt und/oder Interpretation) verschiebt - indes, Einschub zwei beenden wir jetzt wirklich vorerst, wenn hierzu noch Fragen bestehen, komme ich später gern noch einmal darauf zurück, denn im Grunde zählt hier ja nur Fall A und am Ende ... - ja, worauf lief die Konstruktion noch einmal hinaus? Gab es da ein Verb? Gab es ein abschließendes Verb mit Punkt?

Die Behaltensspanne ist bei uns Dolmetscherin sicher individuell länger oder kürzer. Sie ist trainierbar, mit den Jahren werden wir besser, routinierter. Wenn einem aber die Ereignisse, Orte, Akronyme, Jahreszahlen nicht einmal im Ansatz etwas sagen, weil der Redner es nicht für nötig befunden hat, uns sein Manuskript, aus dem er jetzt stellenweise in schnellem Tempo abliest, zur Vorbereitung zu schicken, und wenn diese ganzen Einzelpunkte höchst kompliziert miteinander ins Verhältnis gesetzt, von einander abgegrenzt und zugleich unterschieden werden, ist es bei einem gewissen "Thomas Mann-Faktor" der Satzlänge und -konstruktion schlicht menschenunmöglich zu folgen. Und wenn die Hauptaussage nicht klar ist, kann ich auch nicht intelligent kürzen bzw. besser strukturiert dolmetschen.

Beim letzten Mal kam nach der Veranstaltung die Moderatorin auf mich zu. Sie war die einzige, die immer wieder in Richtung Dolmetscherkabinen geblickt und vermutlich mein entsetztes Gesicht gesehen hatte. Darauf mahnte sie bei ihren Gästen wiederholt ein moderates Sprechtempo im Hinblick auf uns Dolmetscher an (ohne nachhaltige Wirkung).

Die Moderatorin ist langjährig erfahren, und zwar als Rednerin, im Fachgebiet und eben auch als Moderatorin. Sie stöhte: "Der Kollege Soundso hat sich wieder mal so verschachtelt, dass man nach dem gefühlten Schlusspunkt nicht weiß, ob er den Satz zu einem guten oder einem schlechten Ende geführt hatte, oder ob es überhaupt ein Ende gegeben hatte - und falls ja, welchen Satzes."

Das war ein kleiner Trost. Aber nach solchen Einsätzen bin ich völlig fertig. Ich leide dann unter der Verhinderung guter Arbeit, an den eigenen Grenzen, an der Respektlosigkeit uns gegenüber, die bestenfalls nur Gedankenlosigkeit ist. Was nützt es, bis zur letzten Sekunde vor dem Vortrag bis zum letzten Komma am Manuskript rumzufeilen, wenn dadurch allein schon die Vermittlung des Grundgedankens und der Hauptverästelungen der Argumentation gefährdet sind?

Anfangs dachte ich immer, dass mein "Output" zu 100 % auf mich zurückfallen würde. Inzwischen weiß ich, dass diese Art autistischer Rednerpersönlichkeit zum Inventar aller Kongresse und Podien zählt. Und dass die Kollegen genau wissen, mit wem sie länger ins Gespräch kommen wollen, bei wem sie nachfragen.

Im Falle der Verschiebung der Grundvoraussetzungen im Fall B, Sie erinnern sich, der zweite Haupteinschub unseres Redners, schien die Thematik dann auch erschöpfend (oder eher: alle erschöpfend) geklärt gewesen zu sein; es gab keine Fragen an den Redner mit hohem "TM-Faktor", er musste nicht mehr darauf zurückkommen, wie überhaupt und grundsätzlich keine weiteren Fragen mehr an ihn ergingen.

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