Samstag, 8. Dezember 2007

Die innere Stimme des Übersetzers

Jedes Kind, das lesen lernt, liest erstmal laut. Auch später ist das Gelesene meist innerlich hörbar. Zeitoptimierer lehren gestresste Manager, dass sie für "speed reading" einfach nur diese 'innere Stimme' abschalten müssen. Beim Übersetzen ist aber der Klang der Worte, die nur ich höre, mein Korrektiv. Der Rest beim Übersetzen ist Handwerk.

Ich arbeite an einem Text über Schwierigkeiten, auf die das deutsche Kino in Frankreich stößt. Pariser Studenten haben Meinungsumfragen gemacht, auf Deutsch wird aus einem der Ergebnisse:

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich nicht vom deutschen Kino genug angeregt, um sich einen Film in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es "wenig anziehend" qualifiziert."

Da klingt noch stark das Original durch.

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich nicht vom deutschen Kino genug angezogen, um sich einen Film in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als "wenig anziehend" qualifiziert."

Genug? Genügt das?

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich nicht vom deutschen Kino ausreichend angezogen, um sich einen Film in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als "wenig anziehend" qualifiziert."

"Un Film", ein Film - hier steht im Französischen das verallgemeinernde Singular. Das gibt's auf Deutsch auch, aber der einfache Plural, also "Filme", spart Silben und Leselänge, ist daher freundlicher.
Die Verben: im Französischen steht im ersten Fall "inciter", im zweiten "attrayer", was gleichermaßen "anregend" wie "anziehend" bedeutet, nur in welcher Sprache 'klingt' es auf Deutsch am wenigsten nach einer Übersetzung?

"Offenbar fühlt sich das breite Publikum in Frankreich vom deutschen Kino nicht ausreichend angezogen, um sich Filme in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als "wenig attraktiv" einschätzt."

Offenbar klingt komisch, dabei ist es hier für jedermann ersichtlich. Und dann: kann Kino anziehen, wie es ein Mensch oder ein Magnet tut? Manche sicher, aber die Masse?

"Offensichtlich findet das breite französische Publikum das deutsche Kino nicht attraktiv genug, um sich Filme in der Originalfassung und damit in einer Sprache anzusehen, die es als 'wenig anziehend' einschätzt."

Jetzt klingt's nach einem deutschen Satz und ist nicht zu ausufernd, dazu füge ich noch "kleine Anführungszeichen" innerhalb des Zitats ein und zähle: fünf Durchläufe! Was auch daran liegt, dass ich zu stark in den französischen Sprachmustern im inneren Dialog mit mir selbst stecke.

Das ist beim Dolmetschen anders, da habe ich schneller die deutsche Wendung "bei der Hand".

Vielleicht sollte ich laut lesend übersetzen?

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