Wie Dolmetscherinnen und Dolmetscherinnen arbeiten, können Sie hier seit 2007 erfahren, im ersten deutschen Blog aus dem Inneren der Dolmetschkabine. Meine Muttersprache ist Deutsch, ich arbeite überwiegend mit Französisch und Englisch, die Bürokollegin übersetzt in die englische Sprache. Die Pandemie hat auch unsere Branche durcheinandergebracht. |
Vor dem Konsekutiveinsatz |
Vor jedem Einsatz steht die Buchung. Normalerweise wüssten wir jetzt schon, was wir von jetzt an bis Anfang Juli arbeiten würden, auch erste Herbsttermine wären fest vereinbart. Dabei hätten wir in der Saison im Schnitt zwei Einsätze pro Woche. Derzeit stehen zwei Einsätze fürs gesamten Frühjahr fest. Die Termine kommen immer spontaner rein.
Das ist ein
Déjà vu.
Späte Buchungen
Die Hauptsaison des Konferenzwesens teilt sich in die Frühjahr-/Frühsommerwochen und den Herbst auf. Schon in den letzten Coronajahren wurden die Buchungen dazu immer schleppender. Die Kundschaft hatte Angst vor einem Aufflammen der Pandemie. Inzwischen buchen nur noch die Ministerien und Forschungseinrichtungen mit monatelangem Vorlauf.
Erschwerend kommt eine massive Zunahme der Anfragen von Agenturen hinzu. Um mit einer weitverbreiteten, aber irrtümlichen Annahme aufzuräumen: Agenturen haben KEINE festangestellten Spracharbeiter:innen im Angebot, sie suchen auf dem freien Markt, wer den Einsatz möglichst günstig übernimmt, also Subunternehmertum wie auf dem Bau.
Inakzeptable Honorare
Daher ist Dumping an der Tagesordnung. Agentur A bietet mir für drei Stunden Simultandolmetschen via Internet, was anstrengender ist als vor Ort, den stolzen Satz von 350 Euro an. Kunde: Ein Konzern, der vermutlich etwas um die 900 Euro bezahlen darf. Ohne mich.
Dann Agentur B, eine komplexe technische Sache irgendwo in Brandenburg. Fahrzeit je Strecke: ab zwei Stunden. Vor Ort: ebenfalls zwei Stunden, die Arbeit wäre insgesamt in drei Sprachen zu leisten. Angebot der Agentur: 375 Euro pro Nase, Fahrt zu viert im PKW, am Steuer: der Praktikant, Abfahrtzeit: sechs Uhr in der Früh in Mitte, Rückkehr acht bis zwölf Stunden später, z.T. zusammen mit dem Technikdienstleister, weil der Moderator prioritär im Praktikantenauto mitfahren darf.
Auch diese Firma wird den Einsatz teuer anbieten, dazu nicht unerhebliche Kosten für Transfer, Bahnreise 1. Klasse, Hotel und Verpflegung berechnen. Der vorbereitungsintensive Einsatz hätte mich am Tag selbst inklusive Fahrtzeiten acht Stunden gekostet, dazu zwei Tage Vorbereitung, ergibt 125 Euro pro Tag. So viel bekommt in der Regel auch eine Komparsin/ein Komparse beim Film, wofür niemand studieren muss.
Grassierendes Agenturunwesen
Agenturen arbeiten wie Makler. Manche sind seriös und
nehmen ähnliche Margen wie Schauspielagenturen, also 14 bis 18 Prozent. Viele andere langen jedoch, weil wir es mit einer unregulierten Branche zu tun haben, mit ganz anderen Sätzen zu und schlagen noch Nebenkosten auf, die es manchmal gar nicht gibt, siehe das Reisenebenkostenbeispiel oben.
|
Simultaneinsatz im Auswärtigen Amt |
Schauspieler:innen kennen das Problem nicht. Gemäß § 301 des Sozialgesetzbuchs (III / Arbeitsförderung) ist sogar in Deutschland verboten, "bei der Vermittlung von Künstlern in ein Arbeitsverhältnis mehr als 18 % Provision (bei der Vermittlung in ein Arbeitsverhältnis bis sieben Tage), bzw. 14 % (bei der Vermittlung mit einer Dauer von mehr als zwölf Monaten) abzuführen."
Fehlende Gesetze
Alle klagen über die sprichwörtliche Überregulierung unserer Arbeitswelt. Im Dolmetschbüro sehen wir das auch. Zugleich spüren wir, was passiert, wenn es wie in unserer Branche keine Regelungen gibt. Die Gesetzeslücke müssen wir Dolmetscher:innen teuer bezahlen. Wären wir Berufssportler:innen würde uns das Bundesministerium für Arbeit und Soziales per Rechtsverordnung besser schützen. Auch hier darf die Gebühr für die Vermittlung maximal 14 % des Entgelts betragen.
Moment, was sollen wir eigentlich anders sein als Künstler:innen mit sportlichen Qualitäten?
(Morgen mehr dazu.)
______________________________
Foto: C.E. (Archiv)